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Interview Matthias Schulz

„In Berlin genügt es nicht, einfach nur hip zu sein“

Matthias Schulz, Co-Intendant der Berliner Staatsoper, über das generalsanierte Opernhaus Unter den Linden – und über seine Eindrücke der Bundeshauptstadt

vonMaximilian Theiss,

Matthias Schulz betritt aufgeräumt und bestens gelaunt die Räumlichkeiten der Staatsoper Unter den Linden. Dort ist alles schon recht weit gediehen, und doch wummert, klopft und dröhnt es noch allerorten: Die Handwerker und Bauarbeiter sind mit der Arbeit in ihren letzten Zügen. Doch nicht nur das Gebäude steht vor einer neuen Ära, sondern auch die Staatsoper selbst: Noch ist Matthias Schulz gemeinsam mit Jürgen Flimm Co-Intendant, doch ab März 2018 leitet er alleine die Geschicke des Opernhauses.

Herr Schulz, die Staatsoper Unter den Linden erstrahlt in neuem Glanz. Worauf freuen Sie sich besonders, wenn Sie endlich das generalsanierte Haus beziehen dürfen?

Matthias Schulz: Ganz einfach auf die Möglichkeiten, die dieses Opernhaus jetzt bietet! Das fängt schon mit dem Bühnenturm an, der fast dreißig Meter hoch ist und mit der Unterbühne, die neun Meter in die Tiefe geht. Theoretisch kann man also innerhalb von Sekunden eine neue Welt erschaffen. Wunderbar ist der Zuschauerraum, der durch seine Rokoko-Ausmaße ein sehr direktes Opernerleben ermöglicht: Man spürt regelrecht die Schwingungen des Cellos oder der menschlichen Stimme, hat kein Distanzgefühl zur Bühne.

Sie sind Bayer, haben in Salzburg bei den Festspielen und bei der Stiftung Mozarteum gewirkt und leben seit eineinhalb Jahren in Berlin. Was zeichnet in Ihren – vermutlich noch objektiven – Augen die Stadt Berlin aus?

Schulz: Alle gesellschaftlichen Entwicklungen sind hier wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar, das fasziniert mich! Jedes Land, jede größere Firma hat hier eine Vertretung, jede Lebensform findet hier ihren Platz. Als ich noch in Salzburg gearbeitet habe, war es – überspitzt formuliert – auch meine Aufgabe, dem etwas zu Bürgerlichen und zu Katholischen entgegenzutreten und es herauszufordern. Da ist die Situation in Berlin eine völlig andere. Das heißt aber nicht, dass man beispielsweise Zeitgenössisches nicht auch hier bewusst in den Blick nehmen und weiterdenken muss. Vielmehr geht es darum, die Vielfalt dieser Stadt zu spiegeln – sowohl in alten als auch neuen Werken.

Kann man die Berliner Kulturszene überhaupt überblicken?

Schulz: Wirklich überschauen kann man sie nicht, und das ist auch gut so. Wenn man auf das unglaublich große Spektrum an kulturellen Angeboten und Institutionen blickt, die oftmals eine ebenso aufregende Geschichte haben wie die Staatsoper, dann wünsche ich mir sehr, dass diese Vielfalt so bestehen bleibt, dass man sich auch gegenseitig unterstützt und keine Fronten aufbaut.

Matthias Schulz
Künstlerische Schaltzentrale: Der Arbeitsplatz von Matthias Schulz ist schon eingerichtet © Stephanie von Becker

Die Geschichte der Staatsoper ist sehr umfangreich, nicht nur wegen der zahlreichen klingenden Namen, die hier tragende Rollen spielten. Wie verschafft man sich da einen Überblick?

Schulz: Gewisse Namen wie Spontini, Meyerbeer, Strauss, Kleiber, Furtwängler oder gegenwärtig Barenboim, die die Staatsoper entwickelt und weitergetragen haben, sind selbstverständlich ohnehin geläufig. Aber es stimmt schon, bei 275 Jahren gibt es viel zu entdecken und viel Raum für eine Auseinandersetzung mit der Tradition des Hauses. Sich zu sehr darauf zu fokussieren ist aber auch nicht gut! Ab einem gewissen Punkt möchte ich mich davon befreien, um nicht vor lauter Respekt in Schockstarre zu verfallen und um Neues für das Haus erdenken zu können.

Möchten Sie denn dem Publikum die Geschichte des Hauses nahebringen? Das Jubiläum wäre ja ein idealer Anlass dafür.

Schulz: Der Raum vergisst nichts. Daran glaube ich. Das Gemäuer der Staatsoper atmet große, manchmal schier unglaubliche musikalische Momente, und die möchten wir unserem Publikum auch nahebringen. Als wir beispielsweise überlegt haben, wie wir das Geburtstagskonzert am 7. Dezember feiern wollen, haben wir uns auf die drei Komponisten geeinigt, die hier am Haus auch dirigiert haben: Felix Mendelssohn, Pierre Boulez und Richard Strauss. Man sieht daran, welch reiche Möglichkeiten es bei der Staatsoper Unter den Linden gibt, historische Bezüge ganz natürlich herzustellen. Dabei ist mir aber wichtig, nicht zu akademisch vorzugehen. Grundsätzlich gesprochen ist ein rein musikwissenschaftlich konzipiertes Programm selten ein gutes Programm – das intuitive, emotionale Erleben muss eine zentrale Rolle spielen.

Bis März 2018 teilen Sie sich die Intendanz noch mit Jürgen Flimm, der als Schauspieler und Regisseur zur Intendanz kam. Inzwischen ist jedoch der Bereich des Kulturmanage-ments im Portfolio eines Intendanten immer wichtiger geworden. Was halten Sie denn vom Begriff „Manager-Intendant“?

Schulz: Mit dem Begriff werde ich oft konfrontiert, kann damit aber wenig anfangen. Künstlerische Leidenschaft und ökonomischer Sachverstand schließen sich nicht automatisch aus und ich hoffe das auch zeigen zu können. Wenn man einem Opernhaus Relevanz geben möchte, reicht die Arbeit zwangsläufig weit über das Künstlerische beziehungsweise über das reine Programmmachen hinaus – heute mehr denn je.

Hier in Berlin stehen Sie als Intendant gerade am Beginn Ihrer Arbeit. Was sind Ihre künstlerischen Visionen?

Schulz: Wenn ein Opernhaus in neuem Glanz erstrahlt und gleichzeitig eine so weit zurückreichende Geschichte hat wie die Staatsoper Unter den Linden, dann geht es mir auch darum, einen Schritt zurückzugehen und zu fragen: Was soll dieses Opernhaus oder die Oper ganz allgemein heutzutage bewirken? Jedenfalls sollte Oper nicht museal sein oder rein dekorativ gedacht werden.

Sondern?

Matthias Schulz ist ab März 2018 Intendant der Staatsoper Berlin
Matthias Schulz ist ab März 2018 Intendant der Staatsoper Berlin © Stephanie von Becker

Schulz: Denjenigen Traditionen, die sich im Laufe der Geschichte zu Recht herauskristallisiert haben, muss man neue Perspektiven verschaffen, beispielsweise in Form von Inszenierungen, die unter der Oberfläche eine bezwingende Kraft entwickeln, die ästhetisch immer wieder das Neue und Interessante suchen. Oper ist eigentlich ein ständiger Balanceakt: Sie hat in gleichem Maße eine intellektuelle und eine emotionale Seite. Und wenn ich neue Stoffe oder neue Ästhetiken entwickeln will, dann genügt es gerade hier in Berlin nicht, einfach nur hip zu sein oder nur zu schocken, um starke Aussagen zu finden. Meine konkreten Ideen und Vorstellungen werden sich in dem Programm für die Spielzeit 2018/2019 wiederfinden, das wir im kommenden Frühjahr präsentieren werden.

Was bedeutet das konkret für Ihr Haus?

Schulz: Bei der Staatsoper gibt es einen Grundakkord an Komponisten wie Wagner, Verdi und Strauss, ich werde da auch Mozart wieder mehr hinzunehmen, der bei uns am Haus gut aufgehoben ist. Davon ausgehend möchte ich die richtigen Färbungen und Opern für den Spielplan finden, die nicht automatisch aus den Top 20 der Opernliteratur stammen. Zudem ist es mir wichtig, dass eine Saison als Ganzes gedacht wird, dass sich also zwischen den einzelnen Produktionen Bezüge herstellen lassen, und zwar zu Produktionen aller Art, also auch zu den Kammerkonzerten und zum Konzert- und Jugendprogramm. Dabei will ich einer Spielzeit jedoch nicht irgendein Motto überstülpen. Es sollte eher ein assoziatives Schlagwort sein, gewissermaßen ein Kompass, an dem sich die Produktionen ausrichten.

Sie sind bei München aufgewachsen. Können Sie sich noch an Ihren ersten Opernbesuch erinnern?

Schulz: Das müsste ganz klassisch die „Zauberflöte“ in der berühmten Inszenierung von August Everding gewesen sein. Geprägt haben mich aber spätere Erlebnisse in den Neunzigerjahren, als Mortier in Salzburg war und ich dann all diese großen Produktionen sehen konnte, als ich noch in verhältnismäßig jungem Alter war. Eine Sache, die noch sehr lange bei mir nachgewirkt hat, ist beispielsweise Messiaens „François d’Assise“, den Peter Sellers in der Felsenreitschule gemacht hat. Spätestens ab dem Zeitpunkt war ich damit infiziert, Musiktheater auch abseits der typischen Repertoireopern zu entdecken.

Haben Sie denn unter den vielen Opern Lieblinge?

Schulz: Das ist wie mit dem Essen, da wähle ich schließlich auch nicht immer dasselbe Gericht, auch wenn es mir noch so gut schmeckt. Mal freue ich mich darauf, Prokofjew zu erleben, mal auf eine Barockoper. Ganz persönlich bedeuten für mich die Lieder und Klavierwerke Schuberts größtes Hörglück. Es gibt auch zwei Opern von ihm, aber die sind dramaturgisch nicht einfach umzusetzen.

Praktizieren Sie noch Musik? Am Salzburger Mozarteum haben Sie schließlich Klavier studiert.

Schulz: So viel wie möglich! Klavier hat bei mir eine unglaublich wichtige Rolle gespielt. Ab Mitte zwanzig hatte ich dann als Ausübender immer weniger Zeit fürs Klavier. Aber wenn ich jetzt wieder ans Instrument setze und meine Töchter begleite, dann merke ich, was mir fehlt. Da werden ganz bestimmte Dinge ausgelöst.

Kommt da manchmal Reue auf, dass Sie nicht doch beim Klavier geblieben sind?

Schulz: Nein, Klavier war für mich immer ein Zusatz. Neben der Musik habe ich Volkswirtschaft studiert und mir war schnell klar, dass ich beide Bereiche miteinander verbinden möchte. Und dass ich jetzt hier in Berlin an diesem Opernhaus arbeiten kann – etwas Schöneres kann ich mir kaum vorstellen.

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