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Interview Jakub Hrůša

„Wir müssen uns besinnen auf das Miteinander“

Mal fühlt sich Jakub Hrůša blutjung, mal entsetzlich alt, Partituren sind seine permanenten Beifahrer im Auto, und bei virtuellen Konzertsälen ist er zwiegespalten.

vonNinja Anderlohr-Hepp,

Jakub Hrůša zum Interview zu treffen, ist keine leichte Aufgabe. Endlich jedoch konnten wir den Tschechen mit seinem fröhlichen, fast jungenhaften Auftreten beim Kissinger Sommer sprechen. In einer Probenpause spielen Kollegen des Orchesters Karten, der Maestro holt sich erst mal einen Kaffee.

Herr Hrůša, es ist nicht immer ganz einfach, Sie zu fassen …

Jakub Hrůša: Ich kann mich manchmal selbst kaum fassen! (lacht) Ich habe immer viel zu tun und bin in den letzten Jahren viel zwischen meinen festen Engagements in Bamberg, Prag und London hin- und hergereist. Durch die Pandemie hat sich das natürlich grundlegend geändert: In London war ich kaum, dafür habe ich die Zeit mit den Bambergern und Pragern für Aufnahmen nutzen können – allein in Bamberg haben wir innerhalb kurzer Zeit zwölf große sinfonische Werke eingespielt. Ich war sehr beschäftigt trotz der ausgefallenen Konzerte.

Wie hat sich Ihr Leben in dieser Zeit verändert?

Hrůša: Ich sitze viel mehr im Auto! Mein Leben spielte sich fast ausschließlich auf dem europäischen Kontinent ab. Jetzt beginnt es auch in Amerika wieder aufs Neue. Es ist interessant, die Länder und die Distanzen zwischen ihnen direkter zu er-fahren – im wahrsten Sinne des Wortes! Und für mich und meine Familie war es eine sehr glückliche Zeit. Ich weiß, dass ich in der Hinsicht sehr privilegiert bin, aber ich habe es genossen, mehr bei meinen beiden Kindern und meiner Frau zu sein. Jetzt fällt es mir schwer, wieder loszulassen, wegzufahren, unterwegs zu sein.

Glauben Sie, dass sich unsere Welt durch die Pandemie nachhaltig verändern wird?

Hrůša: Ich bin von Natur aus kein Zyniker, aber ich glaube nicht. Ich habe das Gefühl, dass es für die Mehrheit eher eine Episode bleiben wird. Man kann die Menschen nicht zur Veränderung zwingen, aber ich würde mir wünschen, dass wir alle etwas lernen. Zum Beispiel, wie wichtig Familie ist und dass der Beruf nicht immer an erster Stelle stehen muss. Und dass man die Natur erhalten muss. Der Wegfall all unserer alten Automatismen hat uns dazu gezwungen, unsere Lebensentwürfe neu zu beleuchten – manch einer hat daraus ganz neu geschlossen, was für ihn wichtig ist und was nicht. Ich würde mir wünschen, dass wir als Künstler nicht sofort wieder in das sich unerbittlich weiter drehende Hamsterrad zurückkehren, sondern uns auf die Kunst besinnen.

Viele Veranstalter setzen seit der Pandemie vermehrt auf digitale Angebote – auch wenn die Konzertsäle wieder geöffnet sind.

Hrůša: Es gibt die Ambiguität der virtuellen Szene, die für mich schwierig ist. Natürlich war es schön, weiterhin mit dem Publikum in Kontakt treten zu können, solange alles geschlossen war. Die Digitalisierung war ein Schritt, der kommen musste. Aber die Schnelllebigkeit und Beliebigkeit, die mit den Online-Angeboten einhergeht, bereiten mir Sorge. Ich liebe das Persönliche, Direkte, Konkrete. All das hat man in der digitalen Welt nicht. Lieber habe ich wenige Leute im Publikum hinter mir als Tausende an den Bildschirmen zu Hause.

Das Digitale wird uns aber weiterhin begleiten.

Hrůša: Das ist richtig und auch wichtig: Die virtuelle Welt hat uns geholfen, diese Krise zu überleben. Aber wir alle müssen uns besinnen auf das Miteinander, den realen Austausch. Und ich glaube, dass die jüngste Generation damit ihre Probleme haben wird. Für die Leute, die es von jeher gewohnt sind, ins Konzert zu gehen und Musik live zu erleben, ist das digitale Konzertleben nur ein billiger Abklatsch. Aber für all jene, die sich sonst keine Karten leisten können oder nicht die Zeit haben, ist es eine Bereicherung. Auch inhaltlich! In Tschechien haben wir ein Konzert programmiert mit Elgars Cellokonzert und Werken von Suk – ein Programm, das überall ein Problem hätte, den Saal zu füllen. Wir haben das Konzert aber gestreamt und es haben 60.000 Menschen ohne Abbruch angesehen! Damit können Sie 55 Mal das Rudolfinum füllen!

Jakub Hrůša
17.06.2021; Bamberg Diary #3 Proben mit Jakub Hrůša für Stücke von:
Bedřich Smetana »Mein Vaterland«, daraus »Die Moldau«
Ernest Bloch »Schelomo« Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester – Ulrich Witteler Violoncello
Alexander Borodin Symphonie Nr.2 h-moll

Neben Prag ist seit 2016 Bamberg Ihr musikalisches Zuhause. Das Orchester feiert seinen 75. Geburtstag und Sie haben – mit Blick auf Ihren bis 2026 währenden Vertrag – „Halbzeit“.

Hrůša: Das klingt wie im Fußball! Da muss ich wohl auch ganz intellektuell antworten nach dem Motto: „Wir haben das Beste versucht, manches ist uns nicht gelungen, vieles doch, alles in allem wunderbares Teamwork!“ Im Ernst: Alles hat sich wunderbar entwickelt! Ich persönlich möchte noch mehr Raum finden für Aufnahmen und Tourneen, möchte noch stärker zeitgenössische Musik ins Programm integrieren. Früher waren die Bamberger sehr deutsch; mein Vorgänger Jonathan Nott hat das Repertoire schon geweitet. Und das Orchester und ich haben viel tschechische Musik mit in den Kanon aufgenommen, was natürlich mit meinem Heimatland zu tun hat.

Was gefällt Ihnen am meisten an den Bamberger Kollegen?

Hrůša: Dass sie niemals routiniert spielen! Teilweise haben wir zwei Konzerte am Tag mit demselben Programm – und es klingt nie gleich, nie langweilig. Das ist die natürliche Qualität des Orchesters. Ich bin immer wieder überrascht, was für eine Flexibilität wir uns in der Zusammenarbeit geschaffen haben. Es braucht mittlerweile wenig Worte oder Diskussion, um zu einem Ergebnis zu kommen, das alle – Dirigent wie Musiker – zufriedenstellt. Das ist insofern besonders, als dass die Kollegen in Bamberg sehr gerne in die Tiefe gehen, was die Interpretation anbelangt. Es gibt eine fundierte und professionelle Diskussionskultur.

Das weiß Ihr Publikum sicher zu schätzen.

Hrůša: Aber nicht nur das Publikum. Auch Kollegen, die zu Besuch kommen, sind begeistert. Andris Nelsons war kürzlich hier und war fasziniert vom Orchesterklang und der geistigen Fitness der Kollegen. Vielleicht habe ich als Chefdirigent mit dazu beigetragen, ihre Sinne zu schärfen und das Orchester noch weiter nach vorne zu bringen. Das würde mich sehr freuen.

Früher waren die Bamberger Symphoniker ein regional geprägtes Orchester. Wie hat sich das in den letzten Jahren verändert?

Hrůša: Wir sind immer noch stark in der Region verwurzelt, aber der gute Ruf eilt uns mittlerweile auch weit über die Grenzen Frankens voraus. Unsere Solisten und Gastdirigenten haben mehr Prestige, die Probespiele sind qualitativ sehr hoch angesiedelt. Und unser Publikum reist mittlerweile auch von weiter weg an – oder uns hinterher, wenn wir auf Tournee sind. Ich bin stolz auf unsere Resultate.

Und tragen Sie diesen Stolz auch in die Ferne?

Hrůša: Ich genieße die Gastdirigate sehr, zum Beispiel bei den Berliner oder Wiener Philharmonikern, in Dresden oder München – es sind Sternstunden! Aber wenn ich nach Bamberg zurückkomme, ist da diese große Zufriedenheit und Freude, ein Gefühl von Zuhause. Gastdirigate tragen ja immer die Gefahr in sich, dass man Schöneres, Besseres erlebt und damit eine innere Unruhe und Unzufriedenheit entsteht. Ich aber bin glücklich, dass ich mit den Bamberger Symphonikern einen echten Partner gefunden habe. Sie sind eine große Inspiration für mich.

Jakub Hrůša
Jakub Hrůša

Sie sind in diesem Jahr vierzig geworden. Haben Sie das Gefühl, angekommen zu sein?

Hrůša: Als ich dreißig war, sprach man von mir immer als „der junge Dirigent“. Dieses Stigma wollte ich damals unbedingt loswerden. Wenn mich jetzt jemand als jung bezeichnet, freue ich mich darüber (lacht) – das ist doch ein Kompliment. Es hängt immer von der Perspektive ab. In meiner ersten Chefdirigenten-Position war ich der Jüngste in der gesamten Institution. Wenn ich aber jetzt die Geburtsjahre bei den Probespielern sehe, fühle ich mich alt. Und wenn ich bei den Wienern gastiere, gehöre ich wieder zu den Jüngsten. In Bamberg haben wir mit Herbert Blomstedt und Christoph Eschenbach zwei Koryphäen als Ehrendirigenten. Neben diesen beiden fühle ich mich manchmal wie ein blutiger Anfänger. Jede Perspektive ist anders und bedeutet Handlungsspielraum – und das ist gut so!

Glauben Sie, dass man ein Leben lang lernt?

Hrůša: Auf jeden Fall! Allein die Stücke zu durchdringen und zu verstehen ist eine Lebensaufgabe. Dirigieren kann ich – aber die echte, funktionierende und menschliche Inspiration für das Orchester zu sein, ist eine lebenslange Herausforderung. Man ist niemals fertig.

Sind Sie da manchmal auch getrieben?

Hrůša: Man könnte ja meinen, dass man in der Mitte des Lebens angekommen ist und jetzt nicht mehr in die Breite, sondern in die Tiefe denkt. Und immer dann, wenn ich an diesem Punkt angekommen bin, schweift mein Blick zum Notenregal und ich will unbedingt etwas Neues machen! Ich habe es vor zwei Jahren endlich geschafft, meine Bibliothek nach Bamberg zu transferieren. Und dann schaue ich in die Regale und frage mich, was ich denn überhaupt davon schon erarbeitet habe. Ein Fünfundzwanzigstel? Wo ist die Zeit nur hin? In meinem Auto fahre ich mindestens fünfzig Partituren spazieren, die ich studieren will – nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will.

Was hilft Ihnen dann, Ihren Geist zu entlasten, abzuschalten?

Hrůša: Ich gehe mit meiner Familie in die Natur. Aber die Liebe zur Musik ist immer da. In der Corona-Zeit hatte ich mehr Gelegenheit, Klavier zu spielen. Das möchte ich gerne beibehalten. Ich habe mir sogar zum ersten Mal in meinem Leben ein Klavier gekauft! Und noch während ich mich freute, dass ich endlich einmal üben kann an meinem eigenen Instrument, gingen die Konzertreisen wieder los.

Das Klavier ist auch Ihr Hauptinstrument.

Hrůša: Das ist richtig, aber ich war nie wirklich Pianist. Schon mit fünfzehn Jahren war mir klar, dass ich Dirigent werden wollte, und danach ging alles sehr schnell. Das Klavier habe ich gewissermaßen als „Dirigierinstrument“ genutzt, habe als Korrepetitor gearbeitet, Klavierauszüge gespielt … Für mich ist Musik das Natürlichste der Welt, und ich wusste, dass ich viel würde opfern müssen, um erfolgreich zu sein und zu lernen. Es ist nicht nur Spaß, sondern eine Berufung, die viel Arbeit bedeutet. Dennoch bin ich kein Workaholic und habe mir die Fähigkeit erhalten, das Leben zu genießen – obwohl ich Dirigent geworden bin.

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