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Interview Khatia Buniatishvili

„Denke ich zu altmodisch?“

Khatia Buniatishvili wagt immer wieder Ausbrüche aus gängigen Interpretationsmustern – und ungeschriebenen Kleiderordnungen.

vonSören Ingwersen,

Die georgisch-französische Pianistin Khatia Buniatishvili erscheint nicht ganz pünktlich zum morgendlichen Interview im „Wohnzimmer Hamburgs“, wie die holzvertäfelte „Wohnhalle“ des Hotels Vier Jahreszeiten an der Binnenalster auch genannt wird. Mitten in der Nacht klingelte das Telefon, danach wollte ihre siebzehn Monate alte Tochter Charlotte nicht mehr einschlafen.

Frau Buniatishvili, auf Ihrem neuen Album beschäftigen Sie sich mit einem Komponisten, mit dem man Sie bisher eher nicht in Verbindung gebracht hat: Wolfgang Amadeus Mozart. Ist das die Offenlegung einer geheimen Liebe?

Khatia Buniatishvili: Ich empfinde seit meiner Kindheit eine große Liebe für Mozart und wundere mich, dass alle davon so überrascht sind und denken, ich würde nur romantisches Repertoire spielen. Wahrscheinlich liegt das an meinen Aufnahmen. Aber mein Repertoire reicht weit über meine Einspielungen ­hinaus.

Sie spielen auf Ihrem neuen Album mit der Academy of St Martin in the Fields neben zwei Klavierkonzerten auch die „Sonata facile“, die „Einfache Sonate“. Welche Herausforderungen stellt Mozarts Musik, die oft so leichtfüßig daherkommt, an Sie als Interpretin?

Buniatishvili: Mit einfachem Ausdruck zu spielen, fällt nur Kindern leicht. Erwachsene haben es damit oft schwer. Bei den beiden Klavierkonzerten, die wir ohne Dirigenten aufgenommen haben, bestand die größte Herausforderung darin, das Orchester hinsichtlich Klang, Phrasierung und Dramaturgie in dieselbe Richtung zu führen. Die Musiker sollten fühlen, was ich fühle. Das mit Worten zu erreichen, war oft nicht leicht.

Für Khatia Buniatishvili ist Individualität im musikalischen Ausdruck von zentraler Bedeutung
Für Khatia Buniatishvili ist Individualität im musikalischen Ausdruck von zentraler Bedeutung

Wäre es mit einem Dirigenten leichter?

Buniatishvili: Nein. Gerade bei Aufnahmen weiß ich immer sehr genau, in welche Richtung es gehen soll, und ohne Dirigenten kann ich meine Klangvorstellungen viel besser umsetzen. Im Konzert ist das anders: Ich agiere spontaner, lasse meinen Emotionen freien Lauf und spiele jedes Mal anders.

Die Einspielung Ihres letzten Albums „Labyrinth“ fällt noch in die Zeit vor Corona. Hängt die lange Aufnahmepause mit der Geburt Ihrer Tochter zusammen?

Buniatishvili: Meine Tochter trägt keine Schuld, sie wurde im Mai 2023 geboren. Im Januar 2024 haben wir dann das Mozart-Album aufgenommen.

Es kletterte sofort auf Platz eins der französischen iTunes-Charts, noch vor einem Best-of-Album der National-Ikone Charles Aznavour. Wie schaffen Sie es, so viele Menschen zu erreichen?

Buniatishvili: Vielleicht habe nicht ich es geschafft, sondern Mozart. Oder ich habe sehr treue Zuhörer, die einfach mögen, was ich mache, und neugierig sind. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass die Leute sich so sehr für meine Musik begeistern.

Im französischen Fernsehen haben Sie kürzlich Mozarts „Türkischen Marsch“ mit dem Rücken auf der Klavierbank liegend, mit vertauschten Händen überkopf gespielt. Wie lange hat es gedauert, sich diese artistische Nummer beizubringen?

Buniatishvili: Der TV-Moderator hat mich gefragt, ob ich das vor laufender Kamera ausprobieren würde, und ich habe spontan zugesagt. Geübt hatte ich vorher nicht.

Sie sind immer für Überraschungen gut: 2013 spielten Sie ein Konzert auf einem Flügel mitten im Wald. Zwei Jahre später haben Sie auf dem Album der britischen Rock-Band Coldplay mitgewirkt. Braucht die Klassikszene einen stärkeren Event-Charakter, um sich ihre Zukunft zu sichern?

Buniatishvili: Ich mache diese Sachen nicht, um die Klassikwelt zu verändern oder Aufmerksamkeit zu erregen. Ich bin keine Karrieristin, arbeite nicht strategisch und laufe keinen Trends hinterher. Ich höre und spiele Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms und Bach, weil ich diese Komponisten liebe. Meine Späße im Fernsehen oder meine Aufnahme mit Coldplay haben damit überhaupt nichts zu tun. Als Mensch mag ich einfach sehr unterschiedliche Sachen.

Wie auch den Jazz …

Buniatishvili: Den spiele ich dann aber ohne Noten, weil die Freiheit und die Improvisation die Kerngedanken des Jazz sind. Glücklicherweise gibt es klassische Musiker, die das sehr gut und organisch machen. Aber Jazz nach Noten zu spielen, nur weil es eine Tendenz geworden ist, auch andere Genres zu bedienen, bringt meiner Meinung nach musikalisch nichts und hat für mich etwas Unorganisches. Leider leben wir in einem Jahrhundert, in dem der Individualismus verloren geht, weil alle sich den globalen Tendenzen anschließen. Das gilt für viele Bereiche.

War das früher anders?

Buniatishvili: Früher gab es zur gleichen Zeit Pianisten wie Swjatoslaw Richter, Glenn Gould oder Vladimir Horowitz, die alle sehr unterschiedlich gespielt haben. Drei unglaublich begabte Individualisten, die alles gegeben haben – mit dem Risiko, nicht immer gemocht zu werden. Das war toll! Und heute? Tendenz, Tendenz, Tendenz. Ich finde das langweilig.

Mit „Tendenz“ meinen Sie Modeerscheinungen, denen man sich unkritisch anschließt?

Buniatishvili: Ich meine damit Dinge, über die ich mich definiere, die ich aber von außen übernehme, ohne ein tieferes Verständnis von der Sache oder einen wirklich engen Bezug zu ihr zu haben – einfach, weil es funktioniert. Denke ich da zu altmodisch? Vielleicht. Aber es gibt zum Glück auch heute noch Menschen, die bei einem Konzert etwas Starkes und Wahres fühlen möchten.

Das heißt, Musizierende sollten unbedingt ihr eigenes künstlerisches Selbst finden und behaupten?

Buniatishvili: Aber nicht, weil sie selbst so wichtig sind, sondern weil sie der Musik, sich selbst und anderen Menschen gegenüber integer sein sollten. Das hat auch mit Respekt zu tun. Wir können den großen Pianisten danken für all die Gefühle, die sie uns geschenkt haben. Trotzdem müssen wir selber danach suchen, was wir sagen möchten, und Interpretationen bieten, die ein größeres Eigengewicht haben.

In der Wahl der angemessenen Konzertkleidung sieht Khatia Buniatishvili einen Ausdruck von Persönlichkeit
In der Wahl der angemessenen Konzertkleidung sieht Khatia Buniatishvili einen Ausdruck von Persönlichkeit

Schließt das mit ein, dass man sich als Interpretin auch größere Freiheiten nehmen darf und sich nicht so eng am Notentext bewegt? Das wird Ihnen ja manchmal vorgeworfen.

Buniatishvili: Einige Akademiker denken, dass ich keine Noten lese, weil für mich zum Beispiel ein Akzent nicht einfach ein Akzent ist. Er kann ein Schmerzensschrei, aber auch ein Freudenschrei sein oder einfach eine Hervorhebung. Noten sind Zeugnisse vom Ausdruckswillen eines Komponisten. Ich sollte also nicht nur dessen Notizen lesen, sondern muss verstehen, was er gemeint und gefühlt hat. Ich bleibe den Komponisten immer sehr treu, weil ich ihren Drang nach universeller Freiheit ernst nehme und Augen und Ohren für alles habe, was im Notentext steht.

Stört es Sie eigentlich, dass immer wieder von Ihrer extravaganten Kleidung auf der Bühne die Rede ist?

Buniatishvili: Extravagant? Ich habe eigentlich einen eher altmodischen Geschmack und mag Kleidung als Ausdruck der Persönlichkeit. Manchmal wähle ich auch ein Kleid aus, mit dem ich mich danach auf der Bühne sehr unwohl fühle, so dass ich mich am liebsten verstecken würde. Dieser Umstand bringt mich dann in eine Dissonanz mit mir selbst.

Und beeinträchtigt Ihr Klavierspiel?

Buniatishvili: Im Gegenteil: Der Konflikt mit meinem Körper zwingt mich dazu, alles zu vergessen – den Saal, die Menschen, mich selbst – und immateriell zu werden. Man ist wie in Trance allein mit dem Klavier, folgt einfach der Musik und fühlt plötzlich eine große Harmonie in sich. Die Freiheit der Interpretation geht einher mit der Freiheit von sich selbst. Und ist es nicht genau das, wonach wir Menschen uns eigentlich sehnen? Uns von unserem Ego zu befreien?

Aktuelles Album

Album Cover für Mozart: Klavierkonzerte Nr. 20 & 23

Mozart: Klavierkonzerte Nr. 20 & 23

Academy of St. Martin in the Fields, Khatia Buniatishvili (Klavier & Leitung)
Sony

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