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INTERVIEW DIANA DAMRAU

„Ich möchte hören, sehen und spüren“

Diana Damrau erklärt, wie sie den Spagat zwischen Familie und Beruf hinbekommt und warum Opernsänger keine Fachidioten sind

vonNinja Anderlohr-Hepp,

Michael Jackson, Sturzhelme oder Blumenpflücken sind nicht unbedingt die Themen, mit denen man in einem Interview mit Sängerin Diana Damrau rechnet. Die Sopranistin, die zwischen Engagements in New York, München und Zürich sowie ihrem Zuhause in Frankreich pendelt, eröffnet die Saison 2013/14 der Mailänder Scala und überrascht viele sowohl mit ihrer Herzlichkeit als auch mit ihrer Bodenständigkeit. Wurde sie in den letzten Jahren vor allem für ihre Königin der Nacht gerühmt, hat sie für sich selbst jetzt zwei neue Traumrollen gefunden: die als Violetta in Verdis La Traviata und als Mutter zweier Söhne.

Frau Damrau, oft werden Sie gefragt, wie Sie Familie und Beruf „in Einklang“ bringen – müsste man nicht eher fragen, wie viele Klänge Sie zu einem Ganzen bündeln müssen?

Es ist ein ganzes Orchester! (lacht) Mit zwei Dirigenten! Und das funktioniert wie im Konzert. Es gibt ja mit dem Dirigenten auf dem Podium und Konzertmeister im Orchester eigentlich auch zwei leitende Positionen. Bei uns in der Familie ist es auch so, wir springen im Duo von einer Rolle in die andere.

Das klingt nach einem sehr wohlorganisierten Familienunternehmen…

Das muss es sein. Mein Mann (Sänger Nicolas Testé, Anm. d. Red.) und ich sind da reingewachsen – er noch viel früher als ich. Er war bei den Petits chanteurs in Paris und hat schon als kleiner Bub die Welt bereist. Er ist genauso mobil, flexibel und organisiert wie ich.

Das heißt aber auch, dass er eine ganz andere Kindheit hatte als Sie, die ja eher behütet in Bayern aufgewachsen sind und nicht aus einer Musikerfamilie stammen. Wenn Sie die Kindheit Ihrer Kinder mit Ihrer eigenen vergleichen – was gibt es da für Unterschiede?

Es ist ein ganz anderes Leben mit den vielen Reisen, Eindrücken und Sprachen, die auf sie hereinströmen. Ich war zum ersten Mal im Alter von 15 Jahen in der Oper… und das nur 50 Kilometer vom Heimatort entfernt. Meinen ersten Flug hatte ich mit 18 Jahren! Die beiden haben schon Freiflüge bei den Fluggesellschaften.

Sie haben auch die Musikalität vererbt bekommen und genießen es bei den Proben und überall mit dabei zu sein. Der Große hört aber auch gern Radio und tanzt, vor allem zu Michael Jackson und Flamenco, der Kleine trommelt auf der Windelkiste – eben ein ganzes Orchester. Es wird nie langweilig und man muss die beiden natürlich immer im Auge haben.

Und dafür benötigt man auch viel Energie…

Die bekomme ich von meinen Kindern – man braucht sie nur ansehen und schon laden sich die Batterien von alleine auf. Kinder sind der Wahnsinn, da ist jede Sekunde was los und sie verändern sich so schnell. Ich sage immer: Energie ist unendlich, sie umgibt uns und ist in uns. Man muss sie nur im Fluss lassen und nicht blockieren. Wenn ich das beherzige, komme ich gut zurecht.

Finden Sie zwischen Ihren Engagements, Proben und Reisen überhaupt Zeit, sich zu entspannen und auch mal Privatperson Diana Damrau zu sein?

Dafür bleibt im Moment eigentlich keine Zeit. Aber Diana Damrau ist privat nun Mama Damrau. Mit Kindern hat man einen 24-Stunden-Job und das bleibt dann auch für einige Jahre so. Aber das weiß man ja im Voraus. Meine Hobbies habe ich erstmal eingestellt. Ich kümmere mich um die Kinder und um meinen Beruf. Der einzige Moment, in dem ich komplett abschalten kann und muss, ist, wenn ich auf der Bühne stehe. Dann bin ich 100 Prozent da, aber natürlich auch nicht als Diana Damrau, sondern in der Rolle, die ich spiele. Da konzentriere ich mich ganz auf mich, sodass das aus mir rauskommen kann. Das geht jedoch nur, weil ich weiß, dass meine Kinder gut aufgehoben sind.

Sie pendeln beruflich zwischen Kontinenten, von München über Paris bis New York, bezeichnen sich aber selbst als bodenständiges Mädel und Landei.

Ich brauche einfach die Natur. Das Leben in einer kleineren Stadt ist weit weniger anonym und fühlt sich geborgener an. In großen Städten bin ich die meiste Zeit in Hotels oder Appartements und arbeite. Man bewegt sich allerdings im Opernzirkel, der sehr familiär ist. Jeder kennt da jeden und so hat man einen weiteren Familienkreis neben der ganzen Jetsetterei.

Seine Familienmitglieder kann man sich im richtigen Leben nicht aussuchen, da kommt es auch mal zu Konflikten. Ist das im Opernzirkel genauso und wie verhält man sich da?

Ganz bestimmt. Es gibt Menschen, mit denen kommt man super aus, mit denen läuft es vor und hinter der Bühne professionell und freundschaftlich ab. Alles basiert auf Zusammenarbeit, da darf keiner im Alleingang loslegen. Wenn einer das versucht, merken es das Publikum und die anderen Ensemblemitglieder sofort. Bei Meinungsverschiedenheiten und Problemen muss man sich aussprechen und das abarbeiten. Das ist wie in der richtigen Familie: Man wird mit diesen Menschen wieder zusammentreffen und kann sich nicht verstecken. Es ist nie schön, wenn es zu Brüchen kommt.

Das trifft ja auch auf die Arbeit mit Regisseuren zu. Sie haben schon die unterschiedlichsten Inszenierungen mitgemacht – klassische und experimentelle. In welcher Art Inszenierung können Sie sich besser ausleben?

Ich genieße es in jeder Weise. Wenn wir zum Beispiel die Traviata-Inszenierungen nehmen. An der Met habe ich gerade mein Rollen-Debüt als Violetta gemacht in der Willy-Decker-Inszenierung. Sie ist sehr symbolträchtig und expressionistisch, hat aber doch eine schöne Ästhetik und geht ins Essenzielle, was das Gefühlsleben von Violetta anbelangt. Willy Decker hat mir erklärt: „Man schaut der Frau von Anfang bis zum Ende beim Sterben zu.“ Es ging schauspielerisch sehr in die Tiefe und war mit großem Körpereinsatz verbunden.

Meine erste „traditionelle“ Traviata in Zürich war dann nochmal was ganz Besonderes. Ich habe aber von der Met-Traviata einiges aus der Gefühlswelt miteinbauen können. Von außen sieht man das nicht, aber für mich war das eine wichtige und schöne Erfahrung. Ich denke, eines baut auf dem anderen auf, man lernt immer wieder neu und muss sehr flexibel sein.

Wenn man zu einem Opernsänger sagte, er könne auch gut schauspielern, war das früher ja schon fast eine Beleidigung…

Für mich hat so aber ja alles angefangen. Als Kind habe ich den Traviata-Film von Zeffirelli gesehen und für mich war das der Auslöser, Opernsängerin werden zu wollen. Das ist ein Gesamtkunstwerk: Die Kamera filmt von allen Seiten, und man hat somit eine Dimension dazugewonnen. Man sieht Nahaufnahmen der Gesichter und ist noch näher am inneren Geschehen. Die Geschichte spielt nicht auf der Bühne mit irgendwelchen Requisiten und Pappwänden, sondern wurde in schönen Palais und Landgütern gefilmt. Es war so real und dazu die wunderbare Musik und die menschliche Stimme! Das hat mich damals gefesselt und das habe ich mir gewünscht: Dass, wenn ich in die Oper gehe, ich genau das erlebe. Ich möchte hören, sehen und ich möchte spüren. Und schwieriger noch: das dann selbst als Sängerin so realisieren. Diesen Maximen jage ich nach – die ganze Zeit, mit jeder neuen Rolle, mit jeder Inszenierung.

(Wie eng für Diana Damrau Familie und Beruf verknüpft sind, merkt man schnell: An dieser Stelle übernimmt ihr Sohn Alexander kurzerhand das Interview und erzählt vom gestrigen Ausflug – einen Sturzhelm hat er getragen und fragt, ob seine Mutter jetzt nicht mit ihm spazieren gehen könne. Mama Damrau erklärt, dass sie erst das Interview beenden muss, sie sich aber über eine Mohnblume aus dem heimischen Garten sehr freuen würde…)

Sie haben die Violetta in New York und Zürich gesungen, jetzt eröffnen Sie in der Rolle die Mailänder Scala – und das im Verdi-Jahr. Was macht das mit einem?

Es ist die Wahrwerdung einer Utopie, denn dieses Szenario hatte ich mir als Studentin als unmöglichen Traum erdacht. Meine Lehrerin Carmen Hanganu sagte immer: „Du musst Träume haben in deinem Leben, auch wenn sie nicht erfüllt werden können. Was möchtest du erreichen?“ Und da habe ich mir gedacht: Ich als Deutsche singe an der Mailänder Scala La Traviata – das wär’s doch! Und da waren die Saisoneröffnung, die Neuinszenierung und das Verdi-Jahr noch gar nicht mit dabei! Es ist mehr als die Utopie, wirklich wunderbar! Ich habe ganz bewusst gewartet mit dem Rollendebüt, denn die Traviata hat und braucht alles: Die Koloratur und Strahlkraft als Dame der Salons, der Politik, der großen Welt, aber auch die Lyrik einer Liebenden und die Dramatik einer Sterbenden. Das wollte ich als von der Koloraturrichtung kommender Sopran nicht zu leicht angehen. Ich wollte meiner Stimme Zeit geben, dass sie reifer und runder wird, um wirklich das ganze Spektrum der Rolle auch zeigen zu können. Jetzt ist die Zeit da – seit meinen zwei Jungs. Die Stimme hat sich verändert, hat mehr Fülle und Wärme bekommen und kann die dunkleren Farben viel besser ausdrücken als vorher und ich kann die ganze Sache als echte Frau angehen.

Das sind für Sie neue Erfahrungen! Eine weitere Herausforderung für Opernsänger ist sicherlich das Live-Streaming: Konzerte und Opern sieht man sich mittlerweile auch auf der heimischen Couch, im Kino oder beim Public Viewing an. Wie stehen Sie dazu? Wie verändert sich das Gefühl auf der Bühne, wie verändern sich Inszenierungen?

Opernstreaming ist an der Met, an Covent Garden oder in Mailand bereits Gang und Gebe. Ich sehe das als Chance für das Genre: Es ist zugänglicher, man nimmt sich nicht vor, für den „heiligen Tempel“ Opernhaus für viel Geld eine Karte zu erwerben. Der Gang dorthin ist für viele schon mit Zweifeln und der Frage „Ist das was für mich?“ behaftet. Aber im Kino? „Warum nicht?“ Oper zuhause? „Kucken wir mal rein!“ Ich denke, es ist auf alle Fälle eine sehr positive Entwicklung. Und auch der richtige Weg, junges Publikum zu begeistern.

Bei dem Spiel auf der Bühne ändert sich nichts Großes: Die Kameras verfolgen und die Inszenierung wird genauso beibehalten. Man weiß oft im Voraus nicht, wo die Kameras sind. Wegen eventueller akustischer Probleme und zum guten Abmischen muss man Mikrophone am Körper tragen, damit das Hörerlebnis bei der Übertragung auch optimal ist. Man muss „nur“ voll in der jeweiligen Figur und Situation aufgehen und sich nicht irritieren lassen und Angst haben, dass man sich vor Millionen blamiert….

Ist das große Publikum auch das Ziel Ihrer neuen CD?

Ich hoffe sie wird von vielen gehört. Und ich weiß, dass viele auf so etwas von mir  warten. Der Titel ist „Forever“ – das klingt erstmal schmalzig, wird es aber nicht. Es ist eine sehr persönliche CD mit kleinen Überraschungen, besonders wenn man sie im „Shuffle“-Modus anhört. Diese Stücke haben mein Leben geprägt und bestimmt das von manch anderen auch. Ich bin ein Kind meiner Zeit: Oper, Operette, Musical und Film!! Meine erste Rolle im Festengagement in Würzburg war Eliza Doolittle. Von My Fair Lady und dem klassischen Musical ist der Schritt zum Film nur ein kleiner, und da geht’s weiter bis Walt Disney. Auf der CD finden Sie für mich unvergessliche Melodien, die jeden berühren – auch diejenigen, die bei Operette erstmal denken: „Oh Gott!“ Ein Teenager zum Beispiel freut sich, dass Arielle drauf ist, hört sich dann aber auch den Csárdás aus der Fledermaus an. Und dann kann ich vielleicht sagen: „Hab ich euch!“

 

Das ist aber nicht Ihre Antwort auf Crossover, oder?

Nein, das bin wieder ich! Es ist eine Seite, die viele von mir so noch nicht kennen! Genau dieses Repertoire habe ich in Würzburg gesungen, als Studentin auf Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, auf Muggen. Um was es mir geht, sind die Melodien. Ich möchte auch zeigen: Wir sind keine Fachidioten, die nur Oper machen, sondern Musiker und Menschen unserer Zeit! Mein Mann hörte mich Disney-Songs für Alexander singen und meinte: „Das musst Du unbedingt aufnehmen…“ – die CD ist Alexander, Colyn und Nicolas gewidmet und heißt auch deshalb „Forever“.

Sie sagten, dass man immer Träume haben muss, auf die man hinarbeitet. Jetzt sind Sie an einem Punkt angekommen, wo die Erfüllung Ihrer Träume zum Greifen nah ist. Haben Sie schon einen neuen Traum?

Natürlich habe ich neue Träume, aber die verrate ich natürlich nicht! (lacht) Jetzt träume ich erstmal den Traum Violetta weiter, solange ich kann, und bewege mich weiter im Schlaraffenland der lyrischen Koloratur-Soprane mit ihren Lucias, Juliettes und Manons. Ich arbeite, versuche gesund zu bleiben und konzentriere mich auch auf das Genießen. Und bleibe wachsam. 

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