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Interview Frank Strobel

„Kultur hat immer auch mit offenen Grenzen zu tun“

Der Chefdirigent des WDR Funkhausorchesters Frank Strobel hat sich im Bereich der Filmmusik einen Namen gemacht, ist aber in zahlreichen Genres zu Hause.

vonMichael Struck-Schloen,

Filmmusik hat Konjunktur. Die Klassikprogramme im Radio sind ohne sie nicht mehr denkbar, für die Orchester ist sie das Versprechen, ein jüngeres oder klassikfernes Publikum anzuziehen. Frank Strobel dürfte sich über diese Entwicklung freuen. Seit diesem Herbst ist der langjährige Leiter der Europäischen FilmPhilharmonie Chefdirigent des WDR Funkhausorchesters. Auf Filmmusik will er sich in Köln aber keineswegs beschränken.

Herr Strobel, mir erscheint Filmmusik im Konzertsaal manchmal wie die neue Operette: süffig, aber auch raffiniert komponiert, dramatisch und rührend, modern und altmodisch zugleich.

Frank Strobel: Ich denke eher an die Revue – und so ist Filmmusik ja auch eingesetzt worden in den Stummfilmpalästen der Zwanzigerjahre mit ihren großen Bühnen und Orchestergräben. Da hat man nicht nur einen Film gesehen, sondern es begann mit einer Orchester­ouvertüre, dann gab es den „Kulturfilm“, dann vielleicht eine Variété-Einlage und einen Sänger, der zwei Arien geschmettert hat – und irgendwann landete man beim Hauptfilm. Das war Unterhaltungskunst auf einem sehr hohen Level. Die Verbindung zur Operette ist, dass beide Genres nicht einfach zu dirigieren sind.

Sie haben Musik aus allen Phasen des Kinos dirigiert, vor allem aber Musik zu Stummfilmen. Ich erinnere mich an den Rosenkavalier-Film in Dresden mit Musik von Richard Strauss, an das Metropolis-Projekt oder die restaurierte Fassung von Fritz Langs Klassiker Der müde Tod mit neuer Musik von Cornelius Schwehr. Warum gerade Stummfilm?

Strobel: Über den Stummfilm habe ich gelernt, welche Rolle Musik im Film spielt. Sie haben Metropolis von Fritz Lang erwähnt – das war der erste Film, den ich live begleitet habe: mit einer Freundin an zwei Klavieren. Die Musik habe ich nach dem Klavierauszug selbst arrangiert, erst später ist die Originalpartitur wieder aufgetaucht. Damals war ich sechzehn, mein Schuldirektor hatte für meine Leidenschaft Verständnis, und dann sind wir zwei Jahre lang mit dem Film unterwegs gewesen: Japan, Hongkong, Amerika, quer durch Europa. Meine Erkenntnis aus diesen Reisen war, dass die Kunstform „Stummfilm und Musik“ überall auf der Welt verstanden wird. Es ist eine universelle Kunst – das hat mich seitdem beschäftigt.

Jetzt lebt der Filmmusik-Boom in den Konzerthäusern weniger vom Stummfilm als vom Wiedererkennungswert der Blockbuster. Hängt sich da der Klassikbetrieb ans globale Mediengeschäft?

Strobel: Es gibt natürlich kommerzielle Interessen, etwa wenn diese Veranstaltungen in großen Arenen sattfinden. Andererseits hat man begriffen, dass die anspruchsvolle, sagen wir: sinfonische Filmmusik zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts gehört. Die Orchester – auch die großen wie die Dresdner Staatskapelle oder die Wiener Philharmoniker – entdecken gerade ein Repertoire für sich, dass sie lange vernachlässigt haben. Wir haben, wie in der übrigen Musik, einen harten Bruch erlebt durch die Nazizeit. Gerade im deutschsprachigen Raum war man nach dem Krieg sehr skeptisch gegenüber der emotionalen Macht von Musik. Denn natürlich hat die auch ein Goebbels in seinen Wochenschauen ganz bewusst genutzt. Filmmusik war immer deskriptiv – aber das sind die sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss auch. Und wenn die Leute heute wegen der Filmtitel ins Konzert kommen, dann gibt es nicht nur den Wiedererkennungseffekt, sondern auch die Begegnung mit einem echten Sinfonieorchester – für viele zum ersten Mal. Und sie bekommen mit, dass das eigentlich Dolby-Surround 5.1 „hoch drei“ ist.

Frank Strobel
Frank Strobel

Seit September leiten Sie das WDR Funkhausorchester, das früher beim WDR – im Gegensatz zum Sinfonieorchester – für den Bereich Unterhaltung zuständig war. Mittlerweile haben sich die Aufgaben des Funkhausorchesters parallel zur Entwicklung des Rundfunks stark verändert. Wie ist das Profil heute?

Strobel: Also erstmal ist das Funkhausorchester wirklich im allerbesten Sinne ein „Medien-Orchester“ – nicht nur, weil es eben beim WDR zu Hause ist und damit verschiedenste Ausspielwege hat: Fernsehen, diverse Radiowellen, Live-Aufführungen, die mitgeschnitten werden, Internetauftritte oder Social Media. Wenn man sich etwa die vielen Musikclips anschaut, die sie in der Corona-Zeit produziert haben: Ich habe nichts Vergleichbares gefunden. Das hatte nichts mehr mit abgefilmten Orchestern zu tun, sondern man hat wirklich eine filmische Form gesucht, kleine Geschichten erzählt, Dinge ausprobiert. Aber es ist eben auch ein Orchester, das sehr souverän auf der Klaviatur der verschiedenen Musikgenres spielt. Das beeindruckt mich besonders, weil ich ja von der Oper komme und die Filmmusik eher parallel gelaufen ist. Das Funkhaus­orchester ist stilistich extrem flexibel und kann schnell zwischen den Genres wechseln.

Bei dieser Vielfalt der Aufgaben ist es für den Chefdirigenten nicht ganz einfach, seine eigene Handschrift einzubringen. Welchen Spielraum haben Sie?

Strobel: Mir liegt am Herzen, diese Vielfalt zu pflegen, ohne dass es ein Gemischtwarenladen ist und dabei die eigene Identität verloren geht. Deshalb möchte ich zum Beispiel Komponisten einladen, die eigens für das Orchester schreiben. Ich denke etwa an Gordon Hamilton, der einen eigenen Stil entwickelt hat, den ich sehr spannend finde. In meinem Antrittskonzert haben wir sein Stück ­Action Hero für die Stimme von Arnold Schwarzenegger und Orchester aufgeführt. Und wir überlegen im Moment, die Komponisten der Soundtrack Cologne einzubinden – die Idee ist ein langfristiger Workshop, um für das Orchester einen eigenen Stil und ein Repertoire zu finden, das es unverwechselbar macht.

Also keine Filmmusik?

Strobel: Natürlich werde ich hin und wieder Filmmusik einbauen, das ist ganz klar. Wir haben in dieser Saison einen Abend über das Leben und die Filme von Charlie Chaplin kreiert, aus ganz verschiedenen Elementen. Aber wir machen aus dem WDR Funkhausorchester kein Filmorchester, das wäre Unsinn. Die Filmmusik ist eine Säule, wie es auch andere Säulen gibt.

Sie haben eben die Musikclips aus der Corona-Zeit erwähnt – eine der vielen neuen Erfarungen, die Orchester während der Pandemie gemacht haben. Was könnte sich in Zukunft in unserer Musiklandschaft verändern?

Strobel: Die festangestellten Orchester haben ja zum Glück die Pandemie gut überstanden. Und das Funkhausorchester hat in der Krisenzeit diese neuen Formate entwickelt, durch die man sicher etwas für die Zukunft gelernt hat. Aber für viele freie Musikerinnen und Musiker wurden keine Honorare gezahlt, die wussten nicht mehr, wie es weitergeht, und haben teils ihre Berufe gewechselt. Das ist ein Aderlass, den wir erst in den nächsten Jahren spüren werden. Und sicher wird es diesen Gastspielwahnsinn, den wir ja alle irgendwie mitgemacht haben, so nicht mehr geben. Natürlich muss man reisen, das öffnet den Blick, und ich habe bei meiner Arbeit in anderen Ländern unglaublich viel gelernt. Die Frage ist, in welcher Form wir in Zukunft reisen, ob wir Tourneen unter Klimagesichtspunkten nicht ganz anders einteilen müssen. Schlecht wäre es, wenn sich jetzt alle nur noch auf sich selbst konzentrieren würden, das würde einem ­Nationalismus Vorschub leisten, den ich nicht will. Kultur hat immer auch mit offenen Grenzen zu tun. Es gibt sowieso das Problem, dass zu viele Leute in Blasen leben. Und wir sind diejenigen, die das aufbrechen müssen.

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