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Dirigent Enoch zu Guttenberg im Interview

„Ich finde es unerträglich, Musik nur zu konsumieren“

Dirigent Enoch zu Guttenberg blickt auf 50 gemeinsame Jahre mit der Chorgemeinschaft Neubeuern zurück

vonKatherina Knees,

Musik stellt Enoch zu Guttenberg stets in einen Kontext zur Lebenswelt und -realität – und gibt ihr dadurch eine ganz besondere, Guttenberg-typische Relevanz. Als mahnender und visionärer Umweltschützer sowie als polititsch und ethisch denkender Mensch weisen seine Interpretationen weit über das rein Ästhetische hinaus, sei es nun in der sakralen oder sinfonischen Musik.

Bevor Sie Ihre Tournee mit einem Beethoven– und Mendelssohnprogramm starten, steht in München das Jubiläumskonzert der Chorgemeinschaft Neubeuern an, die Sie 1967 gründeten und seither leiten. Dafür haben Sie sich „Die Schöpfung“ ausgesucht – warum?

Enoch zu Guttenberg: Wenn ich auf die fünfzig Jahre zurückblicke, die ich mit der Chorgemeinschaft Neubeuern verbracht habe, gibt es in meinem Leben neben der Musik noch eine andere Tätigkeit, die mich immer sehr bewegt hat, und das ist der Umweltschutz. Ich war Mitbegründer vom BUND und war dort bis zu meinem Ausstieg jahrelang Vorstandsmitglied und Sprecher des wissenschaftlichen Beirats. Weil mir der Erhalt der Schöpfung persönlich sehr am Herzen liegt, haben wir uns deshalb dafür entschieden, in unserem Jubiläumskonzert keine große Chorsinfonie zu machen, sondern Haydns Oratorium. Ich finde, wenn man „Die Schöpfung“ heute aufführt, kann man das nur im Bewusstsein tun, dass diese Musik die liebevollste Beschreibung dessen ist, was dem Menschen in die Verantwortung übergeben wurde.

Inwiefern?

Guttenberg: Haydns „Schöpfung“ und auch „Die Jahreszeiten“ beschreiben die Symbiose von Mensch und Natur. Jetzt sind wir leider gerade dabei, diese wunderbare Schöpfung zu zerstören. Ich kann die Werke nicht aufführen, ohne zu wissen, dass das schon fast ein Grabgesang ist. Ich will damit auch immer wieder aufrütteln, und ich würde mir wünschen, dass die Leute, die im Konzert sitzen, sich auch nochmal klar machen, dass wir eine Verantwortung haben. Wir leben ja leider in einem Zeitalter, in dem die Musik zu einem großen Konsumgut geworden ist. Ich finde es einfach unerträglich, Musik nur zu konsumieren oder zum Genuss anzuhören. Das inhaltliche Verständnis ist für mich immer das Wichtigste.

Als Sie als 21-jähriger Student vor fünfzig Jahren die Chorleitung in Neubeuern übernommen haben, kamen 26 Menschen aus dem Dorf zur Probe in den Pfarrhof. Heute füllen Sie die größten Konzertsäle. Was ist das Geheimnis des Erfolgs?

Guttenberg: Vor vierzig Jahren stand mal über einem Artikel als Überschrift „Das Wunder von Neubeuern“. An dieses Wunder haben sich die Menschen mittlerweile gewöhnt, es ist halt einfach die Chorgemeinschaft Neubeuern. Letztlich ist es aber ein Wunder geblieben. Wir waren letztes Jahr in Peking und Korea sowie auf einer großen Kanada- und Amerikatournee, einschließlich der Carnegie Hall, wo die Leute wirklich Kopf standen vor Begeisterung. Es war alles ausverkauft. Diesen Erfolg darf man dankbar annehmen, aber darauf ausruhen darf man sich nicht. Alles muss immer neu hinterfragt werden.

Ist da zu viel positives Feedback nicht hinderlich?

Guttenberg: Gute und schlechte Kritiken gehören zum Leben dazu. Am weitesten wäre man aber, wenn man sich über die guten nicht mehr freut und über die schlechten nicht mehr ärgert. Gelernt habe ich das noch nicht, aber es wäre gut (lacht).

Sind Sie als künstlerischer Leiter der Chorgemeinschaft Neubeuern und als Dirigent des Orchesters der KlangVerwaltung auch ein musikalischer Visionär?

Guttenberg: Ach, ich wollte ja eigentlich Komponist werden, schon als Kind, weil ich immer schon gespürt habe, dass mir die Sprache nicht ausreicht. Denn wo die Sprache versagt, da geht die Musik weiter. Schließlich bin ich aber Musiker geworden, weil es für einen Komponisten nicht gereicht hat (lacht). Da habe ich mir gesagt, ich möchte wenigstens die Musik weitertragen, die den Menschen so viel gibt und ihnen Wege zeigt, manchmal sogar Auswege. Im Moment habe ich mich mal wieder in die achte Sinfonie von Mahler verbissen. Ich arbeite sehr oft an Partituren, auch wenn keine Aufführungen vor der Tür stehen. Ich schlafe dann abends damit ein und wache morgens wieder damit auf.

Wenn ich Bruckner- oder Mahlersinfonien mit meinen Ensembles aufführe, dann geht es mir auch darum, dass das oft Bekenntnisse eines unglücklichen und zerrissenen Lebens sind. Es geht um Erzählungen mit Hoffnungsperspektiven, die auch immer wieder zusammenbrechen. Bei Mahler ist schon die ganze Tragik des kommenden 20. Jahrhunderts in der Musik spürbar. Bei den Musikern der KlangVerwaltung merke ich, dass sie glücklicherweise ganz viel über den Kontext wissen und auch darüber diskutieren wollen. Unser Repertoire geht durch alle Epochen, vom Barock bis in die Moderne, und ist dabei immer inhaltsbezogen.

Wonach entscheiden Sie, welche Stücke und Inhalte Sie mit ihren beiden Ensembles auf die Bühne bringen möchten?

Guttenberg: Ich gehöre zu den Menschen, die zugeben, dass es Musik gibt, die sie nicht wirklich verstehen. Und diese Musik mache ich nicht. Ich kann nur die Musik aufführen, die mich persönlich tief berührt und bewegt. Da kann man dann in der Interpretation auch mal daneben­liegen, keine Frage. Ich kann ja auch nicht verlangen, dass das, was mich bewegt, auch meinen Nachbarn bewegt. Da­rum ist es ja auch gut, dass es verschiedene Dirigenten und Interpreten gibt, weil es nun mal jeder anders sieht. Manch­mal ärgere ich mich über eine Kritik, selbst wenn ich eine gute bekomme. Und zwar, wenn der Kritiker seine Meinung für die einzig gültige hält, denn das ist falsch. Es ist ja das Schöne daran, dass die Werke so groß sind, dass man sie aus unterschiedlichen Gesichts­punkten sehen und interpre­tieren kann. Aber es muss eine Wahrheit dahinterstecken, eine persönliche und subjektive Wahrheit, die man fühlt.

Wie würden Sie denn den Charakter des Orchesters der KlangVerwaltung beschreiben?

Guttenberg: Es sind viele Kammermusiker im Orchester. Deshalb können wir selbst an die größten romantischen Sinfonien aus Kammermusiksicht herantre­ten. Der Konzertmeister An­dreas Reiner war lange Prima­ rius des Rosamunde Quartetts, und die Musiker haben dann zum Teil auch zu viert im Or­chester mitgespielt. Wir haben grundsätzlich eine sehr offene Arbeitsweise, die so ein biss­chen einen Workshop-­Charak­ter hat. Ich gebe zwar vor, in welche Richtung die Interpre­tation läuft, aber jeder Musiker darf auch fragen: „Moment mal, warum machen wir die Stelle eigentlich so?“ Dadurch errei­chen wir am Ende, dass die Musiker zu hundert Prozent hinter der Interpretation ste­hen, und das ist natürlich eine tolle Sache.

Ein Jubiläum regt ja immer auch ein bisschen zum Nachdenken an. Schauen Sie gerne zurück oder blicken Sie lieber nach vorne?

Guttenberg: Wir müssen ja nach vorne schauen. Aber das Nachvorne­ schauen macht, wenn ich das ohne die Musik tue, immer weniger Freude. Die aktuelle politische Weltlage und unser zerstörerischer Umgang mit der Umwelt erfüllen mich ehr­lich gesagt mit allergrößter Sorge. Ich glaube nicht, dass man über die Kunst etwas be­wirken kann. Aber die Kunst selber hebt den Zeigefinger. Musik, Literatur und Malerei erzählen viel von der Welt. Wie sie ist, wie sie war, aber auch, wie sie sein könnte oder viel­leicht sein sollte. Insofern ist es für uns, die mit der Kunst arbeiten dürfen, ein großes Geschenk und Privileg. Man ist ja als Musiker selbst ein leben­diger Teil von einem Kunst­werk, und so reist man mit der Musik doch irgendwie immer in eine andere Welt. Es ist, als würde man sich in eine Zeit­maschine setzen. Und man kann aus dieser anderen Welt sehr viel für die Gegenwart mitnehmen.

Enoch zu Guttenberg leitet „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn:

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