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Interview Isabelle Faust

„Die Kammermusik ist mir heilig“

Geigerin Isabelle Faust über ihre letzte Uraufführung, Neue Musik und das gute musikalische Verhältnis von Verstand und Intuition.

vonChristian Schmidt,

Isabelle Faust gilt in der Szene als „Spezialistin für alles“, auch wenn das ein Widerspruch in sich ist. Die unbändige Neugier der Geigerin reicht vom barocken Repertoire bis hin zu ganz neuen Werken. Erst im Juni brachte die 47-Jährige das von der maurischen Stadtburg Alhambra inspirierte dritte Violinkonzert von Peter Eötvös am authentischen Ort in Granada zur Uraufführung.

Waren Sie vor der Uraufführung von Eötvös’ Violinkonzert schon mal in der Alhambra?

Isabelle Faust: Vor sehr vielen Jahren war ich als junges Mädchen schon mal schwer beeindruckt von diesem exotischen Ort, der mir traumhaft vorkam – wie aus Tausendundeiner Nacht. Inzwischen ist die Burg noch viel touristischer geworden, und meine Sicht hat sich natürlich im Laufe der Jahre verändert. Leider hatten wir bei der Uraufführung ein bisschen Pech, weil wir von den zwei Regentagen, die es im granadischen Sommer gibt, einen erwischt haben und unterbrechen mussten. Inzwischen haben wir das Stück aber auch anderswo und im Trockenen gespielt.

Wie hat sich Eötvös mit der namensgebenden Burg auseinandergesetzt?

Faust: Er beschreibt sein Stück als einen Spaziergang durch den Palast und die Gärten. Man begegnet den Brunnen und den unglaublich ziselierten Sälen, die sehr kleinverzahnt, fast wie Spitze dekoriert sind. Eötvös beschreibt genau die Wassertropfen oder den hohen Raum, in dem es einem fast schwindelig wird. Von der in der ­Alhambra sehr präsenten Vermischung der Kulturen ließ er sich genauso inspirieren – als Ungar hat er viel in Amerika und Japan zu tun gehabt. Außerdem sind die Namen des Auftraggebers und Dirigenten Pablo Heras-Casado und mein eigener in das Stück eingeflossen. Auch Granadas Anfangsbuchstabe spielt als Note „g“ eine wichtige Rolle. Eötvös ist kryptografisch sehr gewandt.

Woher kommt die enge Bindung?

Faust: Ich kannte ihn schon lange, wir hatten uns aber etwas aus den Augen verloren. Heras-Casado hat uns dann wieder zusammengebracht. Seit der frischen Konzeption des Konzertes haben wir uns sehr oft gesehen und sind das Stück immer wieder durchgegangen.

Sich mit zeitgenössischen Komponisten austauschen zu können, ist sicher eine große Chance, die man bei Musik von Mendelssohn nicht hat.

Faust: Es ist immer erst mal ein großes Vergnügen, einen solchen Menschen kennen zu lernen. Aber es kann auch durchaus schwierig werden, mit heutigen Komponisten über ihre Musik zu sprechen, wenn sie an einem bestimmten Ideal hängen und daraus sehr hohe Ansprüche ableiten, die man manchmal nicht ganz nachvollziehen kann. Mit Eötvös dagegen gibt es immer einen guten Austausch auf Augenhöhe, wir konnten uns sehr gut über die Botschaft seiner Musik verständigen.

Sie hatten schon sehr früh ein Faible für zeitgenössische Musik. Empfinden Sie dafür eine besondere Verantwortung?

Faust: Pflicht klingt vielleicht zu hart, aber ich würde es jedem dringend anraten, neue Werke zu spielen. Die „museale“ Musik kann nur davon profitieren, dass wir die heutige lebendig erhalten und ihr eine Chance geben. Zu früheren Zeiten war es ja völlig normal, dass sich Komponisten und Interpreten begegnet sind und gegenseitig befruchtet haben. Dieser gemeinsame Entstehungsprozess ist für das Verständnis der Musik unglaublich wichtig. Wir dürfen nicht stehen bleiben, es muss immer wieder Neues entstehen, die Kunst muss leben!

Sie spielen auch viel Bach. Wie kann die Interpretation seiner Musik von der Kenntnis zeitgenössischer Musik profitieren?

Faust: Was wir gedruckt auf dem Notenblatt erkennen, ist nicht in Stein gemeißelt. Es handelt sich ja nur um symbolische Schrift. Begleitumstände und genaue Vorstellungen von der Komposition können nicht mal annähernd vollständig im Notentext hinterlegt werden. Deswegen kann man zum Kern der Musik nur durch die genaue Kenntnis über den Schöpfer und seiner Zeit vordringen. Gerade bei Bach ist das extrem wichtig, es gibt da bis heute mehr Fragezeichen als Antworten. Was ist buchstäblich gemeint, wo gibt es Freiheiten bei Tempo und Artikulation? Das ist bei jedem Komponisten anders.

Haben nicht alle Musiker die gleiche wissenschaftliche Quellenlage zur Verfügung?

Faust: Von Bach gibt es sehr wenige authentische Informationen, bei seinen Kollegen rundhe­rum dagegen viele unterschiedliche Regeln. Galten sie auch bei ihm? Und wenn ja, wer legt sie richtig aus? Das hat immer auch mit der musikalischen Seele des Interpreten zu tun – ein sehr weites Feld.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie auch gern direkt mit Orchestermusikern am Dirigenten vorbei sprechen, um Ihre Ideen zu kommunizieren. Geht das gut?

Faust: Erst wenn ein wirklicher Dialog entsteht, wird ein Konzert spannend. Dann kann auch der Solist auf die Musiker reagieren, die sofort merken, dass da einer steht, der nicht nur an der Rampe geigt, wie er es bei jedem anderen Orchester auch macht, sondern die Partitur als Gesamtbild im Kopf hat.

Mögen Sie diese Livesituation lieber als das Studio?

Faust: Ich mag beides. Die Akustik eines Saales beeinflusst schon mal unbewusst das Spiel, ebenso wie die Tagesverfassung. Dann entsteht mit jedem Pu­blikum eine unterschiedliche Interaktion. Im Studio kann man dafür sehr gut am Detail arbeiten und entsprechend viel ausprobieren, sich selbst in die Rolle des Zuhörers begeben. Das Mikrofon steht sehr nah, was mir sehr entgegenkommt, weil mir feinste Abstufungen wichtig sind.

Isabelle Faust
Isabelle Faust

Sie waren kein Wunderkind und durften sich kontinuierlich bis zu den ersten Wettbewerbserfolgen weiterentwickeln. Die nahmen aber ihren Anfang im familiären Streichquartett. Wie stark prägte Sie diese kammermusikalische Erfahrung?

Faust: Diese fünf Jahre im Alter zwischen elf und fünfzehn bilden den Grundstock meines musikalischen Denkens und vor allem meines musikalischen Fühlens. Sie haben mich gelehrt, Verstand und Intuition gleichermaßen für die Kunst einzusetzen. Deswegen ist mir die Kammermusik heilig, da geht mir in jedem Projekt das Herz auf. Nur die Königsdisziplin Streichquartett kann ich derzeit nicht voll auskosten, weil man dafür eine längerfristig aufeinander eingespielte Truppe braucht. Ich hoffe, einst dahin zurückzukehren, wenn ich nicht mehr so viel reisen will.

Was ist so wichtig am Zusammenspiel von Verstand und Intuition?

Faust: Wenn man im frühesten Alter anfängt, steht die Imitation des Lehrers im Vordergrund. In dieser Zeit entwickelt sich die Intuition. Die Analyse tritt später hinzu, um ein Werk tiefgründig zu verstehen und seine Botschaft vermitteln zu können, so wie man sie selbst für sich erkannt zu haben glaubt. Ich hatte das Glück, diesen Zeitpunkt früh zu erleben, weil man im Streichquartett, noch dazu am zweiten Pult, gezwungen ist, die Partitur zu studieren, aufeinander zu hören und zu reagieren. In diesem enthusiastischen Alter ist es ein Quell überschäumender Freude, wenn sich alles zusammenfügt und man etwa erkennt, wie die Stimmen zueinander in Beziehung stehen. Bei all diesen großen Emotionen wird quasi nebenbei der analytische Geist geweckt. Wenn man als Kind dagegen ganz alleine sechs Stunden am Tag Paganini-Capricen rauf und runter übt, dann hat man nicht dasselbe gelernt.

Legt die kommerzorientierte Wettbewerbskultur zu viel Wert auf derart puristisch-technische Brillanz?

Faust: Ohne Frage brennt der Durst des Publikums, der Veranstalter und Plattenfirmen nach „Frischfleisch“ enorm. Junge Talente werden dadurch schnell verheizt. Oft weist sie auch niemand darauf hin, dass es kein Ende des Lernens gibt. Gerade auf so einem schwer zu bewältigenden Instrument wie der Geige kann man sich wunderbar an technisiertem Üben abarbeiten, ohne je den Kern der Musik zu erreichen. Perfektion allein trägt keine lange Karriere, die zudem viel mehr zu bieten hat als schnellen Erfolg. Es braucht ein gutes Umfeld und kluge Lehrer, die vermitteln, dass der Spaß erst anfängt, wenn die Basis gelegt ist.

Wann ist dieser spannende Punkt erreicht?

Faust: Wenn ich nicht mehr Sklave der Geige bin, sondern sie als mein Werkzeug betrachte, mit dem ich Musik produzieren kann.

An Ihnen scheint eine gute Pädagogin verloren gegangen zu sein.

Faust: Leider fehlen mir dafür Zeit und Energie und vielleicht auch die Geduld. Ich hoffe aber sehr, dass der Ruf fürs Weitergeben an Schüler noch in mir erwacht und ich mich später auch dem Unterrichten widmen werde.

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