Startseite » Interviews » „Ich kann mir verzeihen“

INTERVIEW NIKOLAJ ZNAIDER

„Ich kann mir verzeihen“

Einst wollte Nikolaj Znaider unbedingt Weltmeister werden, heute philosophiert der Geiger und Dirigent lieber über den lebenslangen Tanz mit dem Repertoire

vonChristian Schmidt,

Dass Pianisten auch am Pult stehen, kommt ziemlich häufig vor. Große Geigenvirtuosen dagegen findet man nur selten in gleicher Prominenz unter den Dirigenten. Nikolaj Znaider – hohe Stirn, wachsame kluge Augen – ist als Kind polnischer Eltern und in Kopenhagen geborener Neuisraeli ein wahrer Kosmopolit. Fast scheint es, als habe er irgendwann nicht mehr genug herausgefunden über die Musik beim Studium einer einzelnen Geigenstimme. Als müsste er sich gleich die ganze Partitur vornehmen, um hinter das Geheimnis der Kompositionen zu kommen, die Seele der Töne zu erfassen. Überhaupt ist das ein Punkt, an dem Znaider immer wieder innehält, wenn das Gespräch darauf kommt: die Unrast seines Forschergeistes, das Bewusstsein um die Unvollkommenheit. So weltzugewandt und doch unkonventionell antimodisch sein Spiel im besten Sinne des Wortes klingt, so sympathisch wirkt er als Mensch, so fragend als Dirigent. Ein Gespräch über das Zweifeln.

Stimmt die Anekdote von Ihrem Großvater, der für ein paar Minuten Wärme seine Geige im Ofen verfeuerte?

Anscheinend, aber vielleicht ist es auch ein Mythos. Seine Familie soll sehr arm gewesen sein, ließ sich wohl aber irgendwann von ihm überreden, ihn Geigespielen lernen zu lassen. Als der Vater starb, verarmten sie noch mehr, und im Winter war es dann so weit. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Jedenfalls wollten meine Eltern, dass auch ich ein Instrument lerne.

Aber der Auslöser war etwas anderes.

Ich erinnere mich noch wie heute, als ich so eine Fernsehsendung mit Itzhak Perlman gesehen habe – damals war ich acht Jahre alt. Als Fußballfan wusste ich noch nicht, dass die Musik in anderen Kategorien denkt, aber ich wollte unbedingt Weltmeister werden im Geigenspiel. Daraus ist ja dann nichts mehr geworden.

Sie haben gut lachen, immerhin werden Sie auf der ganzen Welt sowohl als Geiger wie auch als Dirigent gefeiert. Welche musikalischen Unterschiede macht das?

Wenn Sie mich so fragen: eigentlich keine. Vielleicht im Klang, wie ich ihn wahrnehme, als Geiger mehr innerlich, am Pult mehr äußerlich. Dafür tragen Dirigenten eine größere Verantwortung. Ich habe damals mit Daniel Barenboim viel Zeit verbracht, ihm verdanke ich Unglaubliches – und das ist keineswegs die übliche Phrase, die man oft hört. Er sagte mir: Dein Talent wird verschwinden, bei hundert Konzerten im Jahr ist der jugendliche Elan weg –  umso wichtiger wird die intellektuelle Entwicklung.

Und das machte Sie hellhörig.

Ich war einfach neugierig und kannte die so vielfältige Orchester- und Opernliteratur nur als Zuhörer. Ich wollte mich aber als Musiker auch damit beschäftigen, das Repertoire für Sologeiger war mir letzten Endes zu eng.

Haben Sie denn auch als Geiger von Ihrer neuen Domäne profitiert?

Ja, durch die abstrakte, theoretische und philosophische Art der Beschäftigung. Neue Werke lerne ich heute nicht mehr wie ein Teenager: Damals habe ich die Musik Note für Note gespielt, jetzt sehe ich die Musik von Ferne her, die Details kommen erst später. Es gibt ja diese große Gefahr, dass junge Musiker sich nur für die eigene Stimme, nicht für das große Ganze interessieren.

Es kommt vor, dass Sie in einem Konzert erst ein Violinkonzert spielen und dann dirigieren Sie. Was ist schöner? 

Ich liebe immer noch beides, und es gibt für mich eben keinen grundsätzlichen Unterschied in der Art, wie ich musiziere. Zuerst sehe ich mir die Struktur eines Stücks an: Wie ist es zusammengeschraubt, welchem System folgt die Rekonstruktion, wie lang sind die einzelnen Teile? Erst versuche ich das ganze Bild zu betrachten, dann seine Verästelungen.

Fühlen Sie sich als Dienender oder als Schaffender?

Da habe ich keine perfekte Lösung. Einerseits gehört unsereins keiner schaffenden Gruppe an. Aber wenn wir nur wiedergeben, was geschrieben steht, bringt es auch nichts im Sinne einer Erkenntnis. Vielleicht trifft es die Bezeichnung Medien eher.

Man stellt sich ja so vor, dass ein großer Musiker Bücher, Briefe, wissenschaftliche Studien liest, bevor er sich an eine Interpretation wagt. Tun Sie das auch?

Sicher gehört das dazu, aber es wäre ein Trugschluss zu behaupten, Musik anhand von Tagebüchern oder Briefen verstehen zu können. Letztlich sind Bücher nur Schichtenstudium, was aber ist die Philosophie hinter einem Werk? Um es mit Søren Kierkegaard zu sagen: Man versteht nur rückwärts, aber man lebt vorwärts. Als junger Musiker glaubt man, ständig einem Werk seinen Stempel aufdrücken zu müssen. Erst später reduziert man immer weiter. Ich forsche nach dem Destillat. Der Zeitpunkt ist der schönste, an dem nichts mehr überflüssig ist. Die ganz Jungen sollen ihre Leidenschaft und Passion leben, aber bei den ganz Großen bleibt am Schluss die Essenz. Ob Davis oder Rubinstein: Irgendwann stimmt alles, man denkt gar nicht mehr darüber nach, ob das jetzt laut oder leise war. Schnell und langsam bedeutet nichts mehr, alles hat eine organische Logik.

Jetzt hören Sie sich aber alt an. Wie weit entfernt sind Sie von dieser Größe?

Schwer zu sagen. Ich kann mir verzeihen, das ist vielleicht meine Größe. Sehen Sie: Am Ende ist kein einziger Musiker groß genug für das Requiem von Mozart. Wie können wir jemals groß genug sein für solche Monumente? Ich meine, wenn man glaubt, gut genug zu sein, dann sollte man aufhören.

Aber gibt es nicht diese seltenen Momente, in denen alles stimmt?

 

Mag sein, aber es kommt sehr selten vor, Sie spüren dann solch ein Knistern zwischen Bühne und Publikum. Das ist ebenso schwer zu reproduzieren, wie es schwer zu erklären ist: Man weiß nicht, wie das passiert. Das ist ja das Wunderbare an der Musik.

So gesehen sind CDs absurd, die Sie aber fleißig aufnehmen.

Musik kann man nicht in Alkohol einlegen, um es mit Furtwängler zu sagen. Das sind wunderbare Dokumente, aber keine endgültigen Statements. Ich meine sie jedenfalls nicht so, sondern vollführe einen lebenslangen Tanz mit dem Repertoire.

Welche Botschaften tragen Sie in die Welt?

Ich befinde mich in einer Phase, in der ich nicht die Wichtigkeit des einzelnen überschätzen will. In unserer Zeit ist es zwar wichtig, sich zu artikulieren, aber ich bin kein Prophet. Die Weiterführung von musikalischen Werten und Traditionen sind mir wichtig, ebenso Bildung: Ich habe noch Leute getroffen, die von den großen Komponisten bespielt wurden – die nächste Generation hat diese Erfahrung nicht mehr. Das Leben hat sich stark verändert. Wir kommen nie zu der Zeit zurück, in der man nur Zeitgenössisches gespielt hat. Schönbergs Musik ist 80 Jahre alt.

Wer sind die großen Komponisten heute? 

 

Das müssen wir herausfinden. Das Publikum müssen wir daran gewöhnen. Niemand macht mehr Hausmusik zu Hause. Heute kann man aufwachsen, ohne jemals klassischer Musik begegnet zu sein, aber wir leben nicht in einem Museum! Wenn man was bewegen will, muss man auch politisch aktiv sein. Zeigen Sie Fünfjährigen ein Musikinstrument, sie sind hingerissen.

Wir haben uns weit entfernt von der Relevanz der Musik für die Gesellschaft.

Stimmt.

Sie sind auf Einladung von Valery Gergiev Gastdirigent in Sankt Petersburg. Wie unabhängig ist man als Musiker von politischen Krisen? 

Schwere Frage … ich weiß es auch nicht. Wenn ein Geschäftsmann eine Reise nach Russland macht, fragt ihn niemand nach der Moral. Von Kulturschaffenden erwartet man irgendwie mehr. Natürlich muss man beobachten, was weiter passiert. Es ist schwer, sich der Propaganda jeder Seite zu entziehen. Irgendwann sollte man dann als Mensch die Konsequenzen ziehen. Meine Augen sind nicht verschlossen.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Klassik in Ihrer Stadt

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!