Herr Moser, Sie haben bei David Geringas studiert, der wiederum Schüler von Mstislaw Rostropowitsch war. Gibt es da Traditionslinien, die Sie nun fortführen?
Johannes Moser: Ich würde es mir in gewisser Weise wünschen, wobei ich mir genauso wünsche, dass diese Linien auch durch die Hände geprägt werden, durch die sie gegangen sind. Das ist so ein bisschen wie bei Flüsterpost: Jeder glaubt, dass er das Wort eins zu eins verstanden hat, dass die Information also, die von Schostakowitsch zu Rostropowitsch über Geringas und mich zu meinen Studenten kommt, dass das die Ur-Information sei.
Doch sie verändert sich.
Moser: Ja, durch die Hände des Musikers, ebenso durch seine Erfahrung. Das ist auch gut so, denn würde sich die Information nicht verändern, hätten wir ein Museum. Die Ur-Information ist wichtig, sie muss aber auch so gelesen werden, dass sie nochmal durch Künstlerhand gegangen ist.
Haben Sie ein Beispiel für so eine „Ur-Information“?
Moser: Spontan fällt mir ein Zitat von Schostakowitsch ein, das allerdings nicht über Rostropowitsch und Geringas zu mir vorgedrungen ist, sondern über Arto Noras, der Schostakowitsch vorgespielt hat. Es ging um die Cello-Sonate, über die Schostakowitsch meinte, der Anfang muss so klingen, als würde man ein Radio einschalten. Noras ist daraufhin ins Hotel, hat auf seinem Zimmer das russische Radio angemacht und gemerkt, wie der Klang der alten Röhren erst ganz langsam anschwillt. Das meinte Schostakowitsch: ganz langsam in den Ton zu gehen. So eine Information gebe ich gerne an meine Schüler weiter.
Wie prägend war für Sie in den Anfangsjahren Ihr Vater, der ebenfalls Cellist ist?
Moser: Sehr! Er war mein erster Lehrer, hat jeden Tag mit mir geübt. Auch meine Mutter als Sängerin hat mich sehr beeinflusst.
Ihre Verwandtschaft ist insgesamt sehr musikalisch: Ihr Bruder Benjamin ist Pianist, Ihre Tante die Sopranistin Edda Moser, Ihr Großvater war Musikwissenschaftler…
Moser: … und mein Urgroßvater Andreas Moser hat als Assistent mit Joseph Joachim gearbeitet.
War Ihr Weg in den Musikerberuf da in gewisser Weise vorgezeichnet?
Moser: Ich glaube, meine Eltern hätten sich durchaus auch gefreut, wenn ich etwas anderes gemacht hätte. Weil sie natürlich wissen, wie hart der Musikerberuf ist, welche Entbehrungen damit verbunden sind. Als es dann aber feststand, haben sie mir gezeigt, wie man den Musikerberuf leben kann ohne davon komplett vereinnahmt zu werden. Dass man auch mal sagen kann: Jetzt ist Familie. Oder: Jetzt ist einfach mal Stille. Dass also die Musik nicht ständig thematisiert werden muss. Solche Pausen vom Beruf sind wichtig, um danach wieder mit frischem Geist und frischen Ohren an die Musik zu gehen.
In den Jugendjahren rebelliert man gerne gegen das Elternhaus, nabelt sich ab. Wie war das bei Ihnen?
Moser: Für mich war es Rebellion, Cello zu üben – aber nicht gegen meine Eltern, sondern gegen die Mathe-Hausaufgaben, die ich dann nicht machen musste. Gegen das Cello und die Musik habe ich nie rebelliert. Im Gegenteil: Ich habe wahnsinnig viel Spaß am Üben gehabt. Das war für mich wie ein Puzzle-Spiel, ein Weg, Probleme zu lösen. Üben ist für mich immer eine Entdeckungsreise, bis heute. Da kann ich auch manche Studenten nicht verstehen, wenn sie klagen, üben sei anstrengend und mache keinen Spaß. Dann kommt als nächstes, dass das Reisen keinen Spaß macht, und auf der Bühne klagen sie über Lampenfieber. Ja, warum macht ihr das dann?! (lacht) Am Ende merkt man bei vielen Musikern, dass sie irgendwie doch nur Erfüllungsgehilfe der Wünsche anderer Menschen sind, sei es der Eltern, der Verwandten oder des Publikums.
Gab es in der Familie Moser ein Wetteifern unter den Musikern?
Moser: Ja, das schon. Wobei: Mit einer Musikerin wie Edda Moser gibt es nichts zum Wetteifern. Die Frau hat alles erreicht, ihre Aufnahme der „Königin der Nacht“ fliegt mit den beiden „Voyager“-Sonden durch den Weltraum. Da muss ich gar nicht erst anfangen. Was mir aber durch das Elternhaus und die Verwandtschaft mitgegeben wurde, ist vor allem diese Arbeitsethik: Sich hinsetzen und einfach machen.
Sie haben also auch als Teenager jeden Tag musiziert?
Moser: Jeden Tag, klar. Trotzdem habe ich genauso andere Sachen gemacht. Ich war Teenager in den Neunzigern, da war das Aufkommen von Computern ein Riesending, ich habe viel Sport gemacht, hatte einen schönen Freundeskreis… Das gab es alles. Ich habe meine Kindheit nicht „geopfert“, überhaupt nicht. Ich finde es auch ganz furchtbar, wenn Eltern mit ihren Kindern zu mir kommen, die mir dann stolz erzählen: Ich mache außer dem Instrument nichts anderes mehr. Leute, werft euer Leben doch nicht weg für die Musik! Man kann doch beides machen.
Auch wenn man auf so hohem Niveau spielen will?
Moser: Aber natürlich! Mein Leben ist voll von Musik, keine Frage, aber es ist nicht abhängig davon. Vor einigen Jahren habe ich mir meine Hände versichern lassen. Das war für mich ein fantastischer Schritt. Ich trage jetzt die Getränkekisten rauf.
Das haben Sie vorher vermieden?
Moser: Ja, ich war im Alltag zum Teil richtig angespannt, sogar wenn ich über die Straße gegangen bin, weil ich dachte: Es muss nur ein Radfahrer kommen und mir dagegenfahren – schon ist es aus. Dann bin ich Sozialhilfe-Empfänger. Also bin ich nur noch mit den Händen in den Taschen rumgelaufen. Als ich dann die Unterschrift für die Versicherung gemacht habe, habe ich direkt gespürt, wie sich diese Anspannung gelöst hat. Ich konnte mir sagen: Okay, das Leben ist tatsächlich ein Risiko, aber ich bin, selbst wenn mir das genommen wird, was mir so wichtig ist, immer noch lebensfähig.
Wenngleich einem Profimusiker der Gedanke ans Berufsende schwerfallen dürfte.
Moser: Natürlich wäre es für mich emotional ganz furchtbar, wenn ich nicht mehr spielen kann. Aber es wäre nicht das Ende meines Auskommens. Dabei hilft, wenn man nicht nur mit so einem Tunnelblick durchs Leben geht, sondern zum Beispiel den Freundeskreis aufrechterhält, wenn man auch ein gutes, familiäres Verhältnis hat. Ich glaube, wenn man auf ganz vieles verzichtet im Leben, gibt es irgendwann ein böses Erwachen, bei dem man erkennt: Da war doch noch was, ich habe so viel verpasst!
Es gibt viele Interpreten in Ihrer Familie – auch Komponisten?
Moser: Ich meine, dass mein Großvater auch etwas in Richtung Singspiel komponiert hat. Aber das war vermutlich nichts, was der Nachwelt unbedingt zugemutet werden muss. Ich schreibe meine Kadenzen selbst, aber ansonsten sind wir hauptsächlich Interpreten. Der kompositorische Genius ist bei uns ein bisschen verloren gegangen. Ich habe es schon probiert – und bin gescheitert. Aber ich probiere weiter.
Sie haben mehrfach mit dem Filmkomponisten John Williams gearbeitet, 2018 waren zwei Konzerte mit den Wiener Philharmonikern geplant…
Moser: Ja, das wäre im Wiener Musikverein gewesen. Leider ist John Williams krank geworden und die Konzerte wurden abgesagt.
Williams gilt in den USA als einer der meistaufgeführten Komponisten, europäische Konzerthäuser dagegen nehmen Filmkomponisten nur selten ins Programm.
Moser: Das geplante Konzert hat auch in Wien für hochgezogene Augenbrauen gesorgt: Was macht der Papst der Filmmusik beim heiligen Gral der Klassik?
Was entgegnen Sie da den Skeptikern?
Moser: Zunächst einmal: Das Cello-Konzert, das wir dort aufgeführt hätten, ist ja E-Musik! Es ist auch toll geschrieben, fantastisch instrumentiert, wirklich gut gemacht.
Im Programm wäre es dann weitergegangen mit „Harry Potter“ und „Star Wars“…
Moser: … und das ist im Fach Filmmusik mit das Beste, was es gibt. Das ist Musik, die die Filme, für die sie geschrieben wurde, regelrecht adelt. Schauen Sie sich mal „Indiana Jones“ ohne die Musik von John Williams an – die Bilder wirken dann geradezu albern. Ob Filmmusik nun in den Konzertsaal gehört oder nicht – das will ich gar nicht entscheiden. Wenn einem Zuhörer das nicht gefällt, werde ich ihm das nicht ausreden. Was ich allerdings feststelle: Diese Musik hat oft kompositorische Qualitäten, die ich in der neuen E-Musik häufig vermisse.
Was genau vermissen Sie?
Moser: Für mich werden ja relativ viele Stücke geschrieben – und handwerklich ist das oftmals Kraut und Rüben, wo man merkt, dass der Komponist oder die Komponistin sich nicht eine Minute Gedanken gemacht hat: Wie ist das instrumental? Wie löst man bestimmte Dinge auf dem Cello? Was bringt ein Instrument zum Schwingen und was ist unmöglich auf einem Instrument? In der Hinsicht ist jemand wie John Williams absolut vorbildlich.
„Kraut und Rüben“ – können wir das so zitieren?
Moser: Klar! Für mich wurden geniale Werke komponiert, aber auch der größte Mist. Das ist das Berufsrisiko für einen klassischen Musiker, der Stücke in Auftrag gibt. Man geht eine Lotterie ein und muss dann auch akzeptieren, wenn das Ergebnis mal nicht so viel taugt. Musikhistorisch ist es doch genauso: Verglichen mit der Gesamtzahl von komponierten Werken einer Epoche ist das, was im Konzertsaal aufgeführt wird, eine homöopathische Dosis. Selbst von guten Komponisten gibt es schlechte Werke. Insofern: Wenn man sich neue Stücke schreiben lässt, kann man nicht davon ausgehen, dass alle zu Hits werden.
Sehen Sie hier Johannes Moser mit dem hr-Sinfonieorchester und Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1: