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Interview Hansjörg Albrecht

„Wenn ich Mozart dirigiere, dirigiere ich Mozart“

Dirigent und Organist Hansjörg Albrecht über Musik und Politik, Bruckner und Orgel – und darüber, wie man das alles bewältigt.

vonMaximilian Theiss,

Herr Albrecht, Sie sind der Typ Dirigent und Konzertorganist, der zahlreiche Projekte gleichzeitig hat. Seit einiger Zeit taucht Ihr Name oft aber auch im kulturpolitischen Zusammenhang auf: Gemeinsam mit den Sängern Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Christian Gerhaher und Kevin Conners haben Sie die Initiative „Aufstehen für die Kunst“ ins Leben gerufen, da Sie angesichts der weitläufigen Schließungen kultureller Einrichtungen während der Coronazeit die Kunstfreiheit in Gefahr sahen. Im Frühjahr letzten Jahres haben Sie deshalb Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Damit sind Sie nun auch politischer Aktivist.

Hansjörg Albrecht: Die Musik selbst ist ja auch oft politisch, und das schon weit vor Weill und Schostakowitsch. Händels „Judas Maccabaeus“ ist anlässlich des Jakobitenaufstands entstanden, und Verdi hätte sein Requiem nicht geschrieben, wäre er kein glühender Verfechter des Risorgimento gewesen. Wir vier von „Aufstehen für die Kunst“ sind aber keine Leute, die auf die Barrikaden gehen. Wir sind Musiker, die einfach ihrer Arbeit nachgehen wollen …

… und dadurch politisch geworden sind.

Albrecht: Ja, notgedrungen. Es ist wirklich erschreckend, wie viele Leute in unserer Branche geschwiegen haben. Und da muss ich sagen: Entweder ist etwas schlimm oder es ist nicht schlimm. Viele Institutionen bekommen vom Staat Geld und ziehen daraus offenbar die Konsequenz, dass man dann lieber schweigt. Da stellt sich mir die Frage: Warum ist das eigentlich so in unserer Gesellschaft? Ich dachte, wir wären so wahnsinnig frei. Da hätten wir uns von unserer Branche mehr Mut erhofft.

Hatten Sie – oder auch der Münchener Bach-Chor bzw. das Münchener Bach-Orchester – denn umgekehrt auch mal Angst vor dem eigenen Mut?

Albrecht: Nein, ich kann und werde nicht einfach schweigen, wenn ich eklatante Ungerechtigkeiten sehe – dies allein schon aufgrund meiner Erfahrung in der DDR. Als der Bach-Chor 2018 als erstes deutsches Ensemble auf einer Tournee in Israel – zusammen mit dem Israel Philharmonic Orchestra – die israelische Hymne gesungen hat, bekamen wir danach aus der rechten Szene Briefe, die es in sich hatten. Da gab’s dann auch Gespräche, ob gegebenenfalls politische Hilfe notwendig ist. Das war natürlich schon beängstigend. Aber mit Blick auf die Corona-Krise verstehe ich nicht, dass staatlich geförderte Institutionen sich nicht trauen, wegen der gravierenden Einschnitte des Kulturlebens auf die Barrikaden zu gehen. Wenn daraus dann wirklich eine Etat-Kürzung oder eine wie auch immer geartete Gängelung seitens der Politik entstehen würde, wäre doch sofort die Presse zu Stelle und würde das an die Öffentlichkeit bringen! Ich habe in der zehnten Klasse die Wende erlebt, wo in den Wochen zuvor der Staat mit Polizei und Armee seine Drohkulissen aufgebaut hatte. Natürlich kann man diese beiden Situationen nicht miteinander vergleichen, aber damals sind Intendanten und GMDs aufgestanden und haben vor oder nach den Vorstellungen Pamphlete verlesen. Das Wasser stand damals allen bis zum Hals.

Hansjörg Albrecht ist Mitbegründer der Initiative „Aufstehen für die Kunst“
Hansjörg Albrecht ist Mitbegründer der Initiative „Aufstehen für die Kunst“

Ist der Vergleich vielleicht auch deshalb nicht so einfach herzustellen, weil die Hochkultur in der damaligen DDR einen höheren Stellenwert hatte als sie ihn gegenwärtig in Deutschland hat?

Albrecht: Die Hochkultur in der DDR hat auf verschiedenen Ebenen stattgefunden. Auf der einen Seite waren für viele Leute beispielsweise die Kirchen ein Rückzugsort. Ich erinnere mich beispielsweise an Orgelkonzerte in der Dresdner Kreuzkirche mit zwei-, dreitausend Zuhörern. Das war in dieser Tristesse, in dieser Einöde wirklich ein Elixier und eine Lebensnotwendigkeit. Und dann gab es noch das, was der Staat verordnet hatte. Zur Jugendweihe wurden die Leute ins Theater geschleift, die Matthäus-Passion wurde mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Verbindung gebracht. Da wurde dann Bach fast schon als kommunistischer Hero dargestellt …

… außerhalb kirchlicher Gemäuer …

Albrecht: …was an sich kein Problem wäre. Peter Schreier, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der DDR ein hochgefeierter Sänger war, wurde im Westen oft gefragt, warum er eine Johannes-Passion im Dresdner Kulturpalast aufführen würde, das sei doch ein kirchliches Werk. Aber er fand, dass diese Musik universell und Bachs Botschaft auch für all jene gedacht sei, die vielleicht nicht an Gott glauben. Außerdem kann auch ein Konzertsaal eine heilige Aura haben. Die letzten zwei Schubert-Messen wurden im Konzertsaal aufgeführt, Verdi hat sein Requiem auch nicht für die kirchliche Liturgie geschrieben.

Sie als Interpret gehen im Rahmen eines gigantischen Projekts gewissermaßen den umgekehrten Weg und spielen derzeit Bruckners – weltliche – Sinfonien als Orgeltranskriptionen ein, unter anderem in St. Florian in Linz, der Londoner Westminster Cathedral und im Wiener Stephansdom, also in Kirchen.

Albrecht: Da kommen viele Dinge zusammen. Bruckner ist für mich eigentlich der perfekte „Verbindungsmann“ zwischen Bach und Messiaen, was seine Gläubigkeit, seine übergroße Liebe zur Orgel, seine unglaubliche Orchesterbehandlung und seine starke Hinwendung zur Musica Sacra anbelangt. Nicht umsonst hat er ja  auch seine Neunte „dem lieben Gott“ gewidmet. Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen, dass Bruckner unbedingt in einer großen Kathedrale aufgeführt werden sollte. Für 2024 habe ich vor, weltweit mit Bruckners Sinfonien sowie den neu in Auftrag gegebenen „Bruckner-Fenstern“ zu konzertieren und damit einen neuen Blick auf Bruckners Genialität aufzuzeigen. Eine seiner Sinfonien beispielsweise im Kölner Dom zu spielen, hätte schon etwas Magisches.

Wie kam es zu diesem Projekt?

Albrecht: Das war eine Anfrage von OehmsClassics. Einzelwerke von Bruckner hatte ich in der Vergangenheit schon mehrfach dirigiert und kannte seine Kirchenmusik aus meiner Zeit im Dresdner Kreuzchor. Orgeltranskriptionen von Bruckners Sinfonien hatte ich jedoch irgendwie nie in Erwägung gezogen. So besehen kam dieses Projekt wie gerufen, denn dadurch kann ich jetzt komplett in Bruckners Kompositionswerkstatt eintauchen. Nach Möglichkeit möchte ich seine Sinfonien auch bis 2024 komplett dirigiert haben. Für mich ist nämlich dieser Switch von Orgel zu Orchester und zurück unglaublich spannend, denn die Arbeiten mit beiden „Klangkörpern“ befruchten sich gegenseitig.

Was kann denn eine Orgel, was ein Orchester nicht kann, was ein Orchester, das die Orgel nicht kann?

Albrecht: Die Orgel kann einen im positiven Sinne erschlagen. So einen Rausch kann ein Orchester nie erzeugen, da kann es noch so laut spielen. Mahler hat nicht ohne Grund am Ende seiner zweiten Sinfonie oder in seiner achten die Orgel eingesetzt. Andererseits: Im bombastischen Finale eines Orchesterstücks spielen zwar alle im Forte, aber die einzelnen Instrumentengruppen haben ganz unterschiedliche Figurationen. Das kann man mit zwei Händen und Füßen an der Orgel nie verwirklichen. Wenn man so will, ist da die Orgel eindimensional, während man beim Orchester einen insgesamt belebteren Klang erzeugen kann.

Parallel zu diesem Projekt und zu Ihrem politischen Engagement geben Sie als Organist und Dirigent zahlreiche Konzerte. Wie sortieren Sie sich eigentlich?

Albrecht: Das geht seltsamerweise von alleine und ich habe das auch so als ganz natürlich im Knabenchor erlebt und intuitiv gelernt. Vor ein paar Jahren war ich erstaunt, wozu das Gehirn in der Lage ist. Ich hatte in Hamburg Mahlers Zweite dirigiert und musste danach gleich noch mit dem Zug nach Berlin, um tags darauf die Orchesterlieder von Walter Braunfels einzuspielen. Ich habe also im Zug die Partitur von Braunfels ausgepackt, und plötzlich war Mahler ganz weit weg. Als hätte sich ein Schalter umgelegt. Neulich habe ich wieder das Lied „Ganz einfach“ von Gerhard Schöne, einem Liedermacher aus der ehemaligen DDR, gehört. Darin geht es um einen Mann, der seinem Vater erzählt, wie ihm der Beruf und das Leben über den Kopf wachsen, dass er nicht mehr schlafen kann und so weiter. Dann fragt er ihn, wie er das denn so macht, woher er seine Ruhe nimmt. Und der Vater antwortet: Wenn ich schlafe, schlafe ich, wenn ich gehe, gehe ich und so weiter. Ich glaube, nur so kann man die Herausforderungen des Lebens bewältigen. Wenn ich Mozart dirigiere, dirigiere ich Mozart. Und wenn ich Bruckner spiele, spiele ich Bruckner.

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