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Interview Giora Feidman

„Kunst ist der Treibstoff für das menschliche Zusammenleben“

Zum 85. Geburtstag von Giora Feidman gibt es jetzt eine TV-Gala und eine Konzerttournee mit einem gut gelaunten Jubilar.

vonEcki Ramón Weber,

Herr Feidman, Sie sind dieses Jahr 85 Jahre alt geworden …

Feidman: Ich glaube schon … (lacht). Na ja, es hängt davon ab, denn Sie wissen ja: Im Hebräischen schreibt man von rechts nach links. Das wäre dann 58 …

Sie leben in einem kleinen Dorf zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Wie haben Sie im März Ihren Geburtstag gefeiert?

Feidman: Kein Zweifel, solch ein Anlass ist selbstverständlich ein wichtiger Tag für einen. Aber offen gestanden: Ich wache jeden Morgen auf, öffne meine Augen und sage: Vielen Dank, dass ich geboren wurde! Die Erinnerungen, die Familie, Freunde – sie bleiben. Aber wenn ich darüber nachdenke, habe ich den Eindruck, dass ich jeden Tag neu geboren werde.

Sie haben die Klezmer-Tradition praktisch wiederentdeckt und Klezmer weltweit bekannt gemacht …

Feidman: Teilweise kann ich bestätigen, was Sie sagen. Ich gehöre zur vierten Generation einer Familie von Klezmer-Musikern. Meine Familie ist 1905 aus Bessarabien, das damals zum Russischen Zarenreich gehörte, nach Argentinien ausgewandert und hatte die Klezmer-Tradition im Gepäck. Das Einzige, was ich dabei letztendlich gemacht habe, ist: Ich habe diese Tradition und die damit verbundene Sicht des Lebens in den Konzertsaal gebracht. Das war meine Aufgabe, die Gott mir für dieses Leben gab und was ich für die Gesellschaft beitragen konnte.

Was wären Ihre Ratschläge für junge Klezmer-Musiker: Worauf kommt es an? Was ist wichtig für die Spieltechnik?

Feidman: Heutzutage unterrichte ich nicht mehr, ich habe dazu nicht mehr die Geduld. Ich würde aber nicht so sehr auf die Spieltechnik abzielen. Als ich noch an der Universität Tel Aviv lehrte, habe ich die Studierenden immer gebeten, eine musikalische Phrase zu spielen. Dann habe ich gesagt: Jetzt schließe die Augen und spiele diese Phrase mit deiner inneren Stimme. Diese innere Stimme kommt tief aus der Seele. Wenn du deine Seele aber nicht zum Ausdruck bringst, egal mit welchem Medium, dann hat es keine Bedeutung, dann bist du nicht wahrhaftig. Das hängt auch mit dem Atem zusammen. Letztendlich bin ich kein Klarinettist, sondern ein Sänger mit der Klarinette. Die Klarinette ist das Mikrofon für meine Seele.

Giora Feidmans Geburtstagsgala
Giora Feidmans Geburtstagsgala

Nach all Ihren musikalischen Erfahrungen: Was bedeutet für Sie persönlich Klezmer?

Feidman: Freiheit im Ausdruck. Das bedeutet auch: Man sollte sich nicht von irgendwelchen ästhetischen Konzepten einschränken lassen, zum Beispiel auch nicht von einer wie auch immer definierten Vorstellung von Schönklang.

Dieses Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Welche Bedeutung hat Klezmer für die jüdische Identität?

Feidman: Na ja, wenn jemand das „Ave Maria“ braucht, um sich daran zu erinnern, dass er katholisch ist, ist das in Ordnung. Wenn jemand das „Kol Nidre“ braucht, um sich daran zu erinnern, dass er Jude ist, ist das auch in Ordnung. Aber Musik macht keinen Unterschied zwischen den Religionen, sie enthält immer die Botschaft der Liebe. Musik im religiösen Rahmen hat immer die Funktion, die Kraft der eigenen Seele zu entdecken.

In Ihrer Karriere haben Sie Türen zu vielen Musiktraditonen und Genres geöffnet. Sie haben mit Musikern aus der Klassikszene gespielt, mit Künstlern aus Chanson und Jazz. Sie haben Tangos interpretiert und Stücke aus der Popmusik. All das hat sehr gut zu Ihrem Spiel gepasst. Was ist das Geheimnis dieser enormen Offenheit und Vielseitigkeit?

Feidman: Eine wichtige Lektion im Klezmer ist: Es gibt nur eine einzige universelle Sprache, das ist die Musik. Das ist die Kommunikation, die uns allen zur Verfügung steht. Die Wortbedeutung von Klezmer ist „Gefäß des Liedes“. Jeder Körper kann solch ein „Gefäß des Liedes“ sein. Ich habe Musik von Piazzolla, Schubert, Brahms, Mozart, habe Jazz gespielt. Und ich muss sagen: Ich spüre wirklich überhaupt keinen Unterschied, sei es nun bei Schubert oder den Beatles. Genau das ist das Konzept von Klezmer. So bin ich erzogen worden. Als ich in jungen Jahren in Buenos Aires den Vertrag im Orchester des Teatro Colón hatte, kam es vor, dass ich am selben Tag zuerst bei einer Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ mitwirkte und danach zu einer jüdischen Hochzeit eilte, um mit den Klezmer-Musikern meiner Familie dort zu spielen.

Giora Feidman
ACHTUNG: Nur einmalig für ZDF-Sendung zu verwenden! Der „König des Klezmer feiert seinen 85. Geburtstag gemeinsam mit Topstars aus der Musik- und Schauspielszene.

Sie wurden mit 18 Jahren als klassisch ausgebildeter Klarinettist Mitglied im Orchester des Teatro Colón. Das war eine prestigeträchtige und aussichtsreiche Anstellung. Doch bereits drei Jahre später, 1956, mit 21 Jahren, sind Sie in den noch jungen Staat Israel ausgewandert. Was waren damals Ihre Gründe dafür?

Feidman: Ich wollte unbedingt dorthin auswandern, weil ich 2000 Jahre lang gewartet habe, um nach Israel zu gehen.

In Israel waren Sie dann fast zwanzig Jahre Klarinettist im Israel Philharmonic Orchestra mit Hauptsitz in Tel Aviv. Mit ihrer Solokarriere als Klezmer-Solist fingen sie jedoch erst später, in den siebziger Jahren, an.

Feidman: Die Zeit im Israel Philharmonic Orchestra war wundervoll. Wir haben mit allen wichtigen Solisten und Dirigenten zusammengearbeitet und waren auf vielen Tourneen international unterwegs. Und das Publikum zeigte sich sehr begeistert und dankbar. Ich wusste aber damals schon, dass ich irgendwann vor allem Klezmer spielen würde. In Israel gab es Klezmer-Traditionen in den Kreisen der orthodoxen Juden, wo die Musik zum Beispiel bei Hochzeiten oder Bar Mizwa-Feiern erklang. Irgendwann habe ich die Leute aus der Leitung des Israel Philharmonic Orchestra gefragt, ob ich einmal etwas Klezmer im Konzert spielen dürfte. Sie waren einverstanden, und es wurde gleich ein großer Erfolg. So ging es dann weiter.

Hat sich das Klezmer-Repertoire in Israel von dem in Argentinien unterschieden?

Feidman: Im Grunde genommen nicht. Das Repertoire kannte ich aus meiner Kindheit und Jugend. Letztendlich habe ich diese Musik ja schon vor meiner Geburt im Schoß meiner Mutter gehört. Später haben dann viele Komponisten Musik für mich geschrieben, was mein Repertoire erweitert und mir als Musiker wiederum neue Impulse gegeben hat. Darüber bin ich sehr glücklich.

Welche aktuellen Tendenzen beobachten Sie im Klezmer?

Feidman: Es tut mir wirklich leid, dies sagen zu müssen: Ich sehe heutzutage manche opportunistischen Tendenzen, bei denen versucht wird, einfach etwas zu imitieren. Das geht natürlich auf Kosten des Ausdrucks und der Originalität. Ich habe in meiner Laufbahn sehr langsam versucht, Klezmer weiterzuentwickeln. Ich bin dann erst später von Sinfonieorchestern, Kammerensembles oder Streichquartetten eingeladen worden, um mit ihnen zu spielen. Es war tatsächlich eine allmähliche Entwicklung.

In Ihrer langen Karriere haben Sie viele Länder gesehen und viele Menschen getroffen. Wenn Sie zurückblicken: Was würden Sie einer jüngeren Generation als Botschaft mitgeben?

Feidman: Liebe, Liebe, Liebe! Kunst ist Zivilisation, wirklich jede Form von Kunst. Das ist der Treibstoff für das menschliche Zusammenleben. Denn Kunst ermöglicht Gemeinschaft. Und ohne Liebe gibt es keine Gemeinschaft. In meinen Augen ist das eine ganz einfache mathematische Gleichung.

concerti-Tipp:

So. 3.10.2021, 13:10 Uhr
„Happy Birthday, Giora Feidman!“ Konzertmatinee zum 85. Geburtstag
ZDF

CD-Tipp

Album Cover für Friendship

Friendship

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