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Interview Jan Vogler

„Dann ist New York dein Acker!“

Dennoch zieht es Jan Vogler immer wieder von seinem Wohnsitz am Hudson River nach Dresden an die Elbe, wo er seit 2009 die Dresdner Musikfestspiele leitet

vonAlexander Keuk,

Auch wenn man in derselben Stadt lebt, in der Jan Vogler seit 2009 die Dresdner Musikfestspiele leitet, ist es nicht leicht, den vielbeschäftigten Musiker zum Interview zu treffen. Flugs ist er zu Konzerten und Terminen nach Bonn und Berlin unterwegs, um dann ein paar Tage später nach einem weiteren Stopp in Dresden von seinem Zweitwohnsitz in New York aus völlig entspannt über seine Vorhaben als Interpret und Leiter des internationalen Festivals zu sprechen.

Die Dresdner Musikfestspiele gehen nun ins 40. Jahr. Das klingt nach Beständigkeit in der sich rasch verändernden Klassikwelt. Wie hat sich das Festival in den Jahren Ihrer Intendanz entwickelt?

Dresden besaß und besitzt eine starke eigene Klassikszene, vor allem mit Staatskapelle, Philharmonie und den großartigen Chören. Darauf konnte ich aufbauen und hole mit den Festspielen einmal im Jahr große Stimmen aus Klassik, Weltmusik und Jazz in die Stadt. Damit befruchten sich die Stadt und das Festival gegenseitig. Es ist wichtig, dass Musik von Dresden ausgeht, aber auch Musik nach Dresden kommt. Ich habe vor allem die großen Orchester der Welt zu Gastspielen eingeladen. Das wiederum interessiert ein Publikum, das von außen kommt – und wir haben mittlerweile unsere Besucherzahlen nahezu verdoppelt! Nun sind wir soweit, dass wir die eigenen kreativen Stärken herausholen, etwa mit der Gründung unseres Dresdner Festspielorchesters vor fünf Jahren. Mit diesem Orchester, das auf historischen Instrumenten musiziert, entsteht in Dresden ein neuer Klang.

Die Dresdner Musikfestspiele wurden 1978 gegründet – oder müsste man sagen: Sie fanden plötzlich statt? Welche Beweggründe gab es damals?

Die Gründung der Musikfestspiele war im Grunde DDR-Propaganda. Geschickt wurde die Kulturstadt Dresden gewählt, ebenso strategisch wurden große Interpreten wie Karajan, Abbado oder die New Yorker Philharmoniker eingeladen. Allerdings fehlte die demokratische Freiheit, die zur Entfaltung eines solchen Festivals gehört wie die Luft zum Atmen! So gelang zwar der Gründungsjahrgang grandios, aber dann überwog die Angst vor der verbindenden Kraft der Musik und die staatliche Kontrolle erstickte den Keim eines großen Festivals. Nach der Wende bekamen die Festspiele ihre zweite Chance – und heute profitiert Dresden zudem von einer hervorragenden touristischen Infrastruktur und einer Vielzahl von stimmungsvollen Spielstätten.

Als Cellist mit einem weitgefassten Repertoire sind Sie dafür bekannt, dass Sie musikalische Grenzen gerne sprengen. Inwieweit müssen Sie beim heutigen Publikum für Offenheit und Toleranz werben?

Demokratie, Frieden oder Freiheit kommen nicht von selbst, jede Generation muss sich solche Werte immer wieder neu erarbeiten. Aber genau das ist ein starker gesellschaftlicher Motor und wiederum für mich als Cellist auch eine wichtige Motivation, ein Festival zu leiten. An dieser Schnittstelle ist es eine große, aber auch schöne Verantwortung für mich, dafür zu sorgen, dass Musik eine entscheidende Funktion in der Gesellschaft innehat.

Damit sind Sie nicht im künstlerischen Elfenbeinturm unterwegs, sondern arbeiten auch mit Menschen zusammen: ihren Mitarbeitern, den Musikern und dem Publikum …

Richtig, und mir kommt es darauf an, den Leuten nicht einfach etwas vorzusetzen, sondern das Publikum zu verstehen und es dann auch mitzunehmen zu den eigenen kreativen Gedankengängen und musikalischen Entdeckungsreisen. Wir machen hier keine Programme mit dem Zeigefinger, aber wir glauben, dass wir mit der Musik viele Dinge und Haltungen ausdrücken können, die uns auch außerhalb des Konzertbetriebs, im Alltag oder Privatleben stark bewegen und somit wertvoll für alle sind.

„Licht” ist das Motto der 40. Dresdner Musikfestspiele – in welchem Licht sollen wir die Musik hören?

Gemeint ist zunächst das Licht der Aufklärung, vielleicht eines der wichtigsten Lichter der Menschheitsgeschichte – in der Kunst lässt sich dieses Licht besonders seit zirka 250 Jahren sehr gut verfolgen. In der Musik geht es uns zudem auch um Lichtgestalten. Das sind Komponisten, die durch ihr aufklärerisches Wirken bis heute unser Denken, Fühlen, Handeln beeinflussen oder Lichtgestalten unserer Zeit: Performer und Künstler, die uns neue Wege zeigen, Musik zu präsentieren, wie etwa Cameron Carpenter oder Martin Grubinger.

In den vergangenen Jahren nimmt man Ihr starkes Interesse für die Alte Musik wahr. Befruchtet sich dieses Interesse auch mit dem der Festspiele?

Ja, die Aufführungspraxis Alter Musik ist ein wichtiger Schwerpunkt der Dresdner Musikfestspiele, nicht zuletzt durch die Gründung des Festspielorchesters. Mein Interesse daran rührt schon aus der Kindheit: Mein Vater hatte die Harnoncourt-Aufnahmen der Opern von Monteverdi bekommen und die hörten wir zu Hause, wie auch Aufnahmen des Cellisten Anner Bylsma, der in der Alten Musik originale Farbschichten freilegte, die über die Jahrhunderte übertüncht wurden. Die Alte-Musik-Zentren entstanden ja in London, Paris, Köln, Wien und Amsterdam. Nun haben wir ein Festspielorchester mit Musikern genau aus diesen Standorten gegründet. So entstand eine Art Ferienlager aus Experten, die als Festspielorchester zum Musizieren in Dresden zusammenkommen. Geleitet werden sie von dem fabelhaften Ivor Bolton, dessen großes Talent es ist, eine sehr inspirierende Atmosphäre unter den Musikern zu schaffen. Zudem hat Dresden ja eine starke eigene musikalische Prägung, die wir in die Programme unseres Orchesters einbeziehen. Wir widmen uns mit dem Festspielorchester vor allem der Musik des 19. Jahrhunderts, Komponisten wie Beethoven, Schumann oder Strauss, die – um bei unserem Motto zu bleiben – in den Interpretationen in einem neuen Licht erscheinen.

Sind diese damals benutzten Darmsaiten denn der Stein der Weisen? Wie klingen diese Saiten eigentlich?

Es sind in etwa die Kleider der Zeit, die man getragen hat. Das Anliegen der historisch informierten Aufführungspraxis ist, dass man sich einem damals vorherrschenden Originalklang annähert, und dafür brauchen wir eine Art Zeitreisewerkzeug. Das Instrumentarium wirkt dabei wie ein Gefährt. Dann haben wir die Partituren, Autografen und Quellen, womit wir vielleicht nicht genau im Jahr 1850 landen, aber wir haben eine neue Klangidee von dieser Zeit.

Neben Ihrer Intendanz in Dresden sind Sie auch als Solist tätig. Welche Stücke wecken in diesem Jahr besonders Ihr Interesse?

Neu ist für mich Brittens großartige Cello-Sinfonie, die ich zum Beispiel in Taiwan, London und auch Dresden aufführen werde. Besonders viel Spaß macht mir momentan auch die regelmäßige Arbeit an den Klassikern, wie den Cellokonzerten von Dvořák, Schumann oder Schostakowitsch. Die Aufführungserfahrung der vergangenen Jahre gibt mir eine gewisse Ruhe bei der Arbeit, ich setze mir langfristige Ziele und experimentiere täglich mit neuen Tempi, Klangfarben oder Phrasierungen. Das einzelne Konzert ist mehr Weg als Ziel, und die verschiedenen Dirigenten und Orchester geben meiner Sicht auf die Werke ständig neue Impulse.

Sie haben einen Wohnsitz in New York, einen in Dresden, Sie wandeln zwischen den Kontinenten – liegt darin auch ein Geheimnis der Kreativität des Cellisten Jan Vogler?

New York war ja zuerst mein Zweitwohnsitz, aber ich habe gemerkt, dass mir genau an diesem Ort viel einfällt, dass ich hier viel lernen kann. Das war damals zunächst eine wichtige Ergänzung zu meiner Jugend, meinen Jahren in Ost-Berlin. Bei einem gemeinsamen Frühstück in Moritzburg hat es mir die Komponistin Sofia Gubaidulina einmal so erklärt: „Jan, wo wohnst Du?“ – „In New York.“ – „Ich wohne auf dem Land, in der Nähe von Hamburg, und ich schaue auf einen Acker. Dann fällt mir etwas ein, was ich komponiere.“ Ich sagte: „In New York schaue ich auf den Hudson River, ich habe Ruhe und ich kann Cello üben und bin inspiriert.“ Und Sofia antwortete: „Dann ist New York dein Acker.“ Sie hat recht, ich glaube, diesen Acker, diesen Platz auf der Welt muss jeder Mensch für sich finden.

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