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Interview Franz Welser-Möst

„Teflonartige Karrieren sind mir verdächtig“

Musikdirektor Franz Welser-Möst prägt das Cleveland Orchestra seit fast zwei Jahrzehnten – und erreicht ein ausgesprochen junges Publikum.

vonSören Ingwersen,

Krisen kommen und gehen. Aber die Musik bleibt. Und sie kann sogar helfen, Krisen zu überwinden. Zum 60. Geburtstag blickt Dirigent Franz Welser-Möst zurück auf sein Leben und nach vorn auf einen Kulturbetrieb, der oft nur an der Oberfläche glänzt. Mehr Stille und Einkehr fordert der gebürtige Österreicher. Er findet sie beim Yoga, in der Natur oder in der Bibliothek.

Die klassische Musik gilt als Hochburg der klingenden Kunst. In Ihrem neuen autobiografischen Buch „Als ich die Stille fand. Ein Plädoyer gegen den Lärm der Welt“ sprechen Sie jedoch davon, dass das „Plakative“ und „Populistische“ hier immer mehr Land gewinnt. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Franz Welser-Möst: Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen, weil wir die Klassik oft auf das Schnellste, Höchste und Weiteste reduziert haben. Damit haben wir einen Verrat an der Kunst vollzogen. Amerika ist ja mit schlechtem Beispiel vorangegangen, indem dort die Kunst mehr und mehr aus den Schulen verbannt wurde. Andererseits haben wir Kulturschaffenden diese Lücke durch nichts gefüllt – mit wenigen Ausnahmen. Bezeichnend ist, dass Frau Merkel, was den Lockdown der Kultur anbelangt, inzwischen nur noch von „Unterhaltung“ spricht. Die klassische Musik und viele andere Bereiche der Kunst werden demnach auch von der Politik in den Unterhaltungssektor abgeschoben.

Was unternehmen Sie als Musikdirektor des Cleveland Orchestra, um diesem Unterhaltungsduktus entgegenzuwirken?

Welser-Möst: Wir erreichen mit unserem „Education & Community Program“ jedes Jahr 60.000 junge Menschen und haben seit etwa sieben Jahren das jüngste Pub­likum Amerikas. 20 Prozent unseres Abonnentenpublikums sind unter 25 Jahre alt – da sind die Familien- und Schüler­konzerte nicht mit eingerechnet. Dabei begehen wir nicht den Fehler zu glauben, wir müssen es den jungen Leuten leicht machen und auf jeden Zug mit aufspringen. Im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass junge Leute ernst genommen werden wollen.

Sie sind seit 18 Jahren Chef des Cleveland Orchestra. Haben Sie jemals an einen Wechsel gedacht?

Welser-Möst: Als ich meine Stelle angetreten habe, habe ich mit höchstens zehn Jahren gerechnet. Doch inzwischen habe ich einen Vertrag bis 2027. Solange ich das Orchester noch herausfordern kann, möchte ich auch dort bleiben. Cleveland ist ein kleines Biotop, in dem man fantastisch Musik machen kann. Ich sage immer: Wegen der Karrie­re muss man nicht nach Cleveland kommen, aber wenn man wirklich auf höchstem Niveau Musik machen möchte, dann schon.

Franz Welser-Möst
Franz Welser-Möst

Auch den Wiener Philharmonikern sind Sie als ehemaliger Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper eng verbunden. Woran würden Sie die Unterschiede zwischen den beiden Orchestern festmachen?

Welser-Möst: Dass die Wiener Philharmoniker ein eigenes Unternehmen sind, spiegelt sich in deren Arbeitsweise wider: eine Eigenverantwortung, die manchmal natürlich auch zu Konflikten untereinander führt. Außerdem ist das Orchester durch die Säle des Wiener Musik­vereins und der Staatsoper geprägt, die beide akustisch hervorragend sind: Der singende Ausdruck und die Betonung des Bassfundaments sind typisch für die Wiener Philharmoniker. Beim Cleveland Orchestra gibt es hingegen eine Gruppenmentalität, die alles dem gemeinsamen Spiel unterordnet. Das ist ein anderer Ansatz, wobei wir in Cleveland eine akustisch und optisch fantastische Halle haben, die aber wesentlich heller klingt als der Musikverein und eine unglaubliche Transparenz ermöglicht. Das sind zwei Qualitäten, die sich auch im Klang des Orchesters wiederfinden.

In Salzburg dirigierten Sie nach dem „Rosenkavalier“ und der „Liebe der Danae“ 2018 Richard Strauss’ „Salome“, die bei Publikum und Kritik höchsten Anklang fand. Zum 100-jährigen Jubiläum der Festspiele übernahmen Sie die musikalische Leitung bei „Elektra“. Weshalb liegt Ihnen die Musik von Richard Strauss so am Herzen?

Welser-Möst: Früher habe ich viel Wagner dirigiert, aber je älter ich werde, desto mehr nähere ich mich Richard Strauss an. Das hat vielleicht damit zu tun, dass Strauss in seiner Musik weniger egozentrisch ist. Außerdem interessiert mich bei Strauss die ständige Suche einer feinen Balance zwischen der klassischen Einstellung und Klarheit einerseits und dem romantischen Sentiment aus einer versunkenen Zeit andererseits.

Wie wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem Komponisten als Mensch und Künstler für einen Dirigenten?

Welser-Möst: Um einem Musikstück gerecht zu werden, muss man auch das, was hinter den Noten steht, in seine Betrachtung mit einbeziehen. Richard Strauss’ philosophische Grundeinstellung schwingt in all seinen Stücken mit. Natürlich gibt es das Dionysische in seiner Musik. Aber von seiner Denkweise her war er dem Apollinischen viel näher. Auch wenn Sie Beethoven dirigieren und nie eine Zeile von Schiller gelesen haben, verpassen Sie etwas. Beethoven war sehr belesen und hat selbst gesagt, er wolle seine Zuhörer nicht unterhalten, er wolle sie engagieren. Das ist ein politisch-philosophischer Anspruch, ein Zeitgeist, aus dem heraus das Kunstwerk entsteht, auch wenn es über diese Zeit weit hinausragt.

Franz Welser-Möst
Franz Welser-Möst

Eine eher lästige Begleiterscheinung des gegenwärtigen Zeitgeistes klingt im Titel Ihres neuen Buchs an: der Lärm. Sie sprechen von einer „allgemeinen akustischen Ohrenverschmutzung“, vom „Lärm der Spaßgesellschaft“, dem Sie mit Meditation oder Wanderungen in der Natur begegnen. Warum ist die Stille so wichtig?

Welser-Möst: Wir leben in einer Zeit, in der wir durch viel oberflächliches Getue die Beschäftigung mit uns selber sehr weit zudecken. Ich denke aber, es gehört zur Aufgabe unseres Menschseins, dass wir uns mit uns selbst auseinandersetzen. Und die Stille zwingt uns gewissermaßen dazu.

Sie haben ja schon früh Erfahrungen machen müssen, die eine Beschäftigung mit sich selbst geradezu herausfordern. Sie wollten ursprünglich Geiger werden, hatten dann einen schweren Autounfall, der Ihre Zukunftsplanung zerstörte, und Ihre Schwester starb, als sie vier Jahre alt waren. Inwiefern haben diese Schicksalsschläge Sie als Künstler geprägt?

Welser-Möst: Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Das ist jetzt etwas salopp formuliert, aber man wächst ja auch an Rückschlägen und Herausforderungen. Im Gegensatz dazu sind mir die teflonartigen Karrieren und Lebensweisen, wie ich sie gerne nenne, höchst verdächtig. Wir leben in einer Zeit, in der es oft nur um die Selbstdarstellung geht. Aber die Selbstdarstellung übertüncht wahnsinnig viel von dem, was ich als wesentlich empfinde. Viele Menschen haben damals von einem tragischen Unfall gesprochen, aber ich habe ihn nie als tragisch empfunden, sondern als Herausforderung, die es galt anzunehmen. Wenn man so an die Dinge herangeht, kommt auch immer etwas Positives dabei heraus. Es bringt einen weiter und man bekommt mehr Gelassenheit und Freude am Leben.

Album Cover für Schubert: Sinfonie C-Dur D 944; Křenek: Static and Ecstatic

Schubert: Sinfonie C-Dur D 944; Křenek: Static and Ecstatic

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