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INTERVIEW JOYCE DIDONATO

Eine Königin des Dramas

Joyce DiDonato über Kostüme von Vivienne Westwood, Standing Ovations und die Wahrheit der Oper

vonKlemens Hippel,

In Deutschland ist die amerikanische Mezzo-Sopranistin Joyce DiDonato bisher vergleichsweise selten zu hören gewesen – in Berlin debütierte sie erst 2010 in Katharina Thalbachs Barbiere-Inszenierung. Vielleicht ihre letzte Rosina, wie die 1969 in Prairieville, Louisiana geborene Sängerin erzählt. International ist sie seit langem ein Top-Star, ob in Paris, London oder Madrid. Mit dem CD-Programm „Drama Queens“ ist sie jetzt auch in Deutschland auf Tournee.

Frau DiDonato, sind Sie eine Drama Queen?


(lacht) Ich glaube das hängt davon ab, wen Sie fragen. Meine Schwester hat mir vor Jahren ein Kissen geschenkt: Es ist schwarz und in pinken Buchstaben steht „Drama Queen“ darauf. Damals war ich ein bisschen beleidigt, weil der Ausdruck ja auch eine negative Konnotation hat. Aber dann habe ich darüber nachgedacht; ich habe gewiss diese Seite in mir. Vor allem auf der Bühne, da erlaube ich es mir, das Feuer zu schüren. Privat mag ich nicht so viel Dramatik. Ich bin glücklich, diese Seite in der Oper ausleben zu dürfen.

 

Braucht man als Opernsängerin den Hang zur Übertreibung, der eine Drama Queen ausmacht?


Man muss die Fähigkeit dazu haben. In der Oper sind wir ja überlebensgroß, man muss in einen Saal mit 2000 oder 3000 Menschen hinaus. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man riesige Gesten braucht oder Gesichter schneidet. Aber man muss diese extreme, ganz fokussierte Energie besitzen. Man will ja die Bedingungen zeigen, in denen diese Personen stecken: Sie sind selbstmordgefährdet oder betrogen, ihr Vater hat sie verlassen, sie erobern die Welt oder wollen sie zerstören. Die Situationen sind extrem. Davon muss man eine Vorstellung vermitteln, allerdings auf eine stilistisch elegante Art. Manchmal kann man auch darüber hinaus gehen, aber es muss immer wahr bleiben, in der Wahrheit gründen. Sonst wird es zur Karikatur. Das ist die Gefahr.

 

Dann ist diese gewisse Unehrlichkeit nicht in Ihren „Drama Queens“ enthalten?


Das ist ein wichtiger Punkt. Im modernen Sprachgebrauch verstehen wir das so. Aber im Kontext dieser CD will ich das Gegenteil erreichen. Alle diese Frauen sind Königinnen. Und die dramaturgische und musikalische Welt, die sie bewohnen, ist überfüllt mit Emotionen. Sie sollen nicht ausgeflippt sein, sie sind dramatische, wichtige, mächtige Personen. Echte Königinnen des Dramas.

 

Warum haben Sie barocke Charaktere ausgesucht?


Ich hatte immer vor, wieder zur Barockmusik zurück zu kommen. Meine erste Solo-Aufnahme war ja Händel, mit dem Thema Wut, „furore“. Dann bin ich in meiner Karriere mehr in Richtung Belcanto gegangen, habe die großen Damen-Rollen gesungen, wie Elena aus La donna del Lago oder Maria Stuarda. Und jetzt habe ich mich für die Cleopatras, die Octavias interessiert, Frauen, die wirklich königliche Figuren sind. Die leiden und freuen sich so großartig, nutzen die ganze Bandbreite der Emotionen. Wenn Menschen an Oper denken, fallen ihnen ja oft Floria Tosca ein oder Violetta, diese großen leidenden Frauen. Wir als Operngänger lieben doch dieses Leid. Ich wollte diesen Emotionen in der Barockmusik nachspüren.

Die Sie in einem Kostüm von Viviennne Westwood präsentieren. Wie kam es dazu?


Ihr Kostüm ist so cool! Sie lernte einmal Backstage auf einem Renée-Fleming-Konzert einen Fan kennen, mit dem ich auch in Kontakt stehe. Es kam ein Gespräch zustande und die beiden unterhielten sich über andere Sänger, die sie mögen, auch über mich. Und Vivienne Westwood sagte: Ich würde gerne einmal ein Kostüm für sie machen. Dieser Fan hat mir das geschrieben, und da habe ich ungefähr zwei Sekunden gebraucht, um sie zu kontaktieren. Seitdem hat sie ein paar Kostüme für mich gemacht, und als ich das Thema dieser CD wusste, war klar: Sie ist die Einzige, die das umsetzen kann. Ich wollte etwas, was wandelbar ist, ich singe ja Arien von sehr traurig über rachsüchtig bis glückstrahlend, und gleichzeitig das Element des Feuers der Emotionen beinhaltet. Was ich so an ihr liebe, ist, dass sie auch überlebensgroß ist. Ich würde sie keine Drama Queen nennen, aber sie ist jemand, der seine eigenen Regeln macht. 

War es schwer, ein so ausgefallenes Programm für eine CD durchzusetzen?


Das musste ich gar nicht. Wir wollten zurück in die Barockmusik und keine weitere Händel-CD. Dann habe ich mit Alan Curtis gesprochen, und es war ganz einfach, sich zu einigen.

Aber die Komponisten kennt ja niemand…


Genau. Das war die Priorität: Es gibt solche Unmengen, Tonnen von Material, das wir nicht kennen. Wir hätten drei CDs daraus machen können. Wir haben Stunden damit verbracht, die Musik anzusehen. Dabei sind nur drei oder vier alte Bekannte aus dem Kanon, das andere ist unbekannt. Das ist wirklich spannend, weil es zwei meiner Interessen vereinigt: meine Liebe zur barocken Welt der Musik, wo so viel Freiheit herrscht für die eigene Fantasie, und die Möglichkeit, den Menschen etwas Neues zu bieten. Nichts, was schon so viele gesungen haben. Von Cesti zum Beispiel haben wir eine großartige Szene, die ist unglaublich faszinierend. Die Königin kommt rein, ihr Liebster schläft und sie muss sich wieder rausschleichen, im Wissen, dass sie wahrscheinlich sterben muss. Und dann singt sie ihm gleichzeitig ein Abschieds- und ein Wiegenlied. Das ist so großartig, auch formal aufregend. Oder denken Sie an diese wundervolle Arie von Keiser: Lasciami piangere, die ist ein Juwel, sie schneidet direkt ins Herz.

 

Und was macht Haydn auf einer Barock-CD?


Da könnte Alan Curtis viel dazu sagen. Er versteht Haydn als ein Ende dieser Periode. Wir können das in derselben barocken Stimmung singen. Aber ehrlich gesagt haben wir gar nicht so sehr über Epochen nachgedacht, wir wollten unbedingt seine Armida dabei haben, als Schlusspunkt der CD.

Sie haben schon mit vielen Größen der Alten Musik Szene gearbeitet – was ist besonders an Alan Curtis?


Er hat mich entdeckt. Er hörte mich 2001 in Amsterdam im Giulio Cesare, kam hinterher zu mir und wollte das mit mir zusammen auf CD aufnehmen. Damals war ich noch ein Baby in dieser Szene. Er kennt mich also sehr lange, wir haben viele große Projekte gemacht, Alcina, Radamisto, Ariodante – da ist eine ganz spezielle Beziehung entstanden. Wie mit einem Pianisten, wenn man über lange Zeit Recitals gibt. Man kennt sich so gut, dass man das Beste aus sich herausholen kann. Er kennt meine Stärken und meine Schwächen. Außerdem ist er einer der Väter der Renaissance dieser Musik, es ist sehr spannend, mit ihm zu arbeiten.


Warum singen Sie so selten in Deutschland?


Das liegt wohl daran, dass ich meine Karriere in Frankreich, Großbritannien, Spanien und den USA gestartet habe. Da wird man dann gefragt, ob man wieder kommt, und man sagt: Ja, natürlich, gerne. Und dann ist man drei, vier Jahre ausgebucht. Aber es wird ja weniger selten, und darüber bin ich glücklich.

Sie haben 2012 den Grammy nicht nur gewonnen, Sie durften auch bei der Preisverleihung singen. Was war wichtiger?


Das ist schwer zu sagen… Sie haben ja in Deutschland das Glück, dass klassische Musik immer noch im öffentlichen Bewusstsein ist, auch im Fernsehen stattfindet. In den Staaten ist das anders. Da wurde ich erst gefragt, ob ich nicht etwas Populäres singen könnte. Amazing grace oder so etwas. Aber ich habe gesagt: Ich bin als Opernsängerin nominiert, da will ich auch Oper singen. Das war schwer durchzusetzen, sie sind glücklich mit einem Pianisten oder einem Geiger, aber Opernsänger ist beinahe ein schmutziges Wort. So war ich ziemlich nervös und stand unter Druck, als ich in diese Arena ging. Ich habe Non più mesta (aus Rossinis La Cenerentola) gesungen, und das Publikum ist aufgesprungen und hat mir standing ovations gespendet. Das war vielleicht der größte Applaus, den ich je hatte. Gerade weil es ein Publikum war, das diese Arie nicht kannte. Sie haben einfach spontan auf diese Musik reagiert. Und das hat mir wieder einmal gezeigt, dass die Oper alles andere als tot ist.

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