Gedichtanalysen zählen im Deutschunterricht nicht einhellig zu den liebsten Schülerpflichten. Fatma Said indes schätzt die intensive Beschäftigung mit den Texten von Goethe bis Heine seit ihrer Jugend, zumal bei der ägyptischen Sängerin immer auch die musikalische Komponente zum Tragen kommt.
Fatma Said, Sie bezeichnen das deutsche Kunstlied als Ihre größte Liebe. Was fasziniert Sie daran?
Fatma Said: Lieder begleiten mich schon mein ganzes Leben! Klassik hatte einen hohen Stellenwert im Musikunterricht in meiner deutschen Schule in Kairo. Bereits in jungen Jahren habe ich so Schubert-Lieder kennengelernt. In den privaten Gesangsstunden habe ich mit dreizehn dann auch statt Arien aus „La Bohème“ Schumanns „Soldatenbraut“, Mozarts „Veilchen“ und Lieder von Hugo Wolf gesungen. Mit ihnen habe ich meine Stimme auf das Studium in Berlin vorbereitet. Ich war außerdem schon immer ein großer Fan von Gedichten und liebe bis heute die analytische Arbeit an ihnen. Im Kunstlied verschmelzen ein Wort-Werk und ein Musik-Werk zu einem neuen, genialen Kunst-Werk. Das fasziniert mich.
Was bringt Sie immer wieder zum Lied zurück?
Said: Im Lied kann ich das Schöne in der Einfachheit finden. Einige meiner Lieblinge sind Strophenlieder und stellen mich vor die schönste Herausforderung, nämlich sie so zu singen, dass sich das Publikum trotz der sich wiederholenden Melodie nicht langweilt. Es geht dabei um die allerkleinsten Details: Wo sind die Kommata? Atme ich nach einem „Ach“ oder „Doch“? Welche Adjektive werde ich betonen? Das einfachste Lied von Mozart, Brahms oder Schumann wird so zum allerschwierigsten.
Worauf kommt es im Ergebnis Ihrer Interpretation an?
Said: Am Ende hoffe ich, dass ich meine Zuhörer durch die Musik berühren konnte. Das ist kein intellektuell greifbares Gefühl. Für manche bedeutet es Gänsehaut oder ein schnellerer Herzschlag, manche fühlen sich einfach erholt oder glaubten sich für ein paar Minuten in eine andere Welt versetzt. Ich bin davon überzeugt, dass man durch die Interpretation, durch die Farben in der Stimme, ein deutsches Lied auch denen verständlich machen kann, die die Sprache von Heine oder Goethe nicht sprechen.
Wie gelingt es Ihnen, dass ein Lied auf der Bühne stets zu einem Dialog wird?
Said: Ich arbeite mit Freunden und Kollegen zusammen, die dieselben musikalischen Vorstellungen von einem Stück haben. Wir vertrauen einander, sodass wir uns spontan Ideen zuwerfen können, und niemand nimmt es persönlich, wenn diese nicht immer umgesetzt werden. Aus dem ständigen Geben und Nehmen erwächst ein musikalischer Dialog, den man nicht proben kann. Das ist der Urgedanke von Kammermusik und auch das Schöne an ihr. Wenn man sich Lieder von Komponisten des 19. Jahrhunderts anhört, erwartet man ja eigentlich Klavier und Stimme. Ich liebe aber die Vielfältigkeit und will diese auch in der großen Tradition, in der das Kunstlied steht, finden. Wenn gleichgesinnte Musiker aufeinandertreffen, kann das Lied in den unterschiedlichsten Konstellationen ganz natürlich klingen, sei es mit Harfe, Klarinette oder Streichquartett als musikalischen Partner.
Wie hat sich Ihre Stimme in den vergangenen Jahren entwickelt?
Said: Es ist so, als ob ich mit einer anderen Person in mir lebe, an deren Zustand ich mich anpassen muss. An manchen Tagen wache ich auf, und meine Stimme ist sofort da, an anderen Tagen muss ich erst einige Zeit in mich hineinhören. Die Stimme gehört mir natürlich, aber sie reagiert nicht mehr so wie früher. Andere Sachen im Leben, etwa das, was mich persönlich in einem Moment umtreibt, wirken sich nun stärker auf meine Stimme aus. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Christa Ludwig: „Bis dreißig singt man mit Stimme, ab dreißig singt man mit Verstand.“ Das habe ich nach meinem dreißigsten Geburtstag verstanden.
Liegt Ihr künstlerischer Schwerpunkt in naher Zukunft eher im Konzert als in der Oper?
Said: Es gibt so viel sinfonisches, sakrales und konzertantes Repertoire, das ich ausprobieren oder weiterentwickeln möchte, und ich fühle, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um mich darauf zu fokussieren. Zumal sich in den letzten Monaten auch tolle Engagements ergeben hatten …
… etwa Ihre Debüts mit den Berliner Philharmonikern und der Staatskapelle Dresden?
Said: Ja, genau! Da gingen Träume in Erfüllung! Es ist aber nicht so, dass ich beschlossen hätte, fortan nur noch Liedsängerin zu sein. Diese Kategorien mag ich ohnehin nicht. Ich habe auch aufgehört, mich als Sopran zu bezeichnen. Ich bin einfach Sängerin und singe das, was mir am Herzen liegt.
![Die ägyptische Sängerin Fatma Said will mit der Musik auch Brücken zwischen den Kulturen bauen](https://www.concerti.at/wp-content/uploads/2025/02/fatma-said-2024-1-c-simon-fowler-1365x2048.jpg)
Die Opernstimme Fatma Said hat sich demnach eine Auszeit genommen?
Said: Die Opernstimme ist da, ich mache nur vorerst keine vollständigen Bühnenproduktionen, dafür mehr Galas. Ich arbeite auch weiterhin kontinuierlich an meiner Opernstimme. Wenn man Mahler– oder Strauss-Orchester-Lieder auf die große Bühne bringt, braucht man sie ja auch, das würde sonst überhaupt nicht tragen.
Im September 2024 reisten Sie als Teil der Delegation von Bundespräsident Steinmeier nach Ägypten.
Said: Es ist für mich eine große Ehre, dass ich als ägyptische Künstlerin für diese Reise ausgesucht wurde, und ich war wirklich berührt, als wir die Deutsche Schule der Borromäerinnen in Kairo besuchten, an der ich vor fast sechzehn Jahren Abitur gemacht hatte. Dort habe ich stolze Frauen, junge, emanzipierte und selbstbewusste Schülerinnen erlebt, die sich ganz natürlich mit dem deutschen Bundespräsidenten unterhalten haben! Das hat mich daran erinnert, dass ich dort zu der Person wurde, die ich heute bin. Wir „Borro-Mädchen“ hatten den Ruf, dass uns nichts im Weg stehen und niemand aufhalten kann. Heute habe ich verstanden, wieso. Und ich war so stolz auf alle! Die Erstklässlerinnen haben sogar besser Deutsch gesprochen als ich in ihrem Alter.
Sie treten regelmäßig auch im arabischen Raum auf. Welchen Stellenwert hat die europäisch geprägte Klassik dort?
Said: Man begegnet ihr mit mehr Offenheit als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Es gibt viele neugierige Menschen, die herausfinden wollen, ob das etwas für sie sein kann. In einer Kultur, in der Oper nie existiert hat, muss ich als klassische Sängerin klug mit dem Repertoire umgehen. Ich kombiniere daher ganz bewusst sehr bekannte und weniger bekannte Stücke. Denn anders als in Europa kann ich nicht erwarten, dass ein Großteil des Publikums „O mio babbino caro“ oder eine „Traviata“-Arie gleich erkennt. Dafür sollte sich im Übrigen auch niemand schämen! Ich wähle auch immer arabische Lieder mit aus. Die Schönheit besteht doch gerade darin, dass ich mit meinen Auftritten Brücken bauen kann. Manchmal würde ich mir diese Neugierde nach dem Unbekannten auch hierzulande wünschen.
Wie sehen die dreißig Minuten vor einem Auftritt bei Ihnen aus?
Said: Ich schließe mich in die Garderobe ein, weil ich das Alleinsein brauche, um mich zu konzentrieren. Ansonsten mache ich in dieser Zeit aber nichts Ungewöhnliches: einsingen, in mein Kleid schlüpfen und ein paar Atemübungen.
Aktuelles Album
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Lieder
Werke von Schumann, Schubert, Mendelssohn, Brahms & Hensel
Fatma Said (Sopran), Huw Montague Rendall (Bariton), Malcolm Martineau, Joseph Middleton & Yonatan Cohen (Klavier), Sabine Meyer (Klarinette), Anneleen Lenaerts (Harfe), Quatuor Arod, MGV Walhalla zum Seidlwirt
Warner Classics