Sie kommt zwar aus dem Land, in dem Verdis berühmteste Oper, die „Aida“, spielt. Doch große Teile ihrer Familie waren zunächst entsetzt, als sie – kaum volljährig – Ägypten verließ, um sich der westlichen Klassik zu verschreiben, und dann in Mailand und Berlin studierte. Mittlerweile wandelt Fatma Said, die fünf Sprachen fließend spricht und singt, ganz leichtfüßig zwischen den Welten und überwindet in ihrer Debüt-CD spielerisch alles Trennende zwischen Orient und Okzident. So wird die Sopranistin durch ihren Erfolg in Europa schon mit dreißig Jahren zur heimlichen Botschafterin der Gattung Oper in ihrem Heimatland.
Gerade haben Sie während des Lockdowns ganze zwei Monate bei Ihrer Familie in Ägypten verbracht. Wie fremd haben Sie sich nach den Studienjahren und Engagements in Europa nun im eigenen Land gefühlt?
Fatma Said: Da gibt es jetzt eine Art doppelte Distanz – ich lebe in Europa und bin Opernsängerin. Wenn wir wie zuletzt zur Weihnachtszeit oder zu anderen großen Festen als Familie zusammenkommen, dann ist das die Zeit, in der wir uns wirklich wiederfinden, da auch meine Geschwister im Ausland leben. So schön es war, mit meiner Familie zusammen zu sein, so schwierig war die Erfahrung, wie unvorsichtig meine Landsleute mit der Pandemie umgehen. Ich war die Einzige, die eine Maske trug. Dafür wurde ich von manchen meiner Freunde fast schon ausgelacht. Natürlich ist die grundsätzliche, angstfreie Entspanntheit der Menschen in meinem Land auch toll, wir sind quasi immer gechillt.
Wann war für Sie klar: „Ich werde Sängerin?“
Said: Als ich noch in Ägypten lebte, kannte ich keine klassischen Musiker. Ich hatte keine Vorstellungen davon, was es heißt, eine Opernsängerin zu sein, wie das Studium laufen und dieser Beruf funktionieren würde. Wir haben eben keine entsprechende Ausbildung in Ägypten. Und man betrachtet es nicht als etwas Hohes und Ernstes, Sänger zu sein. Aber in Ägypten war bereits meine extreme Leidenschaft für Musik ausgeprägt. Musik war mir das Allerwichtigste. Noch gar nicht der konkrete Wunsch, auf jeden Fall Sängerin zu werden. Erst als ich in Berlin war, in Konzerte gehen konnte, mit meinen Lehrern sprechen konnte, eigene Liederabende und Rollen vorbereitete, habe ich mich in diese Welt vertieft. So wurde von Tag zu Tag klarer, dass es genau diese Welt ist, in die ich mich begeben möchte – für den Rest meines Lebens. Doch für mich zählt auch heute stets das Ganze. Mir macht alles Spaß, was mit Musik in enger Verbindung steht: Tanz, Schauspiel oder Filme. Und auch im Studium brannte ich auch für alles, was es neben dem Gesangsunterricht gab: Musiktheorie, Formenlehre, Stimmphysiologie, Instrumentenkunde, Körperarbeit, Schauspielunterricht. Alles war neu für mich. Da fühlte ich dann immer stärker, dass dies mein Weg sein würde.
Werden Sie, wenn Sie in Ihre Heimat zurückkehren, zu einer Botschafterin der dort so fremden Kunstform Oper?
Said: Um in diesem Sinne gehört zu werden, muss man Power haben, bekannt sein und den Ruf besitzen, im Ausland sehr erfolgreich zu sein. Ich musste also sehr hart arbeiten, um hernach in Ägypten eine solche Wahrnehmung zu erzeugen. Ich glaube nicht an das Konzept, „es geschafft“ zu haben. Aber ich möchte auch zu Hause meine Geschichte erzählen, um ein gutes Beispiel für möglichst viele junge Leute zu sein, sich zu trauen, etwas zu tun, was bislang nur wenige Leute akzeptabel finden. Als ich meine Entscheidung für die Musik traf, rief es noch höchste Verwunderung hervor, dass meine Familie dies überhaupt zugelassen hat. Jetzt kann ich anfangen, darüber zu sprechen, wie wichtig Musik für uns alle ist, besonders auch für die Entwicklung kleiner Kinder.
Mussten Sie denn Ihre Eltern von Ihrem Weg überzeugen?
Said: Zum Glück sind meine Eltern sehr offene Menschen, was durchaus ungewöhnlich ist, da sie bei uns üblicherweise über das Leben der Kinder entscheiden. Mein Vater hat mich sehr unterstützt, nur meine Mutter hatte Angst, weil ich in so jungen Jahren allein ins Ausland gehen wollte. Sie hielt mich noch nicht bereit für so eine Erfahrung, von der wir alle nicht genau wissen konnten, wie sie aussehen würde.
Ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte öffnet zunächst viele Türen. Aber bei der Auswahl für ein Engagement, wenn zehn begabte junge Sopranistinnen in der Reihe stehen, spielt sie keine zentrale Rolle mehr, oder?
Said: Wer besser singt, kriegt die Rolle. Es kann und darf in unserer Kunst ja nicht darum gehen, ob jemand aus einem interessanteren und ungewöhnlichen kulturellen Hintergrund kommt. Wer eine Rolle am besten singt, verdient es, sie zu an diesem oder jenem Haus zu verkörpern. Es wäre ein Riesenfehler zu glauben, dass mich meine Herkunft oder mein Aussehen irgendwohin bringen würden. Natürlich weiß man nie genau, wie und warum sich ein Dirigent, ein Intendant oder eine Jury für die eine oder andere Kandidatin entscheidet. Aber ich hoffe doch, dass es immer um Musik und um meine Qualität als Sängerin geht. Und um die Persönlichkeit, die ich als Sängerin habe, die ja identisch mit meiner Stimme ist. Zwischen Persönlichkeit und Stimme kann man nicht unterscheiden. Man kann also die tollste Lebensgeschichte erzählen, aber wenn man auf der Bühne keine Spannung erzeugt, hilft die Story gar nichts.
Gab es diesen Punkt in Ihrer Entwicklung, in der Sie spürten: Stimme und Persönlichkeit kommen jetzt wirklich komplett zur Deckung?
Said: Es gab in meiner Ausbildung nie den Punkt, an dem ich dachte: Jetzt läuft alles genau so, wie ich möchte. Denn ich hatte eigentlich immer eine Mini-Krise. Manchmal dachte ich, dass mir meine Technik überhaupt nicht hilft, genauso mutig und frei zu interpretieren, wie ich das möchte. Manchmal lief die Stimme einfach wie geschmiert, aber ich hatte den Eindruck, dass mir die Erfahrung und Reife fehlten, um die Aussage des Textes wirklich ideal mit meiner Stimme zu übersetzen. Manchmal hatte ich Zweifel, ob ich für eine große Rolle jetzt bereits die Ausdauer besitze. Jeden Tag kommt also eine neue Frage und Herausforderung. Die Arbeit hört nie auf. Außerdem verändert und entwickelt sich die Stimme ja ständig. Ein großer ägyptischer Tenor hat mir mit auf den Weg gegeben, ich müsse die Dienerin meiner Stimme sein, also immer in mich hineinhorchen, was die Stimme gerade verlangt. Ich muss mich ja ständig an meine Stimme anpassen. Ein Beispiel: Möchte ich nach einem langen anstrengenden Probentag oder einer Vorstellung ein Stück Fleisch essen, dann verlangt die Stimme nach leichter Kost. Auch die Hormone spielen eine große Rolle, besonders bei Frauenstimmen.
Wie nehmen Sie selbst Ihre Stimme wahr?
Said: Aus meiner Sicht ist es nicht unbedingt eine schöne Stimme, jedenfalls versuche ich nicht primär, „schön“ zu singen. Ich versuche, mit der Stimme etwas zu sagen, etwas auszudrücken. Wenn das gut gelingt, dann erhält das gesungene Wort die Farbe meines Gefühls. Vielleicht nennen das andere Leute dann eine schöne Stimme. Es kann aber auch mal ein unschöner Ton herauskommen. Verdi hat einmal gesagt: „Per cantare ci vuole anche la voce“. Also: „Zum Singen braucht man auch die Stimme.“ Auch! Verdi hat uns zwar die schönsten Arien der Welt geschrieben, aber dabei die Bedeutung der Stimme an sich relativiert.
Aber verlassen sich nicht immer wieder Kollegen genau darauf – und lassen uns als Hörer deshalb ziemlich kalt?
Said: Auch für Instrumentalisten gilt das. Wer zeigt uns wirklich seine innerste Seite? Wer wagt es, auch mal einen Fehler zu machen und die pure Perfektion aufzugeben? Das Musikgeschäft verlangt allerdings die absolute Garantie. Opernhäuser haben gern diesen „garantierten Sänger“, also Leute, die niemals müde werden, die in jeder Probe alles geben, die Tag und Nacht das hohe C, D, E und F sicher singen können. Es gibt keine Gnade und kein Verständnis, wenn mal ein Ton daneben geht. Ich habe als sehr junge Sängerin in Mailand meine Lektion auf harte Weise gelernt, bin verletzt und dadurch stark geworden und gereift. Da habe ich mich dann auch dazu entschieden, immer ehrlich über diese Branche zu reden. Ich spreche natürlich gern über Erfolge und gute Erfahrungen. Aber ich betone eben auch immer wieder, wie hart wir arbeiten müssen. Und wie wir uns jeden Tag anpassen müssen an diese andere Person, die in uns lebt – die eigene Stimme.
Wo will diese, ihre Stimme hin? Sind Sie in ein paar Jahren eher eine Musetta oder eine Mimì in Puccinis „La Bohème“?
Said: Beide Rollen sind wunderbar. Und ich denke: Von einer Musetta kann ich mich ideal kontinuierlich zu einer Mimì entwickeln. Denn ich bin extrem geduldig mit diesen großen Rollen. Ich möchte sie so gern singen, ich möchte sie aber auch sehr gut singen. Nichts finde ich sexyer, als mit Ende dreißig so eine große tolle lyrische Rolle von Puccini oder Verdi – etwa seine Violetta – richtig gut zu verkörpern. Ich kann warten. Auch auf die richtige stimmliche Entwicklung. Bald erscheint mir eine Susanna von Mozart als richtiger Schritt, zunächst kommt jetzt im Sommer die Zerlina in „Don Giovanni“ mit Maestro Riccardo Muti in Florenz. Das sind alles perfekte Rollen.
Träumen Sie von mehr?
Said: Es gibt ein arabisches Lied: „Wenn man nicht träumen kann, dann soll man sterben.“ Ich träume immer. Allerdings nicht, etwas Besonderes zu sein oder eine bestimmte Partie zu singen. Ich hoffe, viel und lange singen zu können, also eine lange Karriere haben zu dürfen, dass ich von einer Phase des Repertoires zur nächsten springen und mich immer weiterentwickeln kann. Als Mirella Freni mir einen Preis übergab, wünschte sie mir eben diese lange Karriere, die sie ja selbst hatte, und ergänzte einfach: „Pass auf deine Stimme auf.“ Ihre Worte haben mich sehr berührt.
Sind Sie sich auf diesem hoffentlich langen Weg selbst die beste Beraterin? Oder vertrauen Sie anderen Menschen?
Said: Wenn etwas schiefläuft, mal ein Ton oder ein Konzert nicht so perfekt gelungen ist, dann bin ich mir die beste Beraterin. Aber wenn es gut läuft, kann ich mich nie selbst loben. Und bei großen neuen Schritten kenne ich das Zweifeln sehr gut. Mit meiner Gesangsprofessorin an der Hanns Eisler-Hochschule in Berlin, Renate Faltin, bin ich weiterhin in enger Verbindung, freundschaftlich wie professionell. Wenn es um eine neue Partie geht, die mir angeboten wird, kann ich sie immer kontaktieren, und sie gibt mir den extrem wichtigen Rat, wann denn der richtige Zeitpunkt für einen neuen Schritt gekommen sein wird. Selbst in der Pandemiephase haben wir über Zoom kommuniziert.
Ihre Debüt-CD lebt die Durchlässigkeit der Kulturen. Wie spiegelt sie Ihren Lebensweg?
Said: Ich fand es immer spannend, wie wir als Ägypter beeinflusst wurden und wie wir andere Kulturen beeinflussten. Als ich aufwuchs, spürte ich diese wechselseitigen Prägungen sehr. Nun wollte ich in meinem Album wirklich einen Eindruck von mir hinterlassen. Ich fand es spannend zu spüren, wie sich meine Stimme verändert, wenn ich auf Spanisch, Französisch oder eben Arabisch singe, wie ich mich mit diesen verschiedenen Sprachen fühle. Bei den arabischen Liedern, die im Ergebnis fast so eine Art arabischer Belcanto werden, ist es aufregend, die Verzierungen einmal mit einer klassischen Opernstimme zu interpretieren. Die Scheherazade aufzunehmen, ist umgekehrt erstmal gar nichts Neues, sie wurde von unzähligen Opernsängern interpretiert. Sie nun aber gezielt mit meiner Geschichte und Prägung zu verbinden, ergibt hoffentlich eine andere Perspektive der Interpretation.