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Interview Ingo Metzmacher

Das Musikantische in der Neuen Musik aufspüren

Ingo Metzmacher über die Rückkehr zu seinen Wurzeln, die deutsche Seele und denkwürdige Begegnungen mit lebenden Komponisten

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Herr Metzmacher, Sie werden in diesem Jahr 60. Sehen Sie sich immer noch als Rebell bzw. haben Sie sich je so gesehen?

Wenn ich denn einen rebellischen Teil in mir habe, was ich durchaus mag, dann hoffe ich, dass ich ihn nie verliere.

Was unterscheidet den heutigen Rebellen von einem, sagen wir mal, aus den Achtzigerjahren, damals, als Sie zum Ensemble Modern gingen?

Es ist nötig, dass man sich zu dem Musikbetrieb, zu dem man ja gehört, ein bisschen querstellt. Es wird immer wichtiger, dass man auf die Unabhängigkeit von künstlerischen Entscheidungen pocht, dass nicht der Marketingbetrieb, dieses Riesen-Rad, einen völlig überrollt oder auffrisst. Zum Ensemble Modern kam ich als Pianist, war als Dirigent noch gar nicht existent. Das war eine tolle Zeit, weil wir eine verschworene Gruppe von jungen Studenten waren, die irgendwie die Welt verändern wollten mit der Musik unserer Zeit. An unsere Motivation erinnere ich mich sehr gerne und werde immer nervös, wenn ich mich zu weit davon entferne. Mit dem Festival in Herrenhausen habe ich jetzt den Eindruck, dass ich zu meinen Wurzeln zurückkehre.

Ihren Posten als Hamburger Generalmusikdirektor verließen Sie seinerzeit aus Protest gegen die dortige Kulturpolitik. An der Amsterdamer Oper gab es einigen Gegenwind und auch in Berlin war es nicht einfach. Werden Sie als Intendant der KunstFestSpiele Herrenhausen die Freiheiten finden?

Ich glaube ja, andernfalls hätte ich den Auftrag nicht angenommen. Ich habe mit Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok einen sehr guten, treuen und loyalen, neugierigen Partner. Ich bin in Hannover geboren und bekam dort von einigen Menschen die innovativen Impulse, die mich zu dem haben werden lassen, was ich heute bin. Ich möchte etwas zurückgeben.

Ich hatte auch irgendwie den Eindruck aus letzten Interviews, dass Sie wieder einen Ort haben wollten.

Ingo Metzmacher
Ingo Metzmacher © Harald Hoffmann

Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Ich bin überall als innovativer Geist willkommen, konnte durch meine freien Projekte viele Akzente setzen. Jetzt aber habe ich in Hannover die Chance, in einem mehrwöchigen Festival etwas aufzubauen und eine größere Perspektive zu entwickeln, das ist etwas ganz anderes.

Wie sieht der ideale Kulturpolitiker für Sie aus?

Ich habe die Arbeit von Christina Weiss, der damaligen Hamburger Kultursenatorin, sehr geschätzt. Sie war neugierig, dem Neuen zugewandt und auf der anderen Seite politisch so geschickt, um sich durchzusetzen, und auch als Kulturstaatssekretärin immer wieder auf der Seite der innovativen Künstler.

Kam sie auch zu Ihren Aufführungen?

Aber natürlich! Es hat sie interessiert. Sie war nicht nur an dem „Standortfaktor“ Kultur interessiert, wie so einige Politiker, sondern an der wirklichen Kultur. Das Entscheidende ist ja der Inhalt. Ich hatte für jede meiner Entscheidungen immer ihre Rückendeckung. Und dafür bin ich ihr immer noch sehr dankbar. Auch jetzt in Hannover habe ich die Rückendeckung.

Als Sie 2007 Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters wurden, wollten Sie sich mit „dem Deutschen” in der Musik auseinandersetzen. Wie ist für Sie die deutsche Seele beschaffen?

Sie ist unglaublich groß und hat einen großen Reichtum, viele positive, aber auch negative Facetten. Sie ist sehr geprägt von der geografischen Lage im Zentrum von Europa. Deutschland war schon immer ein Land, durch das man gereist ist, wo viel assimiliert wurde. Die Deutschen können dies sehr gut. Das ist eine große Qualität. Aber es gibt auch die Tendenz, sich sehr auf sich zu besinnen. Das sind widersprüchliche Kräfte, die dieses Land spannend machen. Ich möchte gar nicht so sehr mit Worten agieren. Hier gibt es eine sehr tiefe Liebe zur Musik. Dieser tiefen Liebe zur Musik wollte ich eigentlich auf den Grund gehen. Man darf ja nie vergessen, dass dieses Land so viele Orchester, Opernhäuser und Ensembles hat wie kein anderes! Das ist eine unglaubliche Qualität. Und wird so gut wie nie gesagt.

Da gebe ich Ihnen absolut Recht! Warum wird sich der Deutsche oft erst im Ausland seiner Herkunft bewusst und ist eher bereit, sie dort zu verteidigen?

Die Erfahrung habe ich auch gemacht! Irgendwie vermisst man dann doch die eigene Heimat und hat sie dann doch viel lieber, als man glaubt.

Sie wuchsen in Hannover auf als Sohn einer promovierten Biologin sowie eines Cellisten …

… Jahrgang 1906. Im gleichen Jahr wurde auch Dmitri Schostakowitsch geboren. Mein Vater hat die Musik sozusagen auf der Straße gelernt. Er hat im Orchester gespielt, dort, wo Musik gebraucht wurde, wo es kein Radio gab.

Ingo Metzmacher
Ingo Metzmacher © Harald Hoffmann

Ihr Vater war ein Musikant alten Stils, sagten Sie, was Sie immer sehr bewundert haben. Dennoch haben Sie sich vorwiegend für die zeitgenössische Musik eingesetzt.

Das Musikantische, das sehr Spontane, diese Lust an der Eingebung, das alles ist mir sehr wichtig. Leider hat das Verschulte ein bisschen überhandgenommen und das finde ich schade. Ich suche auch in der zeitgenössischen Musik das Musikantische, auch wenn sie oft bis ins letzte Detail festgelegt ist. Aber auch da gibt es Unterschiede zwischen den Komponisten. Ligeti zum Beispiel verlangte absolute Präzision, während Wolfgang Rihm einem viel Raum zur Gestaltung gibt.

Sie sind gewiss manchen Komponisten, deren Werke Sie aufführten, begegnet.

Das war immer das größte Erlebnis für mich! Da eröffnete sich immer eine zusätzliche Perspektive, ein anderes Verständnis für Musik im Allgemeinen aber auch Besonderen. Im Grunde genommen sollte der Dirigent, egal welche Partitur er vor sich hat, immer einen Dialog mit dem Komponisten führen und der Frage nachgehen, was ihn dazu gebracht hat, es genau so aufzuschreiben. Die Notenschrift ist eine große kulturelle Leistung: dass man etwas aufschreibt, das man wiederbeleben kann. Trotzdem ist sie nur eine Codierung, eine Verkürzung dessen, was an Klang intendiert ist.

Wie „zufrieden” waren die Komponisten mit Ihren Interpretationen?

Meistens ganz zufrieden. Die größte Begegnung war die mit Luigi Nono, der war eigentlich nie ganz zufrieden, das war spannend. Er hat einen gezwungen, immer wieder nach dem Klang zu suchen, den er selbst auch nicht beschreiben konnte, aber wohl suchte. Unvergesslich.

In München werden Sie Franz Schrekers „Die Gezeichneten” von 1918 aufführen.

Schrekers Musik wird viel zu selten gespielt, dabei dürfte sie auch in unserer Zeit den Nerv treffen. „Die Gezeichneten” ist seine eindrucksvollste, facettenreichste, musikalisch interessanteste Oper. Ein faszinierendes Werk, das heute aktuell ist wie eh und je, denn es geht um Oberflächlichkeit versus Identität, um die Rolle des Außenseiters in der Gesellschaft, um Utopie und kollektive Moral.

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