Jean Rondeau ist nicht nur ein buchstäblich (mehrfach) ausgezeichneter Cembalist, sondern ein musikalisches Multitalent: Komponieren, Improvisieren, Klavier und Orgelspiel, Jazz, Filmmusik – das sind nur einige Facetten seines künstlerischen Lebens. Seine größte Leidenschaft gilt aber dem Cembalospiel, das er zur wahren Meisterschaft entwickelt hat. Unter seinen Händen erklingt das Instrument geradezu aufregend frisch und wie für unsere Gegenwart geschaffen.
Herr Rondeau, wie sind Sie auf das Cembalo gekommen? Wenn Kinder ein Instrument lernen wollen, dann meist die Geige oder das Klavier …
Jean Rondeau: Ja, das stimmt, aber für mich war es ganz normal, mit dem Cembalo in Berührung zu kommen (lacht). Als ich fünf Jahre alt war, hörte ich das Instrument im Radio – und sofort hat mich der Klang so unmittelbar berührt, dass er mich fürs Leben prägte. Es war mir natürlich in diesem Alter noch nicht klar, dass ich später einmal Cembalo-Spieler werden würde, aber dieser Zugang war so ein unverstellter, wie ihn nur Kinder bekommen können. Genau in diesem Moment bat ich meine Eltern darum, dieses Instrument spielen zu dürfen. An unserer Musikschule hatte ich dann das Riesenglück, über zwölf Jahre von Blandine Verlet unterrichtet zu werden.
Sie haben ausgesprochen viele Talente: Sie spielen noch Orgel, Klavier und andere Instrumente. Zudem dirigieren Sie auch …
Rondeau: Meine Hauptaktivität ist aber tatsächlich das Cembalo. Trotzdem stimmt es, dass ich während des Cembalo-Studiums auch Orgel und Klavier studiert habe. Es ist mir sehr unangenehm, als derartig begabt bezeichnet zu werden, denn aus meiner Sicht war ich einfach nur neugierig auf das Feld der Musik. Ich denke, die Musik ist so groß, so absolut und reichhaltig, dass wir uns richtig tief in sie hineingraben müssen, um auf diesem Weg dann zu versuchen, dort unseren Platz zu finden. Für mich war es deshalb sehr wichtig, Harmonie und Improvisation zu studieren und mich auch mit dem Thema Komposition zu beschäftigen. Durch diesen Multiperspektivismus kannst du viel mehr mit einbringen, wenn du an einer Improvisation arbeitest.
Denken Sie, dass Sie das Cembalo für eine jüngere Zielgruppe zugänglich gemacht haben?
Rondeau: Ich mache überhaupt keinen Unterschied zwischen dem Cembalo und anderen Instrumenten. Es hat einfach eine andere Geschichte als die Geige und das Klavier, die immer im Konzertleben präsent waren. Das Cembalo war dagegen in der Romantik nicht auf der musikalischen Bühne zu finden und kam dann im 20. Jahrhundert wieder dorthin zurück. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden wieder Instrumente gebaut, die denen aus dem 17. und 18. Jahrhundert glichen. Die Geschichte des Cembalos ist sehr komplex und äußerst spannend. Und weil sie so speziell ist, denken die Leute wohl, das Instrument wäre das, was man heute old fashioned nennt. Für mich ist das absurd. Mein Zugang war immer ganz natürlich. Ich habe also auch nicht versucht, es cool zu machen. Mein Ziel ist, als Musiker so ehrlich wie möglich zu sein. Ehrlichkeit ist sehr wichtig in der Musik. Du kannst Dich auf der Bühne nicht verbiegen und lügen.
Was unterscheidet das Cembalo von einem frühen Tasteninstrument wie etwa dem Keyboard, vor allem hinsichtlich der Ausdrucksmöglichkeiten?
Rondeau: Ein Keyboard ist wirklich ein ganz anderes Instrument. Die Technik und der Sound sind nicht das Gleiche. Ich denke, es ist sehr schwer, dies zu vergleichen. Dafür sind die beiden Instrumente zu verschieden. Ich möchte aber nicht sagen, dass eines von beiden reicher oder gehaltvoller ist im Ausdruck. Das Cembalo ist unglaublich facettenreich, dabei sehr zart, fragil und hoch sensibel. Nicht zu vergessen das riesige Repertoire, das sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, aber leider viel weniger bekannt ist als das für Klavier.
Steht die Barockmusik bei Ihnen im Fokus? Und haben Sie da Favoriten?
Rondeau: Das Repertoire für Cembalo erlebte im 17. und 18. Jahrhundert seine Blüte. In dieser Zeit ist es so reich an Ideen, so unterschiedlich und individuell, was die verschiedenen Komponisten betrifft. Es gibt so viele schöne, anmutige und hervorragend gearbeitete Werke, dass es mir sehr schwerfällt, etwas Bestimmtes herauszupicken. Natürlich musste ich für meine CDs Stücke auswählen und habe mich für den Anfang mit Enthusiasmus für Bach und die Bach-Dynastie entschieden. Es braucht Zeit, Muße und Geduld, sich darauf einzulassen – wie überhaupt die Kunst Zeit beansprucht, um sich entfalten zu können.
Welche Vorlieben haben Sie hinsichtlich der Instrumente, die Sie spielen?
Rondeau: Ich habe keine Vorlieben für historische oder moderne Instrumente. Und wenn ich von „modern“ spreche, dann handelt es sich um die Kopie eines historischen Instruments, die vor nicht allzu langer Zeit gebaut worden ist. Als Interpret kannst du an gute und weniger gute historische oder moderne Instrumente geraten, deshalb ist es mir letztlich nicht wichtig, ob ich auf einem Original spiele oder nicht – Hauptsache, das Instrument ist gut (lacht). In der Regel spiele ich eher auf Kopien und das hat einen ganz einfachen Grund: Die meisten historischen Cembalos befinden sich in Schlössern und Museen. Hinzu kommt: In der Zeit der Französischen Revolution sind viele Cembalos verbrannt worden, da sie Symbole für das Königshaus, das Ancien Régime, waren. So haben wir nicht nur viele Instrumente verloren, es hat dem Cembalo auch einen schlechten Ruf beschert, den es nie richtig wieder losgeworden ist. Wir müssen uns heute vor Augen halten, dass das Instrument nicht schuld ist an den politischen Verwicklungen, mit denen es noch oft in Verbindung gebracht wird.
Auf Ihrer neuesten CD „Vertigo“ spielen Sie ein historisches Instrument, richtig?
Rondeau: Ja, das ist richtig. Das Cembalo wurde Anfang des 18. Jahrhunderts gebaut und steht im französischen Château d’Assas. Dort ist die Aufnahme auch entstanden. Es hat mich tief berührt, auf einem wirklich gut erhaltenen und toll klingenden Instrument spielen zu dürfen, das jetzt 300 Jahre auf dem Buckel hat.
Welche Überlegungen stehen hinter Ihrer neuen CD „Vertigo“?
Rondeau: Für mich steckt hinter jeder CD tatsächlich ein ganz bestimmtes Konzept. Es geht zwar schon hauptsächlich darum, Musik aufzunehmen – in diesem Fall von Jean-Philippe Rameau und Joseph-Nicolas-Pancrace Royer – aber ein gutes Album soll darüber hinaus eine Geschichte erzählen. Mit dem Material, das ich liebe, fange ich an, etwas kreativ zu erschaffen. Die CD enthält eine musikalische Reise, mit einem Anfang und einem Ende. Das ist mein Ziel. Ich weiß nicht, ob ich damit erfolgreich bin, aber ich versuche es zumindest (lacht). Im Falle von Rameau und Royer habe ich das Repertoire der beiden durchsucht und die Stücke dabei so ausgewählt und angeordnet, dass – hoffentlich – eine Art Mini-Oper zu hören ist.
Die Musik zu dem Film „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“ haben Sie auch geschrieben. Wie kam es dazu?
Rondeau: Der Regisseur Christian Schwochow hat mich angerufen und gefragt, ob ich das machen möchte. Er suchte einen jungen Musiker, der im Alter von Paula ist. Erst habe ich gezögert, weil mein Terminplan so voll war. Aber dann hat er mir den Film zugeschickt, und als ich ihn gesehen habe, hat mir das Thema Paula Modersohn-Becker wirklich zugesagt, und ich denke, das Ganze ist am Ende dann auch sehr schön geworden.
Stehen Sie in Kontakt mit Komponisten unserer Zeit, die vielleicht etwas für Sie schreiben könnten?
Rondeau: Ja, das bin ich schon. Aber das Problem ist, dass das Cembalo in unserer Zeit nicht sehr bekanntbekannt ist. Um dafür ein Stück zu schreiben, muss der Komponist es wirklich ganz genau, quasi von innen heraus, kennen. Ich denke, es ist eine interessante Herausforderung, nicht die gleichen Fehler zu machen wie im 19. Jahrhundert, wo die Komponisten, wenn überhaupt, eher gegen und nicht für das Instrument geschrieben haben. Ich wünsche mir sehr, dass ein heutiger Komponist es wagen würde, diese spannende Herausforderung anzunehmen.
Jean Rondeau spielt Royer: