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Dirigent Pablo Heras-Casado im Interview

„Ich arbeite sehr viel – eigentlich ständig“

Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado über sein Faible für Papier, seine frühen Ambitionen als Komponist – und 
über seine prominente Ehefrau

Vermutlich wäre es leichter, jene internationalen Orchester aufzuzählen, die Pablo Heras-Casado nicht dirigiert hat. Im Juni steht er nun am Pult des NDR Elbphilharmonie Orchesters.

Herr Heras-Casado, Ihre Frau ist eine in Spanien recht bekannte Fernsehjournalistin. Welche Frage würden Sie ihr nicht beantworten?

Pablo Heras-Casado: (lacht) Oh, das weiß ich gar nicht. Schließlich habe ich sie auch über ein Interview kennengelernt. Offenbar habe ich auf ihre Fragen richtig geantwortet, denn nach sechs Jahren sind wir immer noch zusammen.

Ihre Frau moderierte diverse People-Formate und ist sehr populär. Hat das Ihr Leben verändert?

Heras-Casado: Nicht wirklich. Das hängt auch von meiner Frau ab. Fast jeder kennt sie hier in Spanien, aber im Hinblick auf ihre Familie ist sie sehr zurückhaltend und diskret. Jeder hat eben seine Karriere, sie im Fernsehen und ich auf der Bühne. Natürlich geben wir auch mal ein Interview in der Klatschpresse. Ich habe überhaupt kein Problem damit.

Wir sind kein Klatschmagazin, wollen aber natürlich auch etwas über Sie wissen. Es wird einem regelrecht schwindelig, wenn man an Ihr Repertoire denkt, das von Tomás Luis de Victoria über Monteverdi bis hin zu Schostakowitsch reicht, von Verdi über Rachmaninow bis hin zu Boulez, von Beethoven, Schubert …

Heras-Casado:… bis hin zu Debussy. Ich arbeite sehr viel – eigentlich ständig. Jedes Projekt erfüllt mich mit großer Leidenschaft. Gerade habe ich vor drei Tagen die Fünfte von Bruckner dirigiert, dann habe ich sehr viel Mendelssohn gemacht. Nun sitze ich mit Calixto Bieito hier in Madrid an der Inszenierung der Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann. Ja, es ist sehr viel Arbeit, die ich mit großer Strenge und Disziplin bewältige.

Wie beginnen Sie den Tag?

Heras-Casado: Hier in Madrid stehe ich sehr früh auf und frühstücke mit der Familie. Manchmal stehe ich aber noch früher auf, um das Pensum zu schaffen. Gerne arbeite ich auch in der Nacht. Ich liebe diese besondere Form der Stille, wenn niemand mehr wach ist und kein Telefon klingelt. Diese Stimmung inspiriert mich. Wenn ich unterwegs bin, habe ich natürlich immer meine Partituren dabei.

Auf dem Tablet?

Heras-Casado: Auf keinen Fall! Ich habe selbstverständlich auch ein iPhone und all diese technischen Gerätschaften, die man heute so hat. Ich bin aber geradezu ein Papierfetischist – im wahrsten Sinne des Wortes. Für mich sind die Partituren wie Kultobjekte, ganz persönliche Dinge, ich brauche sie um mich herum. Ich mag Papier, mag die Noten darauf „anfassen“ und mit Zeichen versehen und auch mal ein solches wieder wegradieren. In diesem körperlichen, visuellen Prozess lerne, verinnerliche, begreife ich die Architektur der Musik. Vermutlich viel besser, als wenn ich sie virtuell erarbeiten würde.

Was schreiben Sie so in eine Partitur hinein?


Heras-Casado: Ich versuche nichts an den Noten zu ändern, sondern nur bestimmte Passagen oder Phrasen zu verstärken. Ich schreibe nie etwas Persönliches hinein, nichts, was mit dem Charakter oder der Stimmung des Stückes zu tun hätte, weil ich später am Podium nicht davon beeinflusst werden möchte. Ich habe so einen fantastischen Stift, auf der einen Seite kann man mit roter, auf der anderen mit blauer Farbe schreiben.

Das Blau …

Heras-Casado:… ist für die Strukturierung der Tempi, das Rot für die unterschiedlichen Einsätze.

Pablo Heras-Casado
Pablo Heras-Casado © Fernando Sancho

Wären Sie gerne Komponist geworden?


Heras-Casado: Nicht unbedingt. Ich bin fasziniert davon, das Werk eines anderen zu vermitteln, ihm eine Stimme zu verleihen, ihm Leben zu geben. Als ich klein war, habe ich ein Ballett komponiert und ich bekam einen Preis, aber eigentlich bin ich ein Dirigent.

 

In der Elbphilharmonie werden Sie unter anderem das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms aufführen. Hans von Bülow dirigierte es 1882 in Berlin, vermutlich mit weißen Handschuhen …

Heras-Casado: Ich lebe gerne in unserem Zeitalter. Heute gibt es wesentlich mehr Teamarbeit. Der Dirigent ist nicht mehr diese mystische, übermenschliche, göttliche Figur wie im 19. Jahrhundert. Es ist wichtig, dies alles zu wissen, und dennoch ziehe ich die heutigen Zeiten vor. Sie sind auf diesem Gebiet wesentlich demokratischer, näher an der allgemeinen Gesellschaft, menschlicher, wenn Sie so wollen. Freier.

Gleichzeitig werden mit der Freiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung auch sämtliche Tabus gebrochen, wie jetzt die Entscheidung der ECHO-Preis-Jury zeigte.

Heras-Casado: Ich glaube, dass die Entscheidung, Musiker auszuzeichnen, die in ihrem Werk antisemitische oder frauenfeindliche Töne anschlagen, sehr unglücklich und nicht richtig war. Und dennoch glaube ich nicht, dass man das Problem löst, indem man die ECHOs zurückgibt.

Sie selbst wurden mehrmals ausgezeichnet.


Heras-Casado: Ja, einmal für eine DVD mit Donizettis „L’elisir d’amore“ und einmal für eine Schumann-CD. Das sind Preise, die wir und alle Kollegen, die einen ECHO bekommen haben, uns in diesem Moment verdient haben. Die Jury hat damals diese Entscheidung getroffen und sich auch nicht im Nachhinein „geirrt“. Ich weiß, dass die Angelegenheit mit sehr viel Sensibilität behandelt werden muss, und ich will auch gar nicht über das Verhalten von Daniel Barenboim oder Christian Thielemann urteilen. Es ist eine legitime Art des Protests. Ich denke nur: Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Ich kann auch nicht sagen, ich bin jetzt kein Spanier mehr, weil mein Land eine Entscheidung getroffen hat, die nicht richtig war oder die mir nicht gefällt.

Apropos Spanien. Sie sind Chefdirigent von St. Luke in New York, verantworten aber auch das Festival von Granada und sind Erster Gastdirigent am Teatro Real in Madrid. Wenn Sie den spanischen Musikbetrieb mit dem deutschen vergleichen müssten …

Heras-Casado: Im Franquismus gab es so gut wie keine Musik, keinen Zugang zur abendländischen Kultur. Als Franco starb, wuchs langsam auch institutionell eine Musikkultur heran mit Hochschulen und Konzerthäusern. Wir haben zwar auch ein reiches Kulturerbe, in der Literatur, in der Malerei und auch in der Musik. Dort aber fehlt es immer noch an einem wirklichen Bewusstsein. Man muss noch so viel tun, publizieren und edieren. Weder alle Kathedralen noch Schlösser haben Archive. Es liegt auch ein bisschen am Charakter, es wird viel herumdiskutiert, anstatt sich zu organisieren und zu machen. Meist sind es dann die Engländer oder die Deutschen, die unser Repertoire entdecken und spielen.

Na ja, Ihnen kann man nun nichts vorwerfen. Als einstiger Sängerknabe aus Granada gründeten Sie das Vokalensemble Capella Exaudi, waren Mitbegründer des avantgardistischen Ensembles Sonóora, riefen 2002 das Barockorchester Barroca de Granada ins Leben und 2007 das Ensemble La Compañía Teatro del Principe, das auf historischen Instrumenten musizierte …

Heras-Casado: Leider ist uns vielfach das Geld ausgegangen. Und ich hatte keine Zeit mehr.

Haben Sie noch Zeit, auf den Mulhacén, den höchsten Berg des spanischen Festlands bei Granada, zu steigen?

Heras-Casado: Seit einem Jahr war ich nicht mehr da. Und fühle mich fast schuldig. Denn das Bergsteigen ist für mich sehr wichtig!

Auch Brahms, Mahler, Karajan liebten die Berge. Warum?


Heras-Casado: Die Einsamkeit und die Stille sind phänomenal. Sie stellen sich allerdings erst ein, wenn man 2.500 bis 3.000 Meter überschreitet. Man ist dann an einem Ort, der einen zurückführt zu sich selbst, auf die Essenz. Es ist wie eine Art Reinigungsprozess. Ein fast unerklärliches Gefühl. Man fühlt sich sehr weit entfernt von allem und gleichzeitig auch sehr verbunden mit der Erde.

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