Die Geige ist wohl eines der vielseitigsten Instrumente, was Besetzungen angeht: Ob solo, im kammermusikalischen Verband oder im großen Orchester: Ihr Klang ist weithin vernehmbar. Liegt da nicht der Vergleich zum Fußball eigentlich auf der Hand? Der Stürmer, der solo aufs Tor schießt, die Abwehr, die sich mit vereinten Kräften dem Freistoß in den Weg stellt oder die Mannschaft, die am Anfang des Spiels aufgereiht die Nationalhymne singt – überall wäre die Geige vorne mit dabei. Ganz vorn spielt auch Violinst Marc Bouchkov, der in eine Geigerfamilie hineingeboren schnell seinen eigenen Weg fand. Seit seinem Studium an der Kronberg Academy hat er sich einen Namen als Solist und als Kammermusiker gemacht. Für concerti stellt er seine Lieblingsmannschaft zusammen und beantwortet die Frage, was Mahler mit Fußball zu tun hat.
Für welches Team drückst du bei der WM die Daumen und warum?
Marc Bouchkov: Ich war immer für das italienische Team, weil ich Fußball nicht nur als reine Sportart sehe, sondern immer auch ein wenig mit der Commedia Dell’Arte in Verbindung bringe. Da ich kein „eingefleischter“ Fan bin, bereitet es mir immer besonderes Vergnügen, gerade auf diese Aspekte und besonderen Fähigkeiten zu achten, die eben auch zu einem gelungenen Fußballspiel dazugehören.
Und wer, glaubst du, gewinnt?
Bouchkov: Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es zwei wirklich starke Teams gibt, die das Potenzial haben zu gewinnen: Spanien und Deutschland.
Wer ist für dich die größte Fußball-Legende?
Bouchkov: Seitdem ich mich „ernsthaft“ für Fußball interessiere ist es natürlich Zinédine Zidane – und ich bin immer noch davon überzeugt, wenn ich sehe, welche Arbeit er für Real Madrid leistet. Er vereint alle Fähigkeiten, die ein Supersportler haben muss: Technik, Geduld, Charisma und unglaublich viel Talent.
Und was war das legendärste Spiel?
Bouchkov: Oh, ich erinnere ein verrücktes Spiel vom WM-Finale in 2002 zwischen Brasilien und Deutschland. Ich habe selbst oft Fußball gespielt, allerdings fast immer als Torwart und ich war absolut beeindruckt von der Leistung Oliver Kahns gegen Brasilien und vor allem gegen Ronaldo!
Welches klassische Stück wäre die perfekte Alternative für die Nationalhymne deines Lieblingsteams?
Bouchkov: Lustig, weil ich gerade gestern darüber nachdachte und ich mir tatsächlich kein klassisches Stück vorstellen konnte, das für tausende Fans im und außerhalb des Fußball-Stadions zum Mitsingen geeignet wäre. Diese beiden Bereiche passen für mich irgendwie nicht zusammen. Aber natürlich hat es Deutschland geschafft, Musik von Joseph Haydn als Hymne zu haben, und das funktioniert einwandfrei.
11 Freunde sollt ihr sein – mit welchen Musikern wärst du gerne in einer Mannschaft?
Bouchkov: Was für eine großartige Idee. Aber, wenn möglich würde ich die Frage gerne etwas erweitern und statt „Freunde“ lieber „außergewöhnliche Musiker, die jemals gelebt haben“ sagen. Meine Aufstellung wäre definitiv folgende: Oistrach, Szeryng, Ysaÿe und Isaac Stern, die vier Geiger wären die Abwehr mit Ysaÿe und Szeryng im Zentrum. Im Mittelfeld ständen Piatigorsky (sehr groß), Rostropovitch (wahrscheinlich sehr taktisch und schnell), Horowitz (wegen seiner Intuition) und Richter in der Mitte. Im Sturm würde ich gerne meinen besten Freund Alberto Menchen (Konzertmeister des WDR Sinfonieorchesters) aufstellen, neben meinem absoluten Lieblingsmusiker Jasha Heifetz, weil ich sicher bin, dass Heifetz auch auf diesem „Feld“ eine Legende wäre.
Und auf welcher Position würdest du spielen?
Bouchkov: Wie schon zuvor erwähnt, habe ich immer sehr gerne im Tor gestanden und hier hätte ich sogar noch einen weiteren Grund, diese Position wieder zu beziehen: ich könnte den Jungs von dort aus am besten beim Spiel zusehen.
Welches klassische Stück Musik entspricht am ehesten einem Fußballspiel und warum?
Bouchkov: Das Werk, das mich am meisten an ein gutes Fußballspiel erinnert, wäre wohl Mahlers 8. Sinfonie, die „Sinfonie der Tausend“. Jeder von uns ist so klein und doch Teil eines großen Ganzen – jeder ist dadurch wichtig! Aber auch wenn die Vorbereitung, das Training, im Sport und in der Musik manchmal ziemlich ähnlich ist; was die Sache wahnsinnig schwierig macht, Sport und Musik miteinander zu vergleichen, ist die Tatsache, dass man in der Musik eigentlich immer genau in dem Moment verliert, in dem man spielt, um zu gewinnen, im Sinne von „siegen“. Das Ziel der Musik ist ja nicht, zu punkten. Im Englischen wird der Bezug zum Fußball vielleicht sogar noch deutlicher: „the „goal“ of Music is not to score“. Und wir spielen ja auch nicht, um jemanden zu „besiegen“. Aber vielleicht könnte man doch sagen, dass man spielt, um durch die Musik das Herz des Publikums zu „gewinnen“.