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Interview Jan Vogler

„Die Musik ist unsterblich“

Jan Vogler über die Chancen von Social Media, Lebensaufgaben von Cellisten und darüber was Bach mit Pilzesuchen zu tun hat.

vonJohann Buddecke,

Ihre Einspielung der ersten Cellosuite von Bach ist auf Instagram in mehr als 360.000 Reels zu hören. Damit haben Sie Popmusik-Kollegen wie Ed Sheeran und Taylor Swift überholt.

Jan Vogler: Bachs Musik ist zugleich einfach und inhaltsreich. In erfolgreichen Popsongs kann man Ähnliches beobachten. Also eine gewisse Einfachheit in der Melodie, die eingängig ist. Und dann kommt höhere Ordnung hinzu, quasi die Seele. Ich bin kein Influencer, aber ich glaube, dass die User darauf achten, dass die Musik den Inhalt unterstützt. Bachs Musik ist zwar komplex, kann sich aber unterordnen. Die Goldberg-Variationen wurden für einen Fürsten geschrieben, der Einschlafschwierigkeiten hatte. Offensichtlich hat er nicht die ganze Zeit konzentriert zugehört, sondern versucht, dabei einzuschlafen.

Würden Sie also sagen, dass viele Menschen klassische Musik unbewusst konsumieren?

Vogler: Wenn man schaut, wie viele Menschen weltweit klassische Musik passiv hören, dann würden Beethoven, Mozart und Bach nach meinen Berechnungen alle Taylor Swifts dieser Welt schlagen. Die Frage ist aber, wie wir all die Menschen in die Konzertsäle locken.

Sind dafür die sozialen Medien aufgrund ihrer Kurzlebigkeit nicht ungeeignet?

Vogler: Viele junge Musiker arbeiten daran, das Online-Publikum in die Konzerte zu bekommen. Im Popbereich funktioniert es. Konzerte von Künstlern, die online eine große Präsenz haben und in Los Angeles oder New York eine Show spielen, sind in Minuten ausverkauft. Wir müssen uns dabei an Paganini oder Clara Schumann erinnern. Damals sind die Leute wegen der Künstler, die sie verehrt haben, ins Konzert gekommen. Und die haben ihnen dann große Werke vorgestellt. Der Künstler muss also Botschafter sein, muss die Kunst in seine Zeit übertragen, denn die Musik ist unsterblich.

Greifen da die kurzen Ausschnitte, die auf Social Media landen, nicht zu kurz? Das kann der Musik doch gar nicht gerecht werden.

Vogler: Es kann sein, dass Sie in einem zweistündigen Konzert nur für wenige Sekunden wirklich berührt werden. Trotzdem kann dieser Moment Ihr Leben verändern. Für viele kann dieser Moment zumindest ein Einstieg sein.

Sie sind mit Bill Murray und später mit Amanda Gorman aufgetreten und haben Bachs Musik mit Texten kombiniert. Was bewirkt die Gegenüberstellung von Musik und Literatur?

Vogler: Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen und habe mehr Musik als Muttermilch bekommen. Meine Kollegen und ich leben gleichsam in einer Enklave und viele von uns vergessen, wie viele Menschen noch nie in einem klassischen Konzert waren. Daher versuche ich, mit Künstlern wie Bill an diese Menschen zu gelangen.

Was bietet Ihnen die Musik Bachs, dass Sie immer wieder zu ihr zurückkehren?

Vogler: Die Suiten sind für jeden Cellisten eine Lebensaufgabe. Wenn man daran nicht völlig scheitert, bekommt man Lust, tiefer einzusteigen. Das ist eine Motivation, praktisch wie beim Pilze suchen: Wenn Sie plötzlich einen finden, dann wissen Sie, wie es geht. Und so ist es bei Bach auch. Irgendwann bemerkt man, dass da mehr drinsteckt. Dann bekommt man Lust, tiefer zu schürfen. Und sowieso ist die Wiederholung im jetzigen Stadium meiner Karriere für mich total spannend. Wenn ich das wieder und wieder aufführe, erkenne ich langsam, wohin ich will. Man braucht enorm viel Zeit, um die Tiefe der Werke zu verstehen, um herauszubekommen, welche Werkzeuge man benutzen muss, um das dann rüberzubringen.

Verfolgen Sie einen bestimmten Ansatz bei der Interpretation?

Vogler: Es ist eher der Versuch, auf den Punkt zu kommen. Man perfektioniert, was man fast erreicht hat. Man bekommt das Gefühl, bis ins Zentrum der Musik zu gelangen. Und dann arbeitet man daran, wie man die Zuhörer mit auf diesen Weg nehmen kann.

Seit kurzem sind Sie mit allen sechs Suiten an einem Abend zu erleben. Was hat der Zuschauer von dieser Gesamtaufführung?

Vogler: Es ist eine Reise. In der ersten Suite erschafft Bach mit einfachsten Mitteln Großartiges. Die zweite, in Moll verfasst, hat einen philosophischen Tonfall. Zu ihr steht die dritte Suite mit ihrer gloriosen Mehrstimmigkeit im Kontrast, während die vierte besonders schwierig ist: Bach komponierte sie als wäre das Cello ein Klavier, dazu kommt die Tonart, das wunderschöne Es-Dur, für Cellisten allerdings eine schwere Tonart. Die fünfte Suite hat mystischen, sagenähnlichen Charakter und mündet mit einer großen Fuge in die sechste, in der nochmal alle Register gezogen werden.

Also bleibt dem Zuhörer im Prinzip etwas verborgen, wenn er nicht alles am Stück hört?

Vogler: Auf jeden Fall! Der Zyklus ist auch gar nicht so lang: Sechzig Minuten der erste Teil, etwas länger dann der zweite, dazwischen eine Pause. Bei Beethovens 32 Klaviersonaten wäre das anders.

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