Startseite » Interviews » Kurz gefragt » „Ich stehe für eine Idee, die vielen Hoffnung macht“

Kurz gefragt Fazıl Say

„Ich stehe für eine Idee, die vielen Hoffnung macht“

Wenn Fazıl Say den Mund aufmacht, gefällt das nicht jedem Konzertbesucher – vor allem aber nicht dem türkischen Präsidenten. Hier spricht der Pianist über …

vonChristoph Forsthoff,

… Orient und Okzident

 

Ich selbst bin mehr okzidental aufgewachsen, geprägt durch mein Elternhaus wie auch das Konservatorium in Ankara und mein Leben in Deutschland und den USA. Insofern bin ich ein sehr westlicher Mensch, doch die Kulturen vermischen sich immer mehr, weil auch die Menschen sich immer mehr vermischen. Wir sollten diese Brücken weiter ausbauen und eine größere Aufgeschlossenheit für andere Kulturen entwickeln.

 

… die Türkei

 

Meine Heimat, die derzeit eine problematische Periode durchlebt – doch wie so viele andere Menschen hoffe auch ich, dass sich das ändert. Ob der Schwierigkeiten, die ich dort seit Jahren habe, fragen mich viele Freunde in anderen Ländern Europas: Warum ziehst du nicht einfach um? Doch nicht nur meine Eltern, meine Tochter und Freunde leben dort, sondern mir gibt das Land in seiner kulturellen wie religiösen Vielfalt auch sehr viel. Und mittlerweile stehe ich für viele Türken symbolhaft für eine Idee, die vielen Menschen Hoffnung macht – und in solch einer Situation einfach abzuhauen, das würde viele Menschen demoralisieren und auch mir nicht gut tun.

 

… Wunderkinder

 

Jemand, der uns mit seinem Schaffen sehr überrascht und schon in seiner Kindheit ein überragendes, ja vielleicht sogar übermenschliches Können beweist, das den Menschen zugute kommt. Ob ich ein Wunderkind war? Das weiß ich nicht … ich habe mit drei Jahren angefangen, Klavier zu spielen und einfache Stücke zu komponieren – ob das ein Wunderkind macht, das müssen andere beurteilen.

 

… Mozart

 

Für mich ein Jahrtausendgenie, dessen Schaffen die Menschheit in ihrer Gänze repräsentiert. Ein Vorbild für Schönheit und einen produktiven Menschen: In seiner Musik spiegelt sich die menschliche Güte – und das macht diese Musik einzigartig.

 

… Religion und Glauben

 

Ich selbst bin nicht religiös, aber Glauben gehört zum Leben, zur Musik und uns Menschen. An irgendetwas glaubt jeder von uns – ob es nun die Liebe, die Musik oder das Universum ist. Religion aber ist vom Menschen gemacht, und wie wir immer wieder sehen, hat die Menschheit Probleme mit diesen großen drei Religionen. Ich glaube lieber an die wissenschaftlichen Wahrheiten.

 

 

… Klassik und Politik

 

Beides gehört zum Leben – überall auf der Welt: Wenn etwa der Hamburger Bürgermeister plötzlich die dortige Oper schließen möchte, dann werden auch dort alle Kulturschaffenden und -interessierten politisch und sich dagegen wehren: Dann müssen sie Politik machen. Natürlich denken wir nicht an die Politik der CDU, wenn wir eine Mozart- Sonate spielen, aber in einem Künstler sollte Raum für beides sein und auch eine Brücke zwischen beidem existieren – wenngleich diese meistens bei negativen Fällen offenbar wird.

 

… komponierende Pianisten

 

Das klingt nach dem 19. Jahrhundert, denn im 20. Jahrhundert hat man von den Pianisten zunehmend technische Perfektion verlangt und Komponieren oder auch Ausflüge in den Jazz zu etwas Abwegigem erklärt. Was dazu geführt hat, dass viele Pianisten sich selbst begrenzt haben – dabei braucht ein Musiker doch viel Kreativität. Als komponierender Pianist habe ich den Vorteil, dass ich meine eigenen Werke spielen kann – und das gefällt dem Publikum.

 

… Pianisten­-Mimik und ­-Gestik

 

Jeder Musiker sucht doch die Geschichte hinter den Tönen – die reinen Töne machen gerade mal 20 Prozent aus. Wir würden uns zu Tode langweilen bei einer von einem Computer gespielten Mozart-Sonate: Erst das eigene Spiel macht mehr daraus – und welche Pantomimen oder Gesichter wir dabei ziehen, merken wir nicht. Als ich mich das erste Mal im Fernsehen gesehen und so richtig wahrgenommen habe, hat mich das auch gestört. Andererseits: Das Klavier ist nun mal ein Perkussionsinstrument, und um dieses zum Singen zu bringen, muss man sehr viel tun – und manchmal gehört da selbst das eigene Mitsingen dazu.

 

… Neue Medien

 

Auf meiner Facebook-Seite kündigen wir meine Konzerte an, berichten von Proben oder verlinken zu vergangenen Auftritten in der Sprache des jeweiligen Landes – und diskutieren natürlich auch mit den Usern. Wenn wir auf YouTube-Auftritte von mir verlinken, wird das von einer halben Million Menschen verfolgt – wie auch meine Essays über Musik, Gedanken zur Kultur oder Politik. Auf Twitter habe ich mehr als 400.000 Follower, auf Facebook mehr als eine halbe Million Fans: Da fühle ich mich fast wie ein Verleger und das nutze ich, um kulturelle Informationen zu verbreiten, die in den normalen Zeitungen und Fernsehsendern nicht laufen.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Klassik in Ihrer Stadt

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!