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Der Dirigent Dirk Kaftan im Interview

„Ich glaube an den Wert dessen, was wir tun“

Dirigent Dirk Kaftan über das Verhältnis von Beethoven und Bonn – und den Legitimationskampf in der Musik

vonChristian Schmidt,

Drei Opernpremieren, dreißig Konzertprogramme in einem Jahr in einer Stadt – Dirk Kaftan, Jahrgang 1971, ist kein Dirigent der Flughäfen. „Ich vergieße mein Herzblut an dem Ort, an dem ich bin.“ Denn auch außerhalb, so sagt Kaftan, könne er nur dann gut sein, solange er zu Hause glücklich sei. Authentizität entwickle er nicht mit 200 verschiedenen Orchestern. Mit 28 Jahren wurde Kaftan Generalmusikdirektor in Augsburg und ging danach in gleicher Funktion nach Graz. Seit der Spielzeit 2017/18 ist der Familienvater Chef beim Beethoven Orchester in Bonn und wirbelte hier die Musikwelt gehörig durcheinander, indem er in kürzester Zeit sein Publikum fast verdoppelte und zugleich verjüngte. Aber nie platt, sondern immer mit Köpfchen. 2020 nun steht Beethovens 250. Geburtstag ins Haus – doch just dieses ist dann wohl noch nicht fertig, denn die Beethovenhalle wird auch dann noch nicht bespielbar sein.

In zwei Jahren feiert die Musikwelt Ludwig van Beethovens großes Jubiläum. Ist er eigentlich für Bonn zu groß?

Dirf Kaftan: Beethoven ist nicht nur für Bonn zu groß. An ihm muss man sich immer wieder reiben. Er ist wie ein Spiegel in seinen Widersprüchen und in seiner Komplexität. Dennoch glaube ich, dass er enger mit Bonn verknüpft ist, als man landläufig annimmt. Das hat aber vor allem mit dem zu tun, was hinter den Noten steht: Seine prägenden Jahre hat er hier in dieser Stadt verbracht, wo damals die Hofkapelle gespielt hat – neben Mannheim eines der führenden Orchester seiner Zeit. Sein Vater war dort Kapellmeister, Beethoven selbst hat hier mit den Musikern erste Erfahrungen gesammelt. Und was noch viel wichtiger ist: Er hat an der hiesigen Universität, die zu dieser Zeit sehr der Aufklärung verpflichtet war, viele Freidenker kennengelernt, die seine inneren Motivationen geprägt haben. Diese Bonner Freunde hat er zum Teil mit nach Wien genommen, so dass der Komponist auch dort weiterhin in diesen Kreisen verkehrt hat. So hat diese kleine Stadt Beethoven auch länger geprägt.

Dirk Kaftan
Dirk Kaftan © Irène Zandel

Wie stark empfinden die Bonner Beethoven als den ihren?

Kaftan: Das ist ausbaufähig. Sie sind schon stolz auf ihn, aber da Bonn seit dem Wegfall des Hauptstadtstatus auf der Suche nach sich selbst ist, geht das etwas unter. Beethoven ist nicht so leicht vermarktbar wie etwa Mozart; man kann ihn nur über seine Inhalte begreifen und fassen. Dadurch ist man gezwungen, sofort in die Tiefe zu gehen, was andererseits ein großes Potenzial für die Identität seiner Stadt birgt.

Was kann uns Beethoven 250 Jahre nach seiner Geburt noch sagen?

Kaftan: Menschlich verkörpert er einerseits den Spagat zwischen starker Individualität und großer Einsamkeit, ideengeschichtlich große Begriffe wie Völkerverständigung und Weltoffenheit. Sein Schaffen impliziert ja den Glauben, dass sich die Welt verändern kann. Deswegen öffnet uns Beethovens musikalische Dialektik eine große Tür.

Was verstehen Sie darunter?

Kaftan: Musik wird bei ihm nicht vertröstend konsumiert, sondern erlebt. Wir nehmen teil an seiner eigenen Entwicklung geschärfter Formen. Nach dem Hören gehen Musiker und Publikum anders hinaus, als sie hereingekommen sind. Es geht gar nicht so sehr um eine festgelegte Botschaft, sondern um den genuinen Prozess, zu Erkenntnissen zu gelangen. Damit spiegelt Beethovens Musik das Leben selbst.

Auf Ihrer Repertoireliste stehen auch viele Komponisten der neueren Zeit, etwa Berg, Schreker und Schostakowitsch, die sicher den gleichen Anspruch verdienen. Welchen Stellenwert nimmt Beethoven dennoch ein?

Kaftan: Er ist nicht mein großer Gott. Sicher haben sich die genannten Komponisten an ihm gemessen und ihn teilweise weitergedacht. Die Welt ist zu groß, um nur einen Komponisten zu verherrlichen. Aber die tiefere Beschäftigung mit Beethoven hat bei mir schon auch mit meiner Ankunft in Bonn zu tun, wo es auch viele Möglichkeiten der Forschung gibt. Einerseits müssen wir hier eine große Individualität erarbeiten, andererseits in die Breite gehen und Musik als Lebensgefühl in die Stadt tragen.

Sie haben auch ein Schulprojekt gestartet. Mit welchem Ziel?

Kaftan: Wir nennen das „B+“, da befassen sich Schüler ein ganzes Jahr lang mit einer Beethoven-Sinfonie – mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Aus dieser Auseinandersetzung entwickeln sie ganz eigene Beiträge. Diese Projekte führen wir ins Jubiläumsjahr hinein fort und weiten sie auch internatio­nal aus, zum Beispiel mit Stra­ßenkindern in Kolumbien. Musikvermittlung beschrän­ken wir aber nicht nur auf Kin­der und Jugendliche, sondern weiten sie auf alle Generationen aus. So bieten wir auch Live­Filme, Workshops, experimentelle Formate und Ge­spräche mit Musik an. Mein Projekt „Grenzenlos“ bindet sowohl Laien als auch Musiker anderer Kulturkreise ein, eine sehr interessante Erfahrung mit einem Publikum aus Mig­rantenfamilien. 2020 fährt ein Rheinkahn voller Musik von Bonn aus nach Wien – um nur einige Beispiele zu nennen. Man braucht hierfür einen lan­gen Atem, und man darf eine Idee nicht nur einmal umset­zen, dann verpufft sie schnell. Die Neugier lässt sich nicht nachhaltig mit einem einzigen Projekt wecken.

Wofür ist es notwendig, für
 alle da sein zu wollen?

Dirk Kaftan
Dirk Kaftan © Irène Zandel

Kaftan: Wir erleben eine Blütezeit: Es sind noch nie so viele Men­schen in die Oper und ins Kon­zert gegangen wie heute. Den­noch war die Musik, für die wir stehen, noch nie einem solchen Rechtfertigungsdruck ausge­setzt wie zurzeit. Meine Arbeit hat viel mit Politik und Akqui­se zu tun. Warum gibt der Staat so viel Geld aus? Das ist einer­seits lästig und andererseits eine Chance, darstellen zu können, dass die Gesellschaft uns braucht. Es geht nicht da­rum, dass eine kleine privile­gierte Schicht sich selbst feiert und dafür ganz selbstverständ­lich jedes Jahr Millionen aus­gibt. Ich glaube an den Wert dessen, was wir tun – gleich­zeitig aber auch an die Ver­pflichtung, diesen Wert unter Beweis zu stellen.

Sie werden nie alle erreichen.

Kaftan: Darüber mache ich mir keine Illusionen. Manchmal muss man auch Dinge machen, die nicht jedem gefallen. Aber je mehr Menschen wir mit unse­ren Angeboten mitzureißen imstande sind, desto höher sind die Chancen, dass auch in zwanzig, dreißig Jahren die Kommunen bereit sind, Geld dafür auszugeben, dass diese Art der Verbindung zu unseren Ahnen, unserer Geschichte, un­serer Vergangenheit im Blick auf die Zukunft erhalten bleibt.

Befinden Sie sich in einem Legitimationskampf?

Kaftan: Ja. Auch um meinen Musikern den Rücken freizuhalten. Und sie ziehen mit, wollen wahrge­nommen werden, sie wollen kein lebendiges Museum sein. Ihnen ist klar, dass wir keine Zukunft haben, wenn wir keine breite Öffentlichkeit erreichen. Und wenn das Gleichgewicht stimmt, besteht auch nicht die Gefahr, dass man seine Seele verkauft, da darf es auch mal ein Volksfestkonzert vor 6 000 Menschen sein. Natürlich bin ich auch stolz, dass wir die Zu­hörerzahlen deutlich gesteigert haben – und das ohne festen Konzertsaal!

Wie ist der Stand mit der Beethovenhalle?

Kaftan: Ich weiß es nicht. Sie ist immer noch nicht fertig. Wir rechnen auch nicht damit zum Jubiläum. Bauprojekte stehen in Deutsch­ land ja generell nicht gerade unter einem guten Stern. Wir machen aus der Not eine Tu­gend und spielen an ganz vie­len verschiedenen Orten in Bonn, wohin uns die Leute trotz teilweise sehr schwieriger Akustik auch folgen, und wir reisen viel mehr. Man muss sich immer wieder mal neu erfinden. Aber klar: Natürlich brauchen wir eine Heimstatt, der derzeitige Zustand ist sehr unbefriedigend.

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