Als Yaara Tal und Andreas Groethuysen die Tür zu ihrer Dachwohnung im Münchner Stadtteil Schwabing öffnen, wird schnell klar: Hier sind Musiker zuhause. Noten- und CD-Regale säumen den langen Flur, es gibt zwei Klavierzimmer mit insgesamt drei Flügeln – fürs getrennte Üben und das gemeinsame Spiel. Und im Wohnzimmer zeugt ein Regal mit unzähligen Stadtplänen von den vielen Stationen der mittlerweile über drei Jahrzehnte währenden Karriere des Klavierduos.
Ihre Karriere als Duo begann 1985 – wird das vierhändige Klavierspiel heute mehr beachtet als zu Ihrer Anfangszeit?
Groethuysen: Ja.
Tal: Jein.
G: Zumindest sehen wir, dass es heute mehr qualifizierte Duos und sehr guten Nachwuchs gibt. Was aber nicht heißt, dass es leichter geworden ist, sich als Duo zu etablieren. Denn die Nachfrage ist nach wie vor relativ gering.
Warum?
G: Das liegt vor allem am Repertoire, das zunächst einmal begrenzt erscheint. Klavierduos haben eben keine 32 Beethoven-Sonaten oder Chopin-Balladen zur Verfügung. Es ist ein stark reduziertes, sehr spezialisiertes Repertoire, weshalb wir uns auch genötigt sahen, die Fühler weit auszustrecken.
So haben Sie eine ganze Reihe von Werken und Fassungen zu vier Händen zum ersten Mal aufgeführt.
G: Ja, wir haben eine ganze Menge gefunden, damit auch gewisse Achtungserfolge gehabt. Doch bis sich solche Werke etablieren, auch im Repertoire der anderen Duos, braucht es seine Zeit.
T: Auf jeden Fall sehen wir einen akademischen Bedarf. Die Münchener Musikhochschule hat uns vor zehn Jahren gebeten, eine Duo-Klasse zu übernehmen, vor zwei Jahren kam Salzburg dazu, wo Andreas jetzt Professor für Klavier und Klavierduo ist.
Ernten Sie heute, was Sie in den drei Jahrzehnten angepflanzt haben?
T: Rein künstlerisch würde ich das bejahen. Ich habe uns immer ein bisschen wie Pfadfinder gesehen: Die tun die Steine beiseite und die nachfolgenden Wanderer haben es dann leichter. Mittlerweile haben wir die Steine weggeräumt – aber die Wanderung machen wir auch noch. Es gibt immer noch Repertoire, das wir entdecken, wir haben immer noch Pläne.
Sie bedauern, keine Beethoven-Sonaten zu haben – reicht da wirklich nichts Vierhändiges heran?
G: Doch, aber die Werke kann man im Grunde an zwei Händen abzählen: Es gibt einige von Schubert, von Rachmaninow, Brahms’ f-Moll-Sonate für zwei Klaviere – das ist schon erstklassige Literatur. Auch bei Mozart, seine gewichtigste Klaviersonate ist meiner Meinung nach eine vierhändige.
T: Ich glaube, dass etwa für Schubert, Mozart oder Mendelssohn die Duo-Gattung ein Experimentierfeld war. Die Stücke haben sie oft mit Schülern und Freunden gespielt, sie haben Einiges ausprobiert. Auch wenn manche Werke vielleicht nicht so vollendet klingen wie ihre Solo-Literatur, merkt man, dass bestimmte Ideen hier geboren wurden.
G: Doch was in diesem Genre eher die Ausnahme ist, das ist die echte Bekenntnismusik.
Zu der Sie dann vor allem durch die Transkriptionen gekommen sind.
G: Ja, so etwas wie die Goldberg-Variationen, das 1. Klavierkonzert von Brahms in der vierhändigen Fassung, Bearbeitungen bestimmter Orgelwerke – das ist wunderbare Musik, die Sie mit vier Händen unglaublich gut nachvollziehen, zum Teil sogar verständlicher machen können, als es das Original vermag.
T: Der Reiz des Duo-Spiels liegt in der Vielseitigkeit: es gibt Werke, die der Unterhaltung dienen sollten, es gibt das Experimentelle, Bekenntnismusik wie die Schubert-Fantasie in f-Moll, Transkriptionen – und dazu den Spaß, nicht allein sondern zu zweit am Klavier zu sitzen.
Bei unserem letzten Gespräch erzählten Sie, dass Sie besonders mit Hilfe des Internets auf viele unentdeckte Klavierwerke gestoßen sind.
G: Ja, 2009 waren wir bei einem Stand von 22 000, heute sind es etwa 45 000 Titel …
… was für Werke sind das?
G: Raritäten, die nicht verlegt wurden oder käuflich nicht erwerbbar sind: zweihändig, vierhändig, für zwei Klaviere, Bearbeitungen, abgehörte Improvisationen. Etwa die Danse Excentrique von Wladimir Horowitz wurde nie verlegt, doch im Netz kursieren drei Versionen davon. Wir haben durch das Internet sehr viel Literatur gefunden. Abseitiges, schwer Greifbares, Stücke, an die wir sonst nie dran gekommen wären, wo wir jahrelang für hätten forschen müssen.
Zählen zu dem „Abseitigen“ auch die Werke des Debussy-Zeitgenossen Reynaldo Hahn, die Sie jüngst auf CD eingespielt haben?
G: Auf jeden Fall. Das ist schon ziemlich abseitige Musik, die im Konzertsaal auch so gut wie nie zu hören ist.
T: Nach außen klingen die Stücke entertainmenthaft, aber es ist eine sehr spezifische Harmonik. Wir mussten sehr lange daran feilen, damit diese einfach zu genießende Qualität nicht verloren geht.
Die CD ist beim Label Sony Classical erschienen, mit dem Sie bereits 25 Jahre zusammenarbeiten – erstaunlich lange …
G: Ich glaube, nur Murray Perahia ist länger bei Sony als wir. Und Yo-Yo Ma.
T: Ich habe das Gefühl, dass Sony mit uns eine Art künstlerische Ehe eingegangen ist, um einmal das Repertoire für Klavier zu vier Händen und für zwei Klaviere möglichst umfangreich zu dokumentieren. Das hat so noch kein anderes Major-Label gemacht.
Sind Sie dadurch auch ein Motor des Genres geworden?
G: Vielleicht ein bisschen. Die anderen Duos kriegen das auf jeden Fall immer mit. Und es ist ja super, wenn man eine Aufnahme von jemandem hat, auf der man dann aufbauen kann. Ein Stück weit bilde ich mir auch ein, dass unsere Aufnahmen den Stil insbesondere des gelegentlich ja etwas drögen vierhändigen Spiels in eine gewisse Richtung geprägt haben, indem wir versucht haben, es möglichst fein, differenziert aber auch spritzig und virtuos zu gestalten.
Spielt ein Mann-Frau-Duo anders vierhändig als zwei Geschwister?
G: Ja, ich behaupte – und erlebe das auch tatsächlich so – dass speziell beim Vierhändigen das Musizieren mit einem Lebenspartner auch eine erotische Komponente hat. Die Lust am gemeinsamen Klang ist ein ganz besonderes Erlebnis. Ich bin überzeugt, dass ich das mit jemandem, zu dem ich kein so affektives Verhältnis habe, so nicht entwickeln könnte. Da wäre die Offenheit und innere Bereitschaft, sich so einzubringen, wahrscheinlich nicht da.