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KURZ GEFRAGT: ALBAN GERHARDT

Kein Fabelwesen auf der Bühne

Bach im Bahnhof, Besuche in Schulen – der Cellist Alban Gerhardt geht innovative Wege, um Menschen für Musik zu begeistern. Mit concerti sprach er über…

vonFriederike Holm,

… deutsche Bahnhöfe

Ich habe im Radialsystem V mal alle Bach-Suiten gespielt und war perplex, wie viele Leute kamen und vor allem auch wie viele „Nicht-Konzertgänger“. Und bei dem positiven Feedback dort ist mir zum ersten Mal aufgegangen, dass Bach auch Leute erreicht, die kaum Berührung mit klassischer Musik haben. Und ein paar Tage später habe ich am Berliner Hauptbahnhof einen Auftritt erlebt von einem kleinen Festival für Neue Musik. Und ich war ganz berührt davon, zu sehen, wie die Reisenden stehen blieben und sehr inniglich der Musik lauschten. Und das hat mich auf die Idee gebracht, Bach in Bahnhöfen zu spielen. An zwei Tagen werde ich sechs verschiedene Bahnhöfe anfahren und jeweils zwei Suiten spielen. Das heißt, wenn jemand verrückt genug ist mitzufahren, kann er alle sechs Suiten an einem Tag hören. Ich möchte damit einfach möglichst viele Menschen für diese Musik erreichen.

… Risiko

Beim Spielen gehe ich immer ein Risiko ein. Ich konnte nie mit doppeltem Boden spielen. Mein alter Cellolehrer wollte mich damals nicht zum Wettbewerb lassen, weil ich nicht perfekt genug vorbereitet war. Für ihn hieß „perfekt vorbereitet“ zu jedem Zeitpunkt genau zu wissen, was man vorhat. Das macht mir so gar keinen Spaß und das ist überhaupt nicht das, was ich unter Musizieren verstehe. Klar, man muss üben, aber man sollte immer viele Optionen offen haben. Ich habe zwar ein Konzept von dem, was ich spiele, und trotzdem bin ich am Ende manchmal selbst überrascht, was dabei rauskommt. Dadurch können natürlich Fehler passieren, aber das macht es interessant und lebendig. Im Studium habe ich immer 1000 Markierungen in meine Noten gemacht, Fingersätze, Bogenstriche, Dynamik, Ausdruck, und damit war das dann festgelegt. Heute sind meine Noten völlig leer, da steht nichts drin.

… Kochen

Wo Sie das fragen: Ich bin gerade im Supermarkt und kaufe für heute Abend ein. Und das ist beim Kochen wie beim Spielen: am besten so frei wie möglich. Nur wenn ich für andere koche, traue ich mich das nicht, dann mache ich etwas, was ich aus einem Rezept kenne. Aber wenn ich für meine Familie koche und Zeit habe, lasse ich mich gerne einfach im Supermarkt inspirieren. Oder noch besser, wenn ich keine Zeit habe und einfach aus dem etwas koche, was da ist. Das ist die totale Improvisation. Insofern haben Spielen und Kochen für mich tatsächlich viel gemeinsam.

… Moderation im Konzert

Ich mache das eigentlich gar nicht so gerne, weil ich mich lieber auf die Musik konzentriere. Aber ich habe erfahren, dass die Leute ganz anders zuhören, wenn sie merken, da sitzt jemand auf der Bühne, der ist ein Mensch wie jeder andere. Als ich als Kind ins Konzert ging, dachte ich immer, da sitzen irgendwelche Fabelwesen auf der Bühne. Ich habe die zutiefst bewundert, aber sie waren mir auch fremd. Durch die Unterhaltung mit dem Publikum kann man diese Barrieren abbauen, gerade wenn die Leute die Musik nicht so gewohnt sind. Aber ganz wichtig ist mir, dass ich frei über das spreche, was mir in den Sinn kommt. Wenn jemand einen vorgefertigten Text abliest, ist das nur peinlich. Ich spreche über meinen persönlichen Bezug zu den Werken und warum ich sie spiele. Also kein musikwissenschaftlicher Vortrag, aber ich glaube, das würde die Leute auch gar nicht so interessieren.

… Meisterkurse

Ich finde es ziemlich anstrengend, Meisterkurse zu geben, ich mache das nur punktuell. Das ist zwar ganz spannend, aber erfüllender ist es, glaube ich, richtig zu unterrichten.Das traue ich mich aber nicht wegen der zeitlichen Verpflichtung – ich bin sehr gerne Vater und Ehemann. Mein eigener Vater hat sehr viel unterrichtet neben seiner Orchesterstelle und er hatte keine Zeit, seiner Vaterrolle völlig gerecht zu werden, wie ich es mir gewünscht hätte… Ich bin zwar auch viel unterwegs, aber auch mal eine Woche zu Hause, weil ich gerne bei meiner Familie bin.

… Einsamkeit auf Konzertreisen

Ich war schon immer ein Einzelgänger, ich habe immer mein Ding gemacht. Wahrscheinlich mögen mich deswegen meine kleineren Geschwister so gerne, weil ich mich nie eingemischt habe. Das Solistendasein gefällt mir wirklich sehr. Klar, ich vermisse manchmal meine Frau und meinen Sohn, aber ich werde darüber nicht traurig. Meine Frau bekommt jetzt bald ihr erstes Kind, da werde ich sicher leiden, wenn ich weg bin. Aber Orchester zum Beispiel, das wäre nichts für mich. Ich bin kein Gruppenmensch.

… Rhapsody in School

Ich bin schon zehn Jahre, bevor es das Projekt gab, in Schulen gegangen, um Kinder für Musik zu begeistern. Und Lars Vogt, der Pianist, hat das dann in die Hände genommen, diese ganzen Schulbesuche zu organisieren, andere Musiker einzubinden und das richtig groß aufzuziehen. Ich möchte einfach, dass Kinder auch motiviert werden, ein Instrument zu erlernen, damit sie diese unglaubliche Erfüllung erfahren können, wenn man sich kreativ und künstlerisch ausdrückt. Ich komme dann da in die Schule und spiele etwas und die stellen ganz viele Fragen – das reicht von „Was ist Dein Lieblingsjoghurt?“ bis „Warum wackelst Du so mit den Fingern?“. Dabei habe ich auch etwas gelernt, weil die Kinder sich darüber beschwert haben, dass ich meine Augen verschließe. Ich kann mich dann besser konzentrieren, aber auf der anderen Seite ist es auch einfach meine Scheu. Die Scheu, denjenigen anzugucken, vor dem man sich emotional entblößt. Aber die Kinder haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, sein Publikum anzugucken, wenn man es emotional mitnehmen möchte.

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