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Harfenist Xavier de Maistre im Interview

„Alle haben mir davon abgeraten“

Xavier de Maistre hat als Solist den Feenstaub von der Harfe geblasen und sich für sein neues Projekt mit der Kastagnetten-Virtuosin Lucero Tena zusammengetan

vonSören Ingwersen,

Modische Jeans und rote Sportschuhe – auch beim Interviewtermin in einem Café nahe der Hamburger Musikhochschule gibt es für Xavier de Maistre keinen Garderobenzwang. Aber nicht nur durch seine äußere Erscheinung hat der 44-jährige Franzose mit vielen Klassik-Klischees aufgeräumt.

Herr de Maistre, Ihr neues Album trägt den Titel „Serenata Española“. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Spanien?

Xavier de Maistre: Nicht wirklich, aber ich liebe spanische Musik. Das ist auch die Musik, für die sich die Harfe perfekt eignet. Man muss bedenken, dass die Stücke von Albéniz oder Granados zwar durch die Gitarre populär, aber ursprünglich für Klavier geschrieben wurden. Mit der Harfe nutzt man einerseits die Bandbreite, Klangfülle und den harmonischen Reichtum des Klaviers, andererseits kann man aber auch die härteren Einsätze der Gitarre imitieren. Das ist für mich ein perfekter Kompromiss, da man diese Stücke dadurch abwechslungsreicher wiedergeben kann als auf dem Klavier oder der Gitarre. Die Begegnung mit Lucero Tena war dann der Anlass, das Projekt zu verwirklichen.

Xavier de Maistre und Lucero Tena
Xavier de Maistre und Lucero Tena © Beatrice Waulin/Sony Classical

Wie kam die Begegnung mit der Kastagnetten-Virtuosin zustande?

de Maistre: Sie wurde mir nach einem Konzert in Madrid vorgestellt und ich war sofort von ihr begeistert. Sie hat eine große Ausstrahlung und so eine warme Persönlichkeit. Dann habe ich mir auf YouTube-Videos von ihr angeschaut und war total baff. Danach wollte ich unbedingt ein Projekt mit ihr auf die Beine stellen. Eine solche Konstellation hat es noch nie gegeben. Sie fand die Idee toll, etwas mit mir zu machen, und hat sofort zugesagt.

Gab es Meinungsverschiedenheiten bei der Vorbereitung oder während der Aufnahmen?

de Maistre: Überhaupt nicht. Die Zusammenarbeit war unglaublich einfach. Alle Stücke hat sie ja bereits mit Orchester oder mit Gitarre gespielt. So war nur zu entscheiden, bei welchem Werk sie mitmacht und wie viel sie spielt. Lucero hat so ein fantastisches Rhythmusgefühl, dass wir kaum Proben mussten. Es ist ganz erstaunlich, wie viele Farben und Emotionen sie mit diesen kleinen Stückchen Holz spiegeln kann.

Lucero Tena ist ja eine lebende Legende. Warum eigentlich?

de Maistre: Lucero ist eine so starke Persönlichkeit und verströmt eine solche Intensität auf der Bühne, wie ich sie selten erlebt habe. Sie war ja eine sehr bekannte Flamenco-Tänzerin und eine künstlerische Botschafterin für Spanien. Es gibt Fotos von ihr mit Marlon Brando, Gregory Peck oder Ronald Reagan. Ihre Stärke waren immer die Kastagnetten, die sie so abwechslungsreich verwendet, dass sie sie zu einem Soloinstrument machen konnte und von den größten Orchestern eingeladen wurde. Lucero ist gerade 80 geworden und hat so eine enorme Energie und ist immer gut gelaunt, dass es wirklich ein Erlebnis ist, mit ihr auf der Bühne zu stehen.

Xavier de Maistre und Lucero Tena
Xavier de Maistre und Lucero Tena © Beatrice Waulin/Sony Classical

Spielen Sie bei jedem Konzert auf Ihrer eigenen Harfe?

de Maistre: Ich habe vier Instrumente, die europaweit verteilt sind, und versuche immer die Harfe, die am nächsten ist, zum jeweiligen Auftrittsort zu schicken. Aber 70 Prozent meiner Konzerte spiele ich als Solist mit großem Orchester. Dort nutze ich oft die Instrumente, die mir zur Verfügung gestellt werden.

Ist die Umgewöhnung schwierig?

de Maistre: Wir Harfenisten wechseln ungern. Ich spiele auf einer amerikanischen Lion-&-Healy-Harfe. Bei der deutschen Harfe, die etwas kleiner ist, sind die Saitenabstände zum Teil etwas größer. Wer ein anderes Instrument gewohnt ist, greift ständig daneben.

Greifen Sie manchmal auch bei der Werkauswahl daneben? Das Repertoire für Harfe ist ja begrenzt.

de Maistre: Ich würde nie behaupten, dass ich nicht gerne Konzerte von Beethoven oder Mozart hätte. Aber auf der anderen Seite ist es eine große Motivation, immer neue Projekte zu entwickeln, etwas zu erfinden, was es noch nie gegeben hat, und neue Türen zu öffnen für andere. Diese Pionierrolle macht mir sehr viel Spaß. Bei den Arrangements bin ich aber sehr wählerisch. 60 Prozent der Klavierliteratur kann man auf der Harfe übernehmen. Aber es klingt nicht alles gut. Es kommt vor, dass ich ein Projekt beginne und nach ein paar Monaten erkenne, dass es nichts bringt, und ich die Arbeit einstelle.

Xavier de Maistre
Xavier de Maistre © Gregor Hohenberg

Wie viele Arrangements auf „Serenata Española“ stammen von Ihnen selbst?

de Maistre: Ungefähr die Hälfte. Einige Werke wurden noch nie auf der Harfe gespielt wie zum Beispiel „Mallorca“ von Albéniz oder das „Intermedio“ aus „La Boda de Luis Alonso“ von Giménez – das Paradestück von Lucero Tena und aller spanischen Orchester. Ich hatte ziemlichen Respekt davor, aber wollte es unbedingt für Lucero lernen. Andere Arrangements sind längst zu Klassikern für die Harfe geworden wie de Fallas „Danza española“ oder die D-Dur-Sonate von Albéniz.

Die Musikindustrie preist Harfenmusik oft mit Floskeln wie „Musik zum Träumen“ oder „Klassik zum Genießen“ an. Nervt Sie das?

de Maistre: Am Anfang hat mich das schon etwas genervt. Es war schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Harfe ein ernstzunehmendes Soloinstrument sein kann. Aber da hat sich in den letzten zehn Jahren unglaublich viel getan.

Was hat Ihre Familie, was haben Ihre Freunde gesagt, als Sie 2010 Ihre Stelle bei den Wiener Philharmonikern aufgegeben haben, um eine Solokarriere zu starten?

de Maistre: Alle haben mir davon abgeraten. Als Student wurde mir immer gesagt: Das Beste, was man mit der Harfe erreichen kann, ist, eine Stelle bei einem internationalen Top-Orchester zu bekommen. Als ich dann die Stelle in Wien mit 24 Jahren antrat, habe ich gedacht: Okay, das war’s. Ich konnte mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, 45 Jahre lang im Orchester auf den Einsatz zu warten. Aber ich muss gestehen, was jetzt passiert, ist wirklich viel, viel mehr, als ich mir je erhofft hatte.

Sind Liebhaber von Harfenmusik in der Regel eher konservative Menschen?

de Maistre: Ich denke, weil die Harfe so spektakulär ist und ich durch meine Auftritte mit vielen Klischees über klassische Musiker aufräume, spreche ich auch ein jüngeres Publikum an. Man kann klassische Musik spielen und trotzdem mit beiden Füßen im 21. Jahrhundert stehen. Ich glaube, das ist auch absolut notwendig, wenn wir Musiker überleben wollen.

Xavier de Maistre
Xavier de Maistre © Gregor Hohenberg

Wie sieht diese „Aufräumarbeit“ konkret aus?

de Maistre: Es ist sehr wichtig, wie man auftritt, dass man vielleicht mal etwas dynamischer auf die Bühne geht. Es ist aber auch eine Frage des Marketings, angefangen von den Fotos und der Kleidung bis hin zur Programmgestaltung. Selbst das konservative Publikum möchte inzwischen Abwechslung. Veranstalter, die immer wieder dieselben Werke aufs Programm gesetzt haben, weil das bisher immer funktioniert hat, haben am Ende nicht überlebt. Das Umgekehrte wäre richtig gewesen: Wenn man merkt, die Leute kommen nicht mehr, muss man sich öffnen für neue Instrumente, neue Werke, neue Gesichter.

Sie leben derzeit in Monaco und haben eine zwölfjährige Tochter. Zupft sie auch schon die Harfe?

de Maistre: Sie spielt Geige und etwas Klavier. Ich wollte nicht, dass sie nachher im Schatten ihres Vaters steht. Aber ob sie überhaupt eine professionelle Laufbahn einschlägt, soll allein ihre Entscheidung sein. Egal welches Instrument – es ist wahnsinnig schwierig geworden, sich durchzusetzen. Daher muss der Wunsch von innen kommen. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie. Die Harfe war wirklich mein Ding. Das zu erkennen, finde ich sehr wichtig für das Leben.

Xavier de Maistre und Lucero Tena:

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