Startseite » Interviews » „Auf Glück baut man keine Karriere“

INTERVIEW ERWIN SCHROTT

„Auf Glück baut man keine Karriere“

Erwin Schrott über seine deutschen Wurzeln, sein Repertoire und die Vergänglichkeit von Stars

vonChristian Schmidt,

Erwin Schrott, eben 40 geworden, galt eine ganze Zeit lang als Geheimtipp und wurde vor allem als Schönheit an der Seite Anna Netrebkos wahrgenommen, mit der er einen mittlerweile vierjährigen Sohn hat. Spätestens aber seit er 2008 in Salzburg debütierte, ist aus dem Edel- ein Starbariton geworden, der sich die größten und schönsten Bühnen der Welt aussuchen kann. Der Beau mit weißem Hemd und Talismankettchen liebt das Understatement, denn er kann sich’s leisten. Sein silbrig-männlicher, kerniger Bassbariton eignet sich für Don Giovanni ebenso wie für den uruguayischen Tango – der heimatlichen Musik hat sich Erwin Schrott aus Liebhaberei verschrieben, nachzuhören im jüngsten Album „Rojotango“.

Herr Schrott, woher kommt eigentlich solch ein für deutsche Ohren erstaunlicher Name?

Offenbar von einem längst verloren geglaubten Familienzweig aus Mitteleuropa. Uruguay ist wie Argentinien und Brasilien ein Einwanderungsland, so dass es für die meisten Familien normal ist, spanische, italienische, französische oder eben deutsche Namen zu haben.

Wie wichtig sind Ihnen Ihre deutschen Wurzeln?

Ich weiß nur sehr wenig von meinen deutschen Wurzeln; ich fürchte, während der Diktatur in Uruguay gingen viele Dokumente verloren. Es ist eine Schande, weil ich wirklich gerne mehr wissen würde. Soweit ich es zurückverfolgen konnte, bin ich halb uruguayisch und halb spanisch – mit einem deutsch klingenden Namen.

Ist das deutsche Publikum eigentlich anders als das in Uruguay?

Naja, in Uruguay gibt es nicht so viele Opernhäuser wie in Europa. Es wäre ungerecht, eine Parallele zwischen so verschiedenen Welten zu ziehen. Aber in unserer Zeit, in der es so einfach ist, Musik, Literatur und Filme von jedem beliebigen Ort aus über das Internet zu konsumieren, ist es auch leichter, etwas über Oper und klassische Musik zu lernen, auch wenn Sie tausende Kilometer vom Entstehungsort entfernt sind. Denken Sie nur an die digitale Konzerthalle der Berliner Philharmoniker: Sie können in Montevideo sitzen und live zuhören, wenn Simon Rattle dirigiert. Natürlich ist das nicht die gleiche Erfahrung wie im Konzertsaal, aber die Zeiten ändern sich, die Menschen hören, lesen und sehen nicht nur, was in ihrer Nachbarschaft produziert wird. Kultur ist überall, und neue Medien ermöglichen einen leichteren Zugang zu ihr, das ist eine absolut gute Sache.

Verraten Sie uns mal, wie man so ein berühmter Sänger wird wie Sie.

Es gibt kein Erfolgsrezept. Nicht nur als Sänger, auch generell muss man in der Regel hart arbeiten, studieren, die richtigen Chancen ergreifen – und wenn man sie erwischt, braucht es Beharrlichkeit. Niemand will ein Ein-Hit-Wunder sein. Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg.

Naja, ganz so einfach ist es ja doch nicht, oder? Beharrlich sind viele, so weit wie Sie bringen es nur wenige. Es muss ja doch ein Geheimnis dabei sein.

Da gibt es kein Geheimnis, wirklich, in meinem Fall jedenfalls. Mir ist schon klar, dass viele Leute ein ganzes Leben lang studieren, ohne jemals das zu erreichen, was sie möchten, aber wer bin ich, um sie zu beurteilen? Alles was ich weiß, ist, dass ich immer mein eigenes Ding gemacht habe. Wenn Sie so wollen, befinde ich mich noch immer in der Ausbildung. Einige Chancen habe ich ergriffen, andere verpasst. Aber ich habe immer versucht, meine guten Beziehungen zu Kollegen und Theatern auf der ganzen Welt in Gang zu halten und so zuverlässig und professionell zu sein, wie ich kann. Und ich sage Ihnen: Man muss immer wachsam bleiben, denn es gibt nie eine Phase, in der man sagen kann, das ist es, jetzt hab’ ich’s geschafft. In dem Moment, in dem Sie glauben, die Spitze erreicht zu haben und nun für immer die Welt zu regieren, kommt jemand anderes und verdrängt Sie von Ihrem Platz.

Wie viel Glück gehört dazu?

Glück ist in dem Maße beteiligt, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Wenn man Talent hat, das man aber nicht entwickelt, wird kein Glück der Welt helfen, weil Talent allein nicht ausreicht. Wiederum Glück allein reicht auch nicht, denn früher oder später bemerken auch die dümmsten Menschen den Betrug. Also ja, Glück gehört dazu, aber man kann darauf keine Karriere aufbauen, geschweige denn irgendetwas anderes. Man kann nur hoffen, das Glück auf seiner Seite zu wissen.

Manchmal hat man den Eindruck, die Klassikwelt teilt sich in zwei Hälften: den „Teppich“ des soliden Repertoirebetriebs und die High-Society-Sphäre der Stars, wie Sie einer sind. Wie nehmen Sie das wahr?

Ehrlich gesagt: völlig anders. Ich kann die Leute nur in gute und schlechte einteilen, und dazu gehören auch gute und schlechte Sänger, Musiker, Künstler. Prominenz ist vergänglich, man kann Jahrzehnte ein Star sein oder einfach nur ein paar Tage, und man kann nie wissen, wann dieses Sterngeflimmer verblasst. Andererseits verblasst gute Musik nie, egal wer musiziert. Ein guter, solider „Teppich“ von Repertoiretheatern in der Provinz und Musikschulen erscheint mir noch immer der beste Weg, um Musikalität überall zu verbreiten.

Gibt es in Uruguay, abgesehen vom Tango, Musik, die Sie den ignoranten Europäern dringend ans Herz legen würden?

Da gibt es viel gute Musik und exzellente Musiker, in Vergangenheit und Gegenwart – da ist zum einen natürlich Jorge Drexler, der sogar einen Oscar für den Original-Soundtrack von „Die Reise des jungen Che“ gewann; Ruben Rada, der ein ganz erstaunlicher Percussionist ist, wurde beim Latin Grammy für sein Lebenswerk ausgezeichnet; Los Olimareños waren eine der wichtigsten traditionellen Musikgruppen in Lateinamerika. Und natürlich Alfredo Zitarrosa, der möglicherweise der einflussreichste Popularmusiker war. Die Rockband La Vela Puerca ist, glaube ich, auch in Deutschland bekannt. Ich könnte noch viele aufzählen…

Einer der wichtigsten Fürsprecher der uruguayischen Musik sind Sie selbst – Sie singen ja auch Tango, tanzen Sie auch manchmal mit Ihrer Frau?

Ich bin übrigens ziemlich stolz darauf, ein Fürsprecher der uruguayischen Musik zu sein, aber gerechterweise muss man sagen: Der Tango gehört auch den Argentiniern! Auf meinem Album Rojotango singe ich ja auch Musik aus anderen Ländern Südamerikas, zum Beispiel aus Chile und Brasilien, und nicht nur Tango. Aber zum Tanzen haben wir wirklich keine Zeit, die geht für Familie und Engagements drauf.

Nerven Sie eigentlich solche Boulevardfragen? Viele Klassikstars müssen sich den Gesetzen der Yellow Press unterwerfen: über Privates berichten, gut aussehen, häufig sogar sexy sein.

Die Boulevardpresse besteht ja praktisch nur aus Privatreports und Paparazzifotos. Es gibt sie, aber mir ist diese Art von Journalismus fremd, da ich nicht an den Privatangelegenheiten von mir unbekannten Menschen interessiert bin. Aber ich glaube, diese Boulevardjournalisten sind in der Regel sehr viel schlauer als das, was sie uns als Klatsch verkaufen, und da sie ohnehin überall auftauchen, wo man ist, kann man sie auch für sich einspannen. Also haben wir uns entschieden, den ganzen Tross an Aufmerksamkeit auf unsere Kinderhilfsstiftung zu lenken. Die haben wir im Mai letzten Jahres gegründet und konnten bereits für mehrere Projekte auf der ganzen Welt Gutes tun, zum Beispiel für die SOS-Kinderdörfer und ein Kinderkrankenhaus in Annas Heimat Sankt Petersburg. So kann die Boulevardpresse nützlich sein, und ich danke ihr sogar dafür. Wir können die Menschen für wirklich wichtige Themen sensibilisieren. Bekanntheit um ihrer selbst willen ist sinnlos, man muss sie einsetzen.

Diese Partnerschaft mit Anna Netrebko steht häufig im Mittelpunkt der Berichterstattung. Kommt die Kunst dabei zu kurz?

Eigentlich kommt eher die Presse zu kurz, nicht die Kunst. Die Journalisten verpassen die Chance, über etwas zu berichten, was das Leben verschönert, und das ist nun mal die Musik. Die Kunst ist etwas Bleibendes und wird immer da sein. Worum ich mich kümmere, ist die Kunst des Singens, denn das ist, was ich liebe. Alles drumherum ist mir unwichtig.

Sie sind überall unterwegs. Ist dieser Jetset keine Bedrohung für die Sängergesundheit?

Sie haben eine zu extravagante Vorstellung von meinem Alltag. Mein Jetset besteht aus meiner Familie, meinen Freunden und meinen Kollegen, aus Theatern, für die ich arbeite. Ich singe für das Publikum und versuche, das musikalische Erbe der Komponisten zu bewahren. Das ist ganz bestimmt keine Gefahr für meine Gesundheit, ganz im Gegenteil.

Ich meinte eher das viele Herumreisen, das Atemlose.

Reisen ist ein Teil der Arbeit, das können Sie entweder akzeptieren oder gleich aufhören. Eine große Opernkarriere können Sie nicht aus dem Stillstand aufbauen.

Einige Ihrer Kollegen müssen kürzertreten, weil sie dem großen Druck, überall auf der Welt ständig 100 Prozent geben zu müssen, schon physisch nicht gewachsen sind.

Es ist weniger die Frage, ob man einem großen Druck standhält, sondern vielmehr die Tatsache, dass manche Leute – Künstler, Publikum, Journalisten – zu vergessen scheinen, dass Opernsänger keine Übermenschen sind. Wir singen für unseren Lebensunterhalt. Es ist ein Beruf, kein Wunder. Manchmal braucht man nur die Dinge zu verlangsamen, um zu merken, dass die Überzeugung, alles anzunehmen, was einem angeboten wird, schädlich ist. Man muss gut auswählen, um dann dort die 100 Prozent geben zu können, wofür man sich entschieden hat. Das ist alles.

Sie sind vor allem im Mozartfach zu Hause. Wie stark werden Sängerwünsche im Musikgeschäft ernst genommen?

Ich singe nur Rollen, von denen ich weiß, dass ich sie singen kann, für die meine Stimme geeignet ist. Es gibt keinen Krieg zwischen „meinem Einfluss“ und dem „großen Geschäft“.

Fehlt Ihnen Repertoire?

Ich will weder meine Stimme noch die Musik verderben, ich habe zu viel Respekt vor beiden. Und vor meinen Kollegen. Ich würde nie etwas machen, was die Arbeit eines anderen beschädigen würde. Also habe ich mich ans Lernen und Üben zu halten, die ganze Zeit zu studieren, langsam aber stetig mein Repertoire aufzubauen, Rollen hinzuzufügen. Aber das hat keine Eile, alles zu seiner Zeit.

Welche Rollen würden Sie denn noch gern singen?

Das sind in der Tat nicht wenige. Ich studiere zurzeit Verdis neunte Oper, die Titelpartie Attila. Die singe ich dieses Jahr in Berlin. Am Royal Opera House in Covent Garden kommt die Sizilianische Vesper heraus. Und ich habe auch angefangen, Wotan zu lernen.

Der Werkekanon, der sich gut verkauft, wird immer kleiner. Problem oder Chance für die Nische?

Das ist definitiv eine Chance. Gerade jüngeres Publikum strebt immer nach neuer Musik, wie könnte das ein Problem sein? Es ist eine Chance!

Wie halten Sie es mit der klassischen Moderne?

Ich finde, es gibt nur gute und schlechte Musik, das ist keine Frage der Entstehungszeit. Wenn die Musik gut ist, ist es egal, von wann sie stammt oder welchem Genre sie angehört. Wir müssen immer daran denken, dass das, was wir heute als Klassiker betrachten, früher neu war. Es ist Platz für alles, und es gibt keinen Grund, sektiererisch zu sein.

Aber die moderne Musik hat es heutzutage schwer. Fühlen Sie da eine Verantwortung?

Das ist keine Frage der Verantwortung, es ist nur eine Wahl. Wenn sich eine Stimme für zeitgenössische Oper eignet, geht das. Die einzige Verantwortung, die wir in dieser Angelegenheit haben, ist es, unser Repertoire so zu wählen, dass weder die Musik noch unsere Stimmen Schaden nehmen. Wenn der richtige Moment und die richtige neue Oper gekommen sind, werde ich diese Chance ergreifen.

In der Hamburger Laeiszhalle geben Sie Ihr einziges gemeinsames Konzert mit Anna Netrebko im Jahr 2013. Warum treten Sie nur so selten zusammen auf?

Weil unsere Kalender Jahre im Voraus verplant werden. Sie sind sehr voll und können sich nicht immer überlappen. Es gibt eine ganze Reihe von Kollegen und Freunden, mit denen ich gerne in Produktionen singen würde, weil ich sie als Künstler und als Mensch bewundere, aber mit manchen habe ich einfach kein gemeinsames Repertoire. Und Sänger müssen nun mal singen, was gut für ihre Stimmen ist, die sich ständig weiterentwickeln und verändern, je älter man wird. Und außerdem müssen sie natürlich auch das singen, was sie wirklich genießen können. Das sind die beiden einzigen Parameter, die man nicht übersehen darf. Die Stimmen müssen zusammen existieren können.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Klassik in Ihrer Stadt

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!