Herr Striesow, welche Erlebnisse rund um die Produktion „Bach – Ein Weihnachtswunder“ werden Ihnen in Erinnerung bleiben?
Devid Striesow: Bach hat statt Wasser die ganze Zeit Bier getrunken und sehr gut gegessen. Bilder und Skulpturen zeigen ihn wohlgenährt. Entsprechend habe ich in den acht Wochen vor Drehbeginn zwanzig Kilo zugenommen. In diesem Jahr habe ich schon wieder 17 Kilo verloren, was auf jeden Fall härter war als das Anfressen. Außerdem habe ich Unterricht im Dirigieren bekommen. Großartig war, dass ich im Film die Uraufführung des „Weihnachtsoratoriums“ mit den Knaben des originalen Thomanerchors und dem Orchester auf der Empore des Merseburger Doms vor dieser tollen Silbermann-Orgel ein paar Minuten lang selber dirigieren durfte. Ich wollte schon immer mal einen Dirigenten spielen.
Im Film wird Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel von Ihrem Sohn Ludwig Simon gespielt. War das ihre erste Zusammenarbeit?
Striesow: Nein, unsere zweite. Bei unserer ersten Zusammenarbeit, dem Tatort „Vater und Söhne“ war Ludwig noch im ausgehenden Teenageralter. Mittlerweile ist er 27, so dass wir uns auf Augenhöhe begegnet sind und uns im Vorfeld sehr gut gemeinsam auf die Rollen vorbereiten konnten. Das hat wirklich großen Spaß gemacht.
Bach hatte zwanzig Kinder, von denen allerdings nur zehn das Erwachsenenalter erreichten. Sohn Carl Philipp Emanuel fühlt sich – im Gegensatz zu Papa-Liebling Wilhelm Friedemann – von seinem Vater zurückgesetzt. Sie selbst haben sechs Kinder. Erleben Sie Konflikte, wie der Film sie zeigt, auch selbst?
Striesow: Absolut nicht. Keiner wird vom Vater bevorzugt behandelt, und ich schreibe meinen Kindern auch nicht vor, was sie nach der Schule zu machen haben oder in welche Richtung ihre Berufswünsche gehen sollen. Da sind wir schon ein bisschen moderner.
Welche Beziehung hatten sie zu Johann Sebastian Bachs Musik vor den Dreharbeiten und hat sich diese Beziehung durch den Film verändert?
Striesow: Sie hat sich dadurch noch gefestigt. Ich bin in einem atheistischen Haushalt groß geworden, und wir haben damals im Osten zu Silvester immer die Neunte von Beethoven mit Kurt Masur in der Direktübertragung aus dem Gewandhaus geschaut. Das war unsere eigene kleine Kirchenveranstaltung. Seit den Dreharbeiten ist das „Weihnachtsoratorium“ zu Weihnachten auf jeden Fall dazugekommen. Es war schon immer eines meiner liebsten Musikstücke, aber durch die intensive Beschäftigung mit dem Werk ist diese Verbindung noch stärker geworden, so dass ich das Oratorium in Zukunft sicher immer zu Weihnachten hören werde.
Wie haben Sie Bach entdeckt?
Striesow: Ich bin sehr früh an die Klassiker herangeführt worden. Mit sechs bekam ich meinen ersten Geigenunterricht. Ich habe vor dem Spiegel alle großen Werke mit Musik vom Schallplattenspieler dirigiert, später sehr intensiv Bach gehört und sogar versucht, seine Violinkonzerte zu spielen. Auch die verjazzten Interpretationen des Jacques Loussier Trios haben mich sehr berührt. Bachs Musik hat mich immer begleitet.
Beeinflusst die Musik Ihre Arbeit als Schauspieler?
Striesow: Besonders am Theater erleichtert mir meine frühe und sehr intensive Beschäftigung mit Instrumenten – ich spiele ja noch einige andere – den Zugang zum Text, weil dort, wie man sagt, der Text „musiziert“ beziehungsweise als Partitur begriffen wird. Das heißt nicht, dass ich nach Betonungen spreche, sondern dass ich rhythmisch und vom Versmaß her sehr schnell einen Zugang zum Text finde. Auch Lesungen machen mir großen Spaß, weil man durch Pausen, Stakkato, Legato und andere musikalischen Komponenten einen Text sehr lebendig gestalten kann. Das gilt besonders für Live-Vorträge wie „Die Blechtrommel“ von Günter Grass, die ich oft mit Schlagwerk auf die Bühne bringe.
Zusammen mit Ihrem Schauspielerkollegen Axel Ranisch haben Sie 2018 den Podcast „Klassik drastisch“ ins Leben gerufen. Was ist so drastisch an Ihrem Format?
Striesow: Wir haben knapp 60 Folgen aufgenommen und uns gegenseitig in jeder Folge innerhalb von fünf Minuten jeweils einen Komponisten und eines seiner Werke vorgestellt. Zu Beginn des Gesprächs wussten wir aber nicht, welchen Komponisten der andere ausgewählt hat. Wir haben das überhaupt nicht theoretisch aufgezogen – das können andere Leute viel besser –, sondern alles ein bisschen „drastisch“ erklärt und damit auch eine große Zuhörerschaft erreicht und Menschen für Klassik begeistert, die sich noch nicht so intensiv mit dieser Musik auseinandergesetzt hatten.
Noch einmal zurück zum Film. „Bach – Ein Weihnachtswunder“ ist kein Biopic, sondern wird als „historischer Eventfilm“ beworben, der sich fiktional mit der Entstehungsgeschichte des Weihnachtsoratoriums befasst. Sollten Menschen, die sich für die verbriefte Historie der klassischen Musik interessieren, diesen Film lieber nicht gucken?
Striesow: Ganz im Gegenteil. Weil es wenig Aufzeichnung über Bachs Person gibt, kann man sich doch eigentlich jeder befürwortenden und liebevollen Beschäftigung mit diesem Thema aussetzen. Warum sollte man sich dem verschließen und diese mögliche Sichtweise nicht zulassen? Abgesehen davon ist die neue Filmmusik von Martina Eisenreich im Zusammenspiel mit der bachschen Musik so gelungen, dass es schon allein deshalb lohnt, sich auf den Film einzulassen.
Das könnte man auch von der beeindruckenden historischen Kulisse des Films behaupten. Welche Drehorte wurden genutzt?
Striesow: Die Aufnahmen, die die Uraufführung des „Weihnachtsoratoriums“ zeigen, und die Außenaufnahmen im Schnee wurden im Merseburger Dom und Umgebung gedreht. Die Innenaufnahmen von Bachs Wohnung entstanden in einem Schloss in Niederösterreich. Hier spielt alles auf einer Ebene, während Bachs reale Kantorenwohnung in Leipzig sich über drei Stockwerke erstreckte. Das haben wir filmisch ein bisschen angepasst.
concerti-Tipp:
Bach – Ein Weihnachtswunder
Mi. 18. Dezember 2024, 20:15 Uhr
Das Erste