Alter: Immer wieder Neues entdecken – auch mit 60 Jahren
Das Alter ist bloß eine Zahl. Viel wichtiger ist, wie alt man sich fühlt. Das mag zwar eine Binsenweisheit sein, aber sie stimmt nun mal. Wenn ich mit sieben Jahren angefangen habe, Geige zu spielen, heißt das ja, dass ich seit 53 Jahren praktisch jeden Tag dieses Instrument in die Hand nehme. Na und? Ich entdecke jeden Tag Neues in der Musik, das ist jetzt mit 60 Jahren noch so und das war auch schon so, als ich Teenager war.
Jobalternativen: Nigel Kennedy der Taxifahrer?
Es hätte schon viel passieren müssen, dass ich nicht Musiker geworden wäre. Aber was wäre gewesen, wenn … Taxifahrer ist ein toller Beruf, das wäre ich vermutlich geworden, wenn es nicht mit der Musik geklappt hätte. Das Tolle an diesem Job ist, dass du dir deine eigenen Arbeitszeiten wählen kannst. Was für eine Vorstellung: den ganzen Tag Auto zu fahren und mit Menschen zu reden. Das Problem ist bloß mein Orientierungssinn – ohne Navi geht bei mir gar nichts. Ich hätte also in eine möglichst kleine Stadt mit möglichst wenig Straßen ziehen müssen und hätte meine Fahrgäste nur zum nächstgelegenen Flughafen fahren können.
Konventionen: Geht das d’accord?
Ich habe nie den Sinn hinter Konventionen verstanden. Nicht, weil ich unbedingt anders sein wollte oder weil ich auf Teufel komm raus als bunter Vogel Aufmerksamkeit provozieren wollte. Es ist doch so: Konvention bedeutet immer Abgrenzung und Beschränkung: Das da musst du tun und das da wiederum darfst du nicht tun. Wenn du so denkst, stößt du als Musiker schnell an deine Grenzen und hast bestenfalls deshalb Wiedererkennungwert, weil du immer gleich spielst. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass aus Konventionsbrüchen großartige Entdeckungsreisen entstehen können.
Stille: Zeit für mich
Die brauche ich zum Komponieren! Was wiederum heißt, dass ich an solchen Tagen von meiner Gewohnheit ablasse, den Morgen mit Bach zu starten – normalerweise spiele ich seine Werke drei bis vier Stunden lang. Mir ist wichtig, dass mich beim Komponieren keinerlei Eindrücke ablenken. Ich muss also an einem Ort sitzen, an dem rein gar nichts passiert. Dann geht es darum, aus der Stille, aus dem Nichts heraus einen Klang, eine Melodie zu finden und weiterzuentwickeln.
Komposition: Sternstunden am Klavier
Ich komponiere immer am Klavier, damit ich die Melodien und Harmonien nackt und ungeschönt höre. An der Violine wäre das nicht möglich. Ich würde sofort anfangen, meine Ideen auszugestalten und mir Gedanken über zahllose Kleinigkeiten zu machen, bevor die Komposition überhaupt ansatzweise ein Konzept hat. Außerdem muss ich Harmonien erzeugen können, was mit der Geige nicht wirklich möglich ist. Es hat schon seinen Grund, warum alle Komponisten am Klavier arbeiten, und zwar egal, ob das jetzt Klassik-, Jazz- oder Popmusiker sind. Wobei: Unsere britischen Bands nehmen dafür die Gitarre in die Hand.
Dankbarkeit: Album „My World“
Ein wichtiger Gedanke hinter dem Album „My World“ war, einigen Menschen dafür zu danken, was sie mir auf meinen Weg mitgegeben haben. Klar hätte ich ihnen das auch einfach sagen können, aber ich wollte es ihnen über die Musik mitteilen. Zum Beispiel Stéphane Grappelli, vielleicht der größte Jazzgeiger, den Frankreich je hatte. Er hat mir unglaublich viel gezeigt, wie man aus der Violine einen Jazzsound rausholt, weshalb ich ihm mein Stück Melody in the Wind gewidmet habe. Stéphane konnte es noch spielen, bevor er vor zwanzig Jahren starb. Er war schon sehr krank, als ich ihm das Stück in seiner Wohnung in Montmartre zeigte. Sein Husten war ziemlich übel, aber er wollte es unbedingt aufnehmen. Auf Band konnte man dann hören, wie er ständig seinen Husten unterdrückte. Aber wir haben dann doch einen anständigen Sound hinbekommen. Zum Glück, denn es ist tatsächlich seine letzte Tonaufnahme.
Begleitung: Nigel Kennedy und Band
Auf meinem Album habe ich auch eine richtige Band dabei. Alle Mitglieder stammen aus dem Dunstkreis des polnischen Jazz-Gitarristen und Komponisten Jarek Smietana, der 2013 starb. Als er im Krankenhaus Geld für seine Therapie brauchte, haben die Band und ich viele Konzerte gegeben, um ihm finanziell unter die Arme zu greifen. Nach seinem Tod habe ich ihm Dla Jarka gewidmet. Dieses Stück zusammen mit „seiner“ Band aufzunehmen war für uns alle sehr bewegend. Und sehr schön.
Theaterbesuch: Gemeinsam mit Frau Agnieszka
Als meine Frau Agnieszka, die Theaterregisseurin ist, Tschechows Drei Schwestern inszenierte, habe ich die Bühnenmusik dazu beigesteuert. Das war unglaublich spannend! Siebenmal hintereinander habe ich die Musik dann live gespielt. Siebenmal! Ich meine: Ich würde nie im Leben eine Woche lang jeden Tag dasselbe Shakespeare- Stück ansehen. Vermutlich würde ich ein einziges Mal reingehen und danach beschließen, dass das für mich in Sachen Shakespeare locker reicht für die nächsten fünf Jahre. Aber bei Tschechow war das anders. Die Figuren sind so komplex angelegt, dazu noch die vereinnahmende düstere Stimmung, die Gedankenschwere. Einfach großartig!
Fließbandkünstler: Wo bleibt die Einzigartigkeit?
Seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass die Musiker nicht von einem Lehrmeister ausgebildet, sondern wie am Fließband hergestellt werden: Sie können alles auf einem hohen Niveau spielen, einige von ihnen sind bemerkenswert nah an der Perfektion. Aber wo höre ich die Lebenserfahrung raus? Welche Gedanken hat sich der Interpret gemacht? Was macht sein Spiel besonders? Wenn ich all den großartigen Talenten einen Rat geben dürfte: Seid einzigartig, und zwar ohne Kompromisse! Niemand geht in eure Konzerte, um festzustellen, wie klug und begabt ihr seid. Die Zuhörer wollen Musik, die sie von den Stühlen haut. Hört euch doch mal die Jazz-Größen an wie Coleman Hawkins, Fats Waller oder Louis Armstrong – die hatten nicht mal richtigen Musikunterricht!
Aston Villa Football Club: Diese Liebe bleibt ein Leben lang
Ach, wenn mein Lieblingsverein Punkte bekäme für die Leidenschaft seiner Fans, dann stünden wir nicht in der zweiten Liga, sondern wären ganz vorne mit dabei in der Premier League! Als ich das letzte Mal in der „Aston-Villa-Stadt“ Birmingham gespielt habe, saß Jack Grealish, Villas Mann fürs Mittelfeld, im Publikum. Er ist nicht gerade jemand, der Fußball nach dem Lehrbuch spielt, aber damit kann er auch seine Gegenspieler vor den Kopf stoßen. Mit sechs Jahren hat er bei Villa angefangen und ist seinem Verein bis heute treu geblieben. Erfolgreich sein und trotzdem gegen den Strom des Zeitgeists zu schwimmen – von solchen Leuten brauchen wir definitiv mehr, und zwar nicht nur im Fußball.