Bachs Cellosuiten? Klar! Waltons Cellokonzert? Selbstverständlich. Beethovens Streichtrios? Auch die. Eigentlich spielt Christian Poltéra alles, was für Cello geschrieben wurde und wird, sei es nun Kammermusik oder Solokonzert. Kein Wunder, dass der Schweizer als einer der vielseitigsten und besten Cellisten viel gefragt ist. Dennoch fand er Zeit für ein Interview.
Herr Poltéra, woher kommt der Akzent in Ihrem Namen?
Christian Poltéra: Das ist ein Name aus dem Graubünden in der Schweiz. Ohne den Akzent würde es in den meisten Fällen wohl falsch betont werden, daraus ist vor Generationen der Akzent entstanden. Hören Sie mich eigentlich? Ich bin nämlich im Auto unterwegs …
Alles bestens: Sind Sie auch ein Sportwagenfan wie viele Geiger?
Poltéra: Das hat nicht die oberste Priorität. Es liegt vielleicht am Cello, weil es nur schwer Platz hätte in einem Sportwagen.
Von Heinrich Schiff heißt es, dass er mit einem roten Ferrari unterwegs war …
Poltéra: Nein! Das war ein Porsche 928. Der wurde ihm aber eher aufgeschwatzt und war wohl überraschend geräumig.
Sie waren sein Schüler. Welche Erinnerung haben Sie an ihn?
Poltéra: Ich habe ihn mit fast 18 kennengelernt, damals hat er gestrotzt vor Energie. Er hatte eine unheimlich starke Aura und Persönlichkeit. Viele haben ihn als schwierig erlebt. Aber beim Unterrichten kam er zur Ruhe, hatte plötzlich eine Engelsgeduld. Da ging es dann nicht mehr um Heinrich Schiff, sondern nur um die Musik und die Studenten. Er hat es vielen nicht leicht gemacht, sich selbst aber auch nicht. Er war unendlich großzügig. Es gab keinen Cellisten dieses Formats, der so viel Zeit in die nächste Generation investiert hat wie er.
In einem Interview sprach er von zwei Cellisten-Typen: dem ätherisch-selbstverliebten Schönling und dem kraftvollen Metzgerstyp mit Wurstfingern.
Poltéra: Eleganz war vielleicht nicht seine erste Eigenschaft. Stattdessen war sein Spiel lebendig, charaktervoll und sehr leidenschaftlich. Er hat sich nie geschont. Sein Spiel war auf einzigartige Weise subjektiv, aber nicht im narzisstischen Sinne.
Er musste wegen seiner Schulterschmerzen leider aufhören. Gregor Piatigorsky meinte, ein Cello-Schüler brauche nicht nur einen Lehrer, sondern auch einen Orthopäden und Psychologen.
Poltéra: Ja. Wir betreiben eine Art Hochleistungssport. Doch Sportler werden körperlich besser betreut als wir Musiker.
Spielt überhaupt der Körperbau eine Rolle für die Wahl des Instrumentes?
Poltéra: Ich war acht Jahre alt, als ich anfing. Da konnte ich noch nicht wissen, wie groß ich werden würde, und deshalb hat dies keine Rolle gespielt.
Kommen Sie aus einem musikalischen Elternhaus?
Poltéra: Meine Eltern sind beide Lehrer und haben ein bisschen Klavier gespielt. Mein Entschluss, Musiker zu werden, hat etwas Überzeugungsarbeit gebraucht. Und irgendwie bin ich auch froh, dass sie selbst keine Berufsmusiker waren. Damit hätte ein großer Druck entstehen können.
Können Sie sich an Ihren ersten Auftritt erinnern?
Poltéra: Der war, glaube ich, bei der Hochzeit meiner Tante. Nach sieben Cellostunden! Es hat mich nie gestört, wenn Leute zugehört haben. Als Kind ist man so in der Musik drin, dass man die Menschen um einen herum kaum wahrnimmt.
Casals musste sich als Schüler beim Üben ein Buch unter die rechte Achselhöhle klemmen, so dass nur ein Spiel mit steifem Arm möglich war. Wie haben Sie es gelernt?
Poltéra: Zum Glück war es bei mir nicht so. Alle meine Lehrer haben übrigens nie das Technische vom Musikalischen getrennt. Dafür bin ich ihnen dankbar. Ich versuche, dies auch meinen Studenten weiter zu vermitteln.
Sie bleiben auch als Profi- Musiker mit Ihrem Lehrer Heinrich Schiff verbunden, weil Sie jetzt auf „seinem” Cello spielen.
Poltéra: Das ist nicht der einzige Grund, aber ja, ich habe das Glück, auf dem Mara zu spielen. Es ist eines der schönsten Violoncelli von Antonio Stradivari, benannt nach dem Musiker Giovanni Mara. 1996 hatte Heinrich Schiff erfahren, dass es zum Verkauf angeboten wird, und er fragte uns Studenten, ob wir es mal gehört hatten. Damals studierte ich noch in Salzburg und wohnte in einer WG zusammen mit dem Cellisten Sebastian Klinger. Zufälligerweise hatten wir von diesem Cello ein Poster an der Wand hängen. Heinrich Schiff kam sogleich vorbei und hat es sich angeschaut, bevor er eine Woche später in London das Instrument zum ersten Mal spielen konnte.
Etwa dreißig Jahre nach jenem legendären Unfall in Südamerika.
Poltéra: Ja. 1963 sollte dort das Trio de Trieste mit dem Cellisten Amadeo Baldovino im argentinischen Rosario auftreten. Während der Schiffsreise dorthin brach an Deck Feuer aus. Baldovino soll angeblich nach dem Cellokoffer mit dem Mara gegriffen haben und in ein Rettungsboot gesprungen sein. Offenbar fiel das Mara ins Wasser und wurde Baldovino ein paar Tage später in Trümmern wieder übergeben. Doch es wurde wieder zusammengesetzt.
Ob es den Klang von einst wieder erlangte, von dem 1780 Mozart in einem Brief an seinen Vater spricht oder auch Goethe schwärmte?
Poltéra: Ich weiß es nicht. Ich kenne ja nur den heutigen Klang, und der ist sehr eigen. Anfangs dachte ich: wunderschön klingt das Cello, aber das bin nicht ich. Es kam mir vor, als würde ich mit der Stimme eines Fremden sprechen. Und es dauerte dann einige Zeit, bis Maras Klangfarbe sich mit meiner eigenen Klangvorstellung vermischt hat. Das Mara wird nie jene erdige, knorrige oder dunkle Klangfarbe haben, an die ich gewohnt war. Das war schon eine Umstellung.
Hinterlässt ferner die Persönlichkeit jener, die das Mara spielten, im Instrument Spuren?
Poltéra: Das kann sein. Ich hatte diesen Eindruck mal bei einem anderen Cello. Beim Mara eher nicht. Wenn unterschiedliche Cellisten das Mara spielen würden, dann würde man das Timbre des Mara erkennen. Wenn diese Cellisten ein anderes Instrument spielen würden, dann würde man eher den einzelnen Cellisten heraushören.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie es bekamen?
Poltéra: Heinrich Schiff musste 2012 das Cellospiel aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Folglich sollte ein taiwanesischer Geschäftsmann und Sammler das Mara kaufen. Dann haben Mäzene aber dafür gesorgt, dass es doch in Europa bleiben kann. Die neuen Eigentümer kamen auf mich zu, sie kannten mich von Konzerten und hatten Vertrauen. Kurz darauf bekam ich eine E-Mail, dass ich das Cello abholen darf. Ich glaube, dass es den Eigentümern vorrangig darum ging, dass das Mara als europäisches Kulturgut in Europa bleibt und nicht in Asien in einem Tresor verschwindet.
Wieviel Stress bedeutet es, ein so kostbares Instrument mit sich zu führen?
Poltéra: Man gewöhnt sich daran. Und es erleichtert ein bisschen zu wissen, dass es bereits einmal absolut zerstört war. Ich wäre also nicht der erste, der einen Kratzer verursacht.
In seiner Erzählung „Mara” lässt der Schriftsteller Wolf Wondratschek das Cello selbst erzählen von den Musikern, die es spielten. Von Ihnen auch?
Poltéra: Ja. Für die sechste Ausgabe 2016 hat er ein Kapitel hinzugefügt, indem er die Krise von Heinrich Schiff beschreibt und wie es dazu kam, dass er das Cello abgeben musste. Und auch ich werde erwähnt. Ich fand seine Beschreibungen erstaunlich zutreffend. Er ist eben auch jemand, der sehr gut recherchiert und von Musik sehr viel versteht.