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Interview Ingo Metzmacher

Ich denke immer sehr gern an Hamburg zurück

Der Dirigent Ingo Metzmacher über Erinnerungen an die Hansestadt, die radikale Kraft der Musik und Dampf beim HSV

vonPeter Krause,

Als Anwalt des Unerhörten setzte er in Hamburg Maßstäbe. Ebenso mit seinen gemeinsam mit Peter Konwitschny entwickelten Opernproduktionen. Fast wehmütig blickt Ingo Metzmacher auf seine Zeit als Generalmusikdirektor zurück. Im concerti-Interview, das mit einer Paternoster-Fahrt im Berliner RBB endet, erzählt er von restaurativen Tendenzen und seiner Hoffnung auf Erneuerung.

Was ist Ihre glücklichste Erinnerung an Hamburg?

Ingo Metzmacher: Der „Lohengrin“, unsere erste Wagner-Produktion, der „Wozzeck“, der „Freischütz“ kommen mir sofort in den Sinn. Es war die Zeit im meinem musikalischen Leben, wo man mir am meisten Zeit gelassen hat, kontinuierlich etwas zu entwickeln. Das vermisse ich schon. Und Peter Konwitschny vermisst das übrigens auch. Aber so ist das eben. Ich denke immer sehr gern an Hamburg zurück.

Warum hat das damals so gut geklappt?

Metzmacher: Es gab die Möglichkeit, unter dem Schutz der Politik zu arbeiten. Kultursenatorin war damals Christina Weiss, die uns den Rücken über acht Jahre total freigehalten hat, konsequent die Sachen zu machen, die wir wollten. Und das war schon eine ganze Menge.

Und wo stehen wir heute?

Metzmacher: Hamburg war immer schon einer der wenigen Orte, wo man ein Programm wie das unsere machen konnte. Auch heute haben Konwitschny und ich gut zu tun, aber immer nur als ein bunter Fleck auf der Landkarte. Eine Institution, die uns auch jetzt auf Dauer Verantwortung in diesem Bereich antragen würde, ist nicht in Sicht. Eine wirkliche Kulturpolitik wie diejenige damals in Hamburg, die uns ganz bewusst wollte, scheint es nicht mehr zu geben. Ich glaube, dass es momentan an Kulturpolitikern mangelt, die wissen, was sie wollen, und noch seltener sind wohl jene, die einen verteidigen, wenn es mal nicht so gut läuft. Man geht heute eher mit der Richtung, in die der Wind weht. Auf diese Weise kann man aber keine wirkliche Kontinuität schaffen.

Aber arrangieren sich nicht auch viele Künstler in eben diesem System?

Metzmacher: Das ist so. Konwitschny und mich hat immer die Überzeugung verbunden, dass die Opern Stücke sind, die unsere Gesellschaft im grundsätzlichen Sinne angehen. Und dass es nicht darum geht, alles schön und angenehm darzustellen, sondern den Konflikt herauszuarbeiten. Vielleicht ist heute die Angst davor, das zu riskieren, größer als der Wille, es zu tun.

Das kann man nun beklagen oder doch wieder Verantwortung übernehmen. Wo stehen Sie?

Metzmacher: Ich habe ja hernach noch zweimal Verantwortung übernommen. Aber ich habe in beiden Fällen erfahren müssen, dass ich nicht den Rückhalt hatte, den ich gebraucht hätte. Alleine können Sie es nicht schaffen.

Wo sehen Sie Ansätze und Impulse, dass der von Ihnen aufgezeigte Weg weitergeht? Wo sind die Flammen?

Metzmacher: Die sind überall. Vielleicht kommt eine neue Generation, die ihre ganz eigenen Themen hat und diese auf eigene Art umsetzen wird. Warten wir’s ab.

Warum nicht: Packen wir’s an?

Metzmacher: Wo ich kann, tue ich das ja. Meine Erfahrung ist aber, dass so eine gewisse dämpfende Ruhe eingekehrt ist. Aber es gibt schon immer wieder Möglichkeiten: In Wien habe ich kürzlich eine Collage zwischen Lehár und Schönberg gemacht. Die war sehr interessant: Ein Faschingskonzert mit eingebautem Widerspruch. Man entdeckte plötzlich in Schönberg die Süße der Operette, und im Lehár die Abgründe. Ich sehe meine Arbeit aber gar nicht so vordergründig politisch. Ich habe immer sehr dafür gekämpft, dass Musik mehr ist als etwas schön Glänzendes. Ich glaube sehr an die Bedeutung von Musik, die eine ganz andere ist als die Bedeutung des Wortes oder des Bildes. Sie also auch in ihren Widersprüchen im Konzert zu thematisieren, das finde ich einfach spannend. Und davon werde ich auch nicht ablassen.

Michael Gielen war einer der ersten, der Beethovens Geist des Widerspruchs durch Schönberg wieder hervorgerufen hat. Hat er Sie geprägt?

Metzmacher: Die zwei Jahre bei ihm an der Oper in Frankfurt waren in der Tat eine sehr wichtige Zeit für mich. Wenn ich heute Harnoncourt mit Beethovens Fünfter höre, holt aber auch er wieder die radikale Kraft aus der Musik heraus, kommt durch die Stücke selbst an deren radikale Wurzel zurück. Er lässt sich nicht einlullen vom Mainstream. Ich suche die Wurzeln aber immer lieber durch einen musikalischen Gegenpol.

Ein Meister des Unerhörten wie Michael Gielen widmet sich heute mit Vorliebe den großen Sinfonien Bruckners oder Mahlers. Schärft der Blick auf die Gegenwart jenen auf die Klassiker?

Metzmacher: Ich glaube, dass das eine natürliche Entwicklung ist. Die großen Werke der Musik beschäftigen einen das ganze Leben. Aber man muss, wie Sie so schön sagen, aus heutiger Sicht, mit der Erfahrung der Moderne, von Nono und Stockhausen, ein Interesse an den Klassikern entwickeln. Mich interessiert die Modernität von Bruckner, von Beethoven, von Brahms. Da geht es mir wie Michael Gielen.

Vor Ihrer Rückkehr nach Hamburg kündigt das Festival „Ostertöne“ Sie als den „Mann des 20. Jahrhunderts“ an. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Sehen Sie sich als Gralshüter der klassischen Moderne?

Metzmacher: Als ich beim Ensemble Modern in den 80er Jahren anfing, habe ich zu entdecken begonnen, was seit den 50ern so geschrieben wurde, und mir die radikale Moderne Stück für Stück erschlossen. Es ist mir ein Anliegen, dass man ein Repertoire, einen Kanon dieser Werke schafft, dass es also selbstverständlich wird, dass Ives, Nono, Messiaen, Zimmermann und wie sie alle heißen gespielt werden. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dieses Repertoire zu bewahren. Ich jedenfalls fühle mich durchaus wohl im 20. Jahrhundert, wäre mit dem Begriff also eigentlich einverstanden. Das 21. Jahrhundert ist mir etwas unheimlich.

Was nehmen Sie daraus wahr?

Metzmacher: Mich wundert, dass die Musik nicht radikaler wird und nicht mehr die Hilfsmittel nutzt, die es heute gibt. Vor kurzem habe ich einen Komponisten getroffen, der vor seinem ziemlich komplizierten Computer saß, den ich nicht verstanden habe. Mit seiner elektronischen Gitarre hat er Musik hineingespielt und dann angefangen, damit zu experimentieren. Er hat am Computer komponiert, direkt in den Klang komponiert, also gar nichts aufgeschrieben. Vielleicht entsteht da etwas Neues. Die elektronische Klanglichkeit, angefangen von Stockhausens „Gesang der Jünglinge“, hat mich immer fasziniert. In den Clubs gibt es ja eine ganze Szene von elektronischer Musik. Die Möglichkeiten der neuen Technologien sollten mehr genutzt werden. Gleichzeitig bewundere ich einen Wolfgang Rihm, der letztlich noch so komponiert wie Brahms: Er schreibt alles auf. Lachenmann hat es hingegen geschafft, neue, im besten Sinne verfremdete Klänge auf Orchesterinstrumenten zu erfinden, die er alle selbst vormachen kann. Dann kann auch ein Orchester plötzlich völlig anders klingen. Sonst höre ich nichts wirklich Neues.

Was sind Ihre Kriterien für gute Neue Musik?

Metzmacher: Sie muss authentisch sein. Was das genau ist, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Das hat man auch in den Zeiten der großen Meister nicht gewusst. Die Geschichte trennt letztlich die Spreu vom Weizen: Man muss die Stücke immer wieder spielen!

Gibt es heute verkannte Meister?

Metzmacher: In Berlin habe ich versucht, Helmut Oehring zu featuren. Er hat so etwas Unorthodoxes. Und er schreibt eine gehörte Musik! Man hat das Gefühl, er hat etwas gehört, bevor er sie aufgeschrieben hat. Eben das ist ja so wahnsinnig schwierig: den vorgestellten Klang in Noten festzuhalten, damit hernach genau das gespielt wird, was einer im Kopf hatte.

Gilt Adornos Fortschrittsgedanke noch? Oder sollten wir uns davon wie vom Wirtschaftswachstum lieber verabschieden?

Metzmacher: Die unendlichen Möglichkeiten, Töne miteinander zu verbinden, sind nie ausgeschöpft. Ich denke immer gern an Busonis Buch „Versuch einer Ästhetik der Tonkunst“ – an die utopische Kraft! Mal sehen!

In Hamburg lassen Sie nun Webern und Wagner einander begegnen. Welche Idee steht dahinter?

Metzmacher: Der Webern ist eigentlich ein dramatisches Stück. Die Stücke hatten ja ursprünglich Titel, man kann das alles als Mini-Drama hören. Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“ zu spielen, ist eine ziemliche Abkürzung. Deshalb wollten wir etwas anders Klingendes als kleines Drama dazwischen setzen. Das ist ein Experiment. Skrjabins „Poème de l’Extase“ hat natürlich wieder eine enge Beziehung zum Tristan. Ich möchte, dass sich Musik in der Nachbarschaft zu anderer Musik verändert.

Wie nehmen Sie die Entwicklungen in Hamburg wahr?

Metzmacher: Die ewige Geschichte mit der Elbphilharmonie wird hoffentlich eines Tages schön zu Ende gehen. Die Stadt ist immer gut beraten, wenn sie sich an die Tradition, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, erinnert und weiter innovativ ist.

Kann Hamburg von der Berliner Kulturszene lernen?

Metzmacher: Wir wollten damals in Hamburg Messiaens „Saint François d‘ Assise“ mit Robert Wilson als Regisseur machen, und suchten dafür eine alternative Spielstätte. In Berlin ist uns das gerade mit Nonos „Al gran sole carico d’amore“ im Heizkraftwerk Mitte wunderbar gelungen, in Hamburg wurde zu früh gesagt: „Das geht nicht.“ In Berlin schon eher. Und die Show ist fünfmal ausverkauft. Die Stadt will das Besondere. In Hamburg ist die Chance dazu jetzt ebenfalls da. Der Dampf ist durch die Verzögerung des Baus zwar erstmal raus, aber der kommt wieder, das ist wie beim HSV… (lacht)

Kommen Sie denn wieder?

Metzmacher: Wenn ich gefragt werde, komme ich gern wieder nach Hamburg. Ich bin wirklich sehr gespannt auf die Elbphilharmonie.

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