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Interview Omer Meir Wellber

„Was im Graben passierte, war unglaublich!“

Dirigent Omer Meir Wellber über ungewöhnliche Opernproduktionen, seine Liebe zum Akkordeon und sein Engagement für soziale Projekte.

vonIrem Çatı,

Direkt an der Alster liegt das Hotel Vier Jahreszeiten, in dem Omer Meir Wellber während seines kurzen Hamburg-Aufenthaltes weilt: Sein Debüt mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester steht an diesem Abend an, das gleichzeitig auch sein erster Auftritt in der Elbphilharmonie selbst sein wird. Überhaupt konnte der israelische Dirigent in den letzten Jahren zahlreiche Debüts bei Spitzenorchestern feiern.

Mit dem Akkordeon fing alles an. Heute sind Sie einer der gefragtesten Dirigenten weltweit. Klingt nach einem langen und aufregenden Weg!

Omer Meir Wellber: Das Akkordeon spiele ich immer noch. So wie letztes Jahr am Tag der offenen Tür des Gewandhauses. Ich finde es schön zu sehen, wie das Akkordeon kommt und geht, aber doch immer bleibt. Es war eben meine erste Liebe. Später kamen noch Klavier und Komposition dazu. Das Interessante war, dass ich mich mit meinem Kompositionsprofessor an der Musikhochschule in Jerusalem nicht so gut verstanden habe, dafür aber mit meinem Dirigierprofessor. Ich hatte das Dirigieren am Anfang nicht so ernst genommen, aber weil es mit ihm so gut geklappt hat, dachte ich, dass ich daraus etwas machen kann. Und am Ende war das vielleicht gar nicht so schlecht.

Beim Komponieren sind Sie aber geblieben, oder?

Wellber: Nicht wirklich. Ich habe nur wenig Zeit und viel andere Musik im Kopf. Ich finde die Ruhe nicht, die man dafür braucht.

Ab Juli sind Sie Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra. Kennen Sie die Musiker bereits?

Wellber: Wir hatten innerhalb eines Jahres schon einige Male zusammen gearbeitet, um uns kennenzulernen. Das war unglaublich wertvoll, weil das Repertoire sehr groß ist. Die Möglichkeiten der BBC sind einfach fantastisch, und es wird spannend sein zu erleben, wie wir mit unserer Arbeit innerhalb und auch außerhalb Manchesters gehört und gesehen werden können.

Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit?

Wellber: Wir wollen andere Wege gehen. Ich möchte gerne meine Proben und Konzerte per Live­stream in Schulen in Manchester übertragen. Das wurde vorher noch nicht gemacht, obwohl man das gut organisieren kann und die BBC für ein solches Vorhaben eigentlich der ideale Partner ist. Für die BBC Proms habe ich ein ausgefallenes Programm geplant. Ich kann viel ausprobieren, und das finde ich sehr gut.

Ihre eigentliche Hauptarbeit liegt aber im Opernbereich.

Wellber: Die Oper war meine zweite Liebe nach dem Akkordeon.

Wissen Sie noch, wann Sie dem Genre verfallen sind?

Wellber: Ich weiß nicht mehr, welche Oper ich zuerst gehört habe. Aber meine erste Erfahrung in dem Bereich war mit 21 Jahren bei Alban Bergs „Wozzeck“ – dort habe ich als Bühnenmusiker in der Bar-Szene Akkordeon gespielt. Die Musik hat bei mir einen sehr starken Eindruck hinterlassen. Die erste Oper, die ich dann dirigiert habe, war „Un ballo in maschera“ in Tel Aviv mit einer unglaublichen Besetzung. Es sangen Michèle Crider, vielleicht die beste Amelia, Jonathan Summers und Piero Giuliacci.

Sie haben Mozarts Da-Ponte-Opern an der Semperoper dirigiert und darüber ein Buch geschrieben.

Wellber: Das Buch war zunächst nicht beabsichtigt. Geplant war ein Mozart-Zyklus mit den drei Da-Ponte-Opern „Così fan tutte“, „Don Giovanni“ und „Le nozze di Figaro“. Aus den Erfahrungen mit diesen Opern ist dann die Idee zum Buch entstanden. Wir haben Mozarts Opern zu den unseren gemacht. Wirklich neu war die Idee, dass ich als Dirigent am Cembalo mitspiele und zum Teil improvisieren kann. Für mich waren diese Produktionen sehr besonders, weil wir – das Orchester und ich – so viel Kreativität Raum geben konnten. Für mich war das ein sehr beglückendes Gefühl von Freiheit. Und jetzt können wir diese Reise auch fortsetzen, da ich seit Beginn der Saison 2018/19 Erster Gastdirigent der Semperoper Dresden bin.

Omer Meir Wellber
Omer Meir Wellber

Zählt zu diesen Freiheiten auch, dass Sie Techno in eine Verdi-Oper einbringen?

Wellber: Das war in München bei der Neuproduktion von Verdis ­„Sizilianischer Vesper“ an der ­Bayerischen Staatsoper: Unser Regisseur hatte die Idee, die Aufführung ohne Ballett zu machen, weil es damit in der Grand opéra immer Probleme gibt. Wir haben nach Lösungen gesucht und die erste Idee war, ein modernes Ballett zu machen, vielleicht Tango oder Heavy Metal. Am Ende hat aber der Techno gewonnen. Und was im Graben passierte, war unglaublich, denn da haben wir nur Verdi gespielt. Das ging dann in den Computer und wurde zu Loops. So war ich gleichzeitig auch Live-DJ. Mittlerweile gibt es schon die dritte Wiederaufnahme in München, und es ist schön zu sehen, dass mit neuen Ideen auch Zuschauer, die keine üblichen Operngänger sind, für Vorstellungen gewonnen werden können.

Sie leben mittlerweile in Europa, haben aber immer noch eine starke Verbindung zu ihrem Heimatland Israel, wo Sie noch regelmäßig dirigieren.Wäre es eine Option für sie gewesen, dort zu bleiben?

Wellber: Nein. Meine Tochter ist in Italien, und obwohl ich in Israel mein Orchester, das ­Raanana Symphonette habe, denke ich, dass ich als Gast andere Perspektiven mitbringen kann.

Sie sind seit 2009 Chefdirigent des Raanana Symphonette Orchestra, das sich für Musikvermittlung einsetzt.

Wellber: Das Orchester wurde vor ungefähr dreißig Jahren gegründet. Die Idee war, dass die während der Einwanderungswelle in den 1990er Jahren nach Israel gekommenen Musikerinnen und Musiker eine Arbeit finden. Das war damals wirklich eine problematische Situation. Nur sehr wenige konnten beispielsweise eine Position im Israel Philharmonic Orchestra oder in anderen Orchestern bekommen, aber zugleich war so viel musikalisches Potenzial da, das irgendwie brach lag und nicht zum Zuge kommen konnte. Und so haben sich Orchester wie das Raanana gegründet, die diesen Musikerinnen und Musikern eine neue Heimat geben. Da sind wirklich unglaubliche Menschen dabei – teilweise mit schweren Schicksalen. Und das ist auch das Interessante bei ihren Programmen: Es geht um jüdische Tradition, Immigration, politische Probleme und andere aktuelle Themen.

Und der Aspekt der Musikvermittlung?

Wellber: Ein regulärer Tag unserer Musiker beginnt immer in einer Schule. Dort spielen sie jeden Morgen eine Stunde lang mit den Schülerinnen und Schülern. Wir machen das an insgesamt zwölf Schulen – mehr geht nicht, weil die Zahl der Musiker einfach nicht ausreicht. Aber die Warteliste ist sehr lang. Die Schulen kommen auch alle drei Monate zu uns, um sich ein Sinfonie­konzert anzuhören. Ich glaube in der letzten Spielzeit haben wir damit an die 70.000 Kinder erreicht.

Sie engagieren sich als Botschafter in dem Projekt „Save a Child’s Heart“, das Kindern aus der Dritten Welt medizinische Eingriffe am Herzen ermöglicht. Was hat Sie dazu bewegt?

Wellber: Ein Freund hat mir von „Save a Child’s Heart“ erzählt und ich war sofort vom Ansatz überzeugt. Für mich war klar , dass ich mich dafür einzusetzen will. Außerdem wollte ich neben meinem Wirken an großen Häusern immer auch Projekte unterstützen, die versuchen, das Leid von Menschen zu lindern, das diese Welt nun mal produziert. Es ging mir darum, etwas auf ganz andere Weise Sinnstiftendes zu fördern, über dieses Engagement zu sprechen und so andere für dieses Projekt zu begeistern. Was die Menschen dort leisten ist fantastisch. Deswegen engagiere ich mich als Botschafter und spreche – wie jetzt – viel über das Projekt. Um es zu unterstützen, geben wir ein oder zwei Mal im Jahr ein Benefizkonzert.

Wo findet man Sie abseits der Musik?

Wellber: Vielleicht in einem Bücherregal. Wenn ich mich nicht mit Musik befasse, schreibe ich gerne – zur Zeit ein neues Buch – oder lese. Zu meiner Tochter nach Hause zu kommen ist wie Urlaub für mich. Richtig Freizeit gibt es allerdings nicht. Dafür ist unser Beruf nicht gemacht.

Omer Meir Wellber dirigiert Debussy:

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