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Kurz gefragt: Martin Fröst

„Schatten sind etwas sehr Aufregendes“

Klarinettist Martin Fröst wird bei Vivaldi fündig, obwohl der nie ein Klarinettenkonzert geschrieben hat. Hier spricht der Schwede über …

vonHelge Birkelbach,

… die Schalmei

Martin Fröst: Als ich Anfang zwanzig war, bekam ich eine Hauptrolle in „Der Rattenfänger“. Komponiert wurde die Oper von Wilfried Hiller, das Libretto stammt von Michael Ende. Ich war der Rattenfänger, der mit seiner Schalmei die Stadt von der Plage befreit, indem er die Ratten aus den Löchern lockt und zum Fluss führt, wo sie ertrinken. Dann fordert er seinen Lohn. Die Bürger der Stadt wollen ihn aber nicht bezahlen, und er rächt sich. Die Geschichte ist bekannt. Für mich ist das ein relevantes Thema, gerade heute, wo eine andere Seuche uns plagt. Jetzt, da ich mich daran erinnere, merke ich erst, wie bedrohlich und furchteinflößend diese Sage wirkt, wenn wir sie im Licht der heutigen Ereignisse betrachten. Es ist nicht nur eine kleine Stadt, die ihre Kinder verliert. Wir sind alle betroffen.

… Buchsbaumholz

Fröst: Das ist das Holz, aus dem die neue Klarinette gebaut ist, mit der ich die Arrangements der Vivaldi-Stücke spiele. Sie ist sozusagen eine moderne Schalmei. Ich wollte meine klangliche Vorstellung davon realisieren, wie Vivaldi für die Klarinette komponiert hätte, die es zu seiner Zeit ja noch nicht gab. Buffet Crampon, der berühmte Instrumentenbauer aus Paris, hat dieses schöne Instrument für mich hergestellt, eine Rekonstruktion eines historischen Vorläufers. Bei Konzerten mit Stücken von Vivaldi oder auch Telemann spiele ich dieses Instrument, bei Mozart wechsle ich zur Bassettklarinette. Insgesamt habe ich fünf Klarinetten, die ich je nach Epoche und Komponist einsetze. In großen Konzertsälen klingt die Buchsbaumholz-Klarinette vielleicht etwas leiser, das kann sein. Auf jeden Fall ist sie weicher im Klang. Das Instrument ist leichter als moderne Klarinetten und fühlt sich beim Spiel etwas anders an. Nicht fragil, aber softer. Es ist ein wunderbares physisches Erlebnis, sie zu spielen.

… historisch informierte Aufführungspraxis

Fröst: Ich habe mich schon immer für eine authentische Aufführungsweise interessiert und konnte mit einigen Dirigenten zusammenarbeiten, die tief in das Wesen der Alten Musik eingedrungen und sich mit der so genannten historisch informierten Aufführungspraxis beschäftigen. Wie diesen Experten liegt auch mir ein Wiedererschaffen des originalen Klangs am Herzen. Wie hat es sich für Mozart angehört, wie für Vivaldi? Wir können natürlich nicht exakt wissen, wie es damals wirklich geklungen hat. Ein Orchester klingt heute komplett anders als im 17. oder 18. Jahrhundert. Mit meinem neuen Instrument habe ich auch eine andere Art des Spielens entdeckt. Es ist viel empfindlicher, es reagiert anders auf die Zuführung der Luft. Ein bisschen in der Art einer Flöte, oder einer Schalmei, die beide sensibler reagieren.

… Virtuosität

Fröst: Als wir die Aufnahmen zum Vivaldi-Album abgeschlossen hatten und ich die fertige Version zum ersten Mal hörte, war ich überrascht. Es war in der Stimmung viel melancholischer als ich zuerst dachte. In den langsamen Sätzen hörte man das gut. In den schnelleren Momenten steckt mehr Virtuosität, vor allem in den Arien, wie sie mein Arrangeur Andreas N. Tarkmann eingerichtet hat. Die Ornamentik weist viel eher in die Virtuosität des modernen Klarinettenspiels. Was generell den Begriff der Virtuosität betrifft, kommt es immer darauf an, was du beabsichtigst. In jeder Art von Musik kannst du virtuos sein, auch in ganz langsamen Sätzen. Virtuosität ist nicht mit Geschwindigkeit gleichzusetzen.

… Tanz

Fröst: Da muss ich natürlich sofort an meine Tochter denken! Sie tanzt, seit sie mit eineinhalb Jahren das Prinzip des Gleichgewichts verstanden hat. Heute, mit dreizehn Jahren, tanzt sie in drei verschiedenen Gruppen in der Schule. Zwei davon praktizieren klassischen Tanz, in der dritten macht sie Street Dance.

Martin Fröst
Martin Fröst

… Schattenspiele

Fröst: Die sieht man im Video, das ich zum Album gemacht habe. Schatten sind etwas sehr Aufregendes. Sie sprechen deine Vorstellungskraft an. Jeder sieht etwas anderes in ihnen, in den Umrissen und den Bewegungen. Es sind immer andere Geschichten, die sie erzählen, andere Personen, die agieren. Als wir das Video aufnahmen, sah ich plötzlich den Schatten der Tänzerin an der Wand. Es war eine Transformation: Die normale Person verschwindet und eine neue, völlig andere taucht auf. Ich konnte noch nicht mal sagen, ob es eine Frau oder ein Mann war. Oder eine unbekannte Kreatur. Weil sie so ganz anders sind, erschrecken uns Schatten ja oft.

… Gesundheit

Fröst: Das war für mich in den vergangenen Jahren tatsächlich ein Thema. Ich habe meinen Lebensstil etwas umgestellt und gehe nun achtsamer mit mir um. Vor sechs Jahren hatte ich Probleme mit meinem Gehör. Ich begann zu meditieren, trank weniger Alkohol, konsumierte weniger zuckerhaltige Sachen und Fleisch. Das hat mir gutgetan. Heute meditiere ich zweimal täglich.

… seinen gebrochenen Arm

Fröst: Da sagen Sie was! (lacht) Sie haben davon gehört? Ja, ich habe mir den Arm gebrochen, als ich in Hannover studierte. Es war ein Albtraum. Ich wollte die Straße überqueren und war in Gedanken in meiner eigenen Welt, als plötzlich die Straßenbahn auftauchte. Sie erfasste mich am Fuß, ich fiel auf den Bordstein, mein Arm war gebrochen. Im Krankenhaus hat man sich gut um mich gekümmert – so gut, dass ich dachte: Der eine Arm ist im Gips, mit dem anderen kann ich wohl spielen. Ich wollte weiter üben und kam auf den „Hummelflug“ von Rimski-Korsakow. Aber das war wohl etwas überambitioniert, und mein Professor schickte mich nach Hause. Nach sechs Wochen ging es wieder einigermaßen.

… Lebensangst

Fröst: Ich bin viel ruhiger, wenn eine Menge Dinge um mich herum passieren. Wenn dagegen das Leben extrem ruhig läuft, macht mich das nervös. Das ist eine wahre Katastrophe. Wenn etwas passiert, ist man besser strukturiert, das Gehirn funktioniert besser. Menschen sind dafür gemacht, Schwierigkeiten zu meistern. Wir sind nicht für Untätigkeit gemacht. Nichts zu tun beziehungsweise dazu verdammt zu sein, nichts tun zu können, würde ich aber nicht unmittelbar mit Lebensangst in Verbindung bringen. Ein ungutes Gefühl entsteht eher im Kopf und hat damit zu tun, Probleme zu kreieren, die keine sind. Wenn aber plötzlich dein Gehör erkrankt, so wie es mir passiert ist, hast du ein echtes Problem. Es ist nicht gedacht, sondern real. Ich war überglücklich, als ich das in den Griff bekommen habe und wieder spielen konnte.

Album Cover für Vivaldi

Vivaldi

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