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Interview Leo McFall

„Ein echter, frischer, farbenfroher Neustart“

Leo McFall kennt das Staatstheater Wiesbaden seit fast zehn Jahren. Nun tritt er dort das Amt des Generalmusikdirektors an.

vonStefan Schickhaus,

Der Dirigent Leo McFall, 1981 in London geboren, startet in der kommenden Spielzeit als General­musikdirektor am Staatstheater Wiesbaden. Die Position war seit 2022 vakant, seine beiden Vorgänger hatten im Streit mit dem Intendanten das Handtuch geworfen.

Herr McFall, 2015 stand nach einer von Ihnen dirigierten „Otello“-Premiere am Wiesbadener Staatstheater in der Zeitung zu lesen: „Unter besonderer kritischer Beobachtung sollte auch der Dirigent dieser Eröffnungs-Premiere stehen, der junge Engländer Leo McFall, bis dato Erster Kapellmeister in Meiningen. Er wird als potentieller Nachfolger für den Generalmusikdirektor Zolt Hamar gehandelt – und leistete sich nun eine durchaus gute Ausgangsposition.“ Ich hatte das seinerzeit selbst geschrieben. Ihr Name wurde also vor fast zehn Jahren bereits dafür gehandelt, jetzt sind Sie Generalmusikdirektor in Wiesbaden. Warum hat das so lange gedauert?

Leo McFall: Das war damals kein offizielles Bewerbungsdirigat. Ich denke, es wäre auch zu früh für mich gewesen. „Otello“! Eine großartige Oper, aber mit derartigen big bones! Es war eine tolle Gelegenheit, das Stück zu dirigieren, aber wie gesagt: Die GMD-Position hier wäre zu früh gekommen.

Aber war denn das Staatstheater Wiesbaden in diesen fast zehn Jahren immer auf Ihrem Radar? Als potentieller Arbeitsplatz?

McFall: Nein, nicht wirklich. Mir war natürlich bewusst, dass dies ein großartiges Haus ist, und ich hätte auch noch zwei weitere Produktionen übernehmen sollen, aber beide wurden abgesagt. Verdis „Macbeth“ etwa fiel Corona zum Opfer. Der Kontakt war immer da, ja, das schon.

2015, also im Jahr Ihres Wiesbadener „Otello“, endete ihr Vertrag bei der Meininger Hofkapelle, und Sie starteten eine freiberufliche Karriere. War das, im Rückblick, eine gute Entscheidung?

McFall: Ich habe die Hofkapelle in Meiningen zunächst schon sehr vermisst, denn es ist ein wundervolles Orchester. Die Mentalität dort ist ganz besonders, ebenso das Gefühl für „zusammen musizieren“ (für diese beiden Worte wechselt er ins Deutsche) – ja, das hat mir wirklich gefehlt. Aber ich hatte einen Job als Assistenzdirigent beim Gustav Mahler ­Jugendorchester in Wien und einige Einladungen für Opernproduktionen in Großbritannien. Und 2019 wurde ich ja dann auch schon Chefdirigent des Symphonieorchesters Vorarlberg. Die rein freiberufliche Zeit war also gar nicht so lang.

Beim Symphonieorchester Vorarlberg hat der Brite Leo McFall auch eine musikalische Heimat am Bodensee
Beim Symphonieorchester Vorarlberg hat der Brite Leo McFall auch eine musikalische Heimat am Bodensee

Sie haben viel in Deutschland und Österreich gearbeitet, und in einem Interview erklärten Sie auch einmal den Grund dafür: Hier habe man mehr Zeit zum Proben. Ist da wirklich ein so großer Unterschied?

McFall: Ja, deutlich mehr Zeit, im Vergleich mit England. Es werden für ein Konzert oder eine Opernaufführung grundsätzlich mehr Proben angesetzt. Ich mag schon auch das britische System, denn die Musikerinnen und Musiker kommen absolut perfekt vorbereitet zur Probe, weil sie wissen, dass man nicht viel Zeit hat. Denn Zeit ist Geld. Hier in Deutschland ist das System ein komplett anderes. Man hat die Möglichkeit, tiefer in die Materie einzutauchen, und das liebe ich. England hat etwas von Speeddating: spannend, aber manchmal oberflächlich.

Gar nicht weit weg von Wiesbaden, nämlich in Darmstadt, haben Sie auch noch einen Stein im Brett. Sie dirigierten da bereits mehrmals die Deutsche Philharmonie Merck. Dort Konzert, in Wiesbaden Oper – was ist Ihnen lieber?

McFall: Jedenfalls beides. Es bedingt sich ja auch beides gegenseitig: Eine Sinfonie ist ja nichts Akademisches, kann vielmehr ausgesprochen dramatisch sein. Und in Opern gibt es jede Menge sinfonische Strukturen. Wenn du Mozart-Opern dirigiert hast, gehst du anders an seine Klavierkonzerte heran, und wenn du Bruckner-Sinfonien erarbeitet hast, kannst du ganz anders mit den langen Phrasen einer Oper umgehen. Ja, am besten ist man in jeder Art Musik  zuhause, eben auch in der Kammermusik oder im Lied.

Ihre beiden Vorgänger hier im Amt des GMD, Zsolt Hamar und Patrick Lange, haben es aber nicht allzu lange ausgehalten, beide haben das Haus vorzeitig verlassen. Das Wiesbadener GMD-Pult war ein Schleudersitz …

McFall: Patrick Lange blieb immerhin sechs Jahre …

… ging dann aber 2022 ebenfalls wegen Differenzen mit dem Intendanten Uwe Eric Laufenberg. Seitdem war die Position verwaist.

McFall: Jetzt haben wir ein neues Intendanten-Team. Ich habe die schwierige Situation hier am Haus während der letzten Jahre nicht verfolgt, ich lebte in London – weiß aber natürlich, dass die internen Strukturen ziemlich zerstört waren und dass es jetzt eine Menge Energie braucht, alles und alle wieder zusammenzubringen.

Die beiden neuen Intendantinnen Beate Heine und Dorothea Hartmann haben entsprechend einen »Neustart« für Wiesbaden angekündigt, und Sie sind ein Teil davon. Dieser Neustart beginnt nun ausgerechnet mit einem Endzeit-Stück, mit dem Weltuntergang, wie er in György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ thematisiert wird. Eine schöne Idee. Die Ihre?

McFall: Absolut, eine tolle Idee! Aber nicht von mir, die Planungen für den Opernspielplan fanden schon weit vor meiner Ernennung statt. Aber das wird wirklich ein starker Beginn, mit dem Orchester nicht im Graben, sondern auf der Bühne, und mit einer fantastischen Regisseurin. Das wird ein echter, frischer, farben­froher Neustart.

„Wir müssen die Begeisterung für diese Meisterwerke der Musik weitergeben“, sagt Leo McFall
„Wir müssen die Begeisterung für diese Meisterwerke der Musik weitergeben“, sagt Leo McFall

Nach diesem Start sehen Ihre Produktionen dann eher nach Standardprogramm aus: „Le nozze di Figaro“, „Fliegender Holländer“, „Carmen“. Der Erste Kapellmeister Chin-Chao Lin wird genauso viele Premieren übernehmen wie sie, und mit Offenbachs „Fantasio“ und Bizets „Perlenfischer“ die vielleicht sogar spannenderen. Premieren sind also nicht automatisch Chefsachen in Wiesbaden?

McFall: Chin-Chao Lin war GMD in Regensburg, ich kenne ihn schon seit Studientagen, ich traue ihm alles zu. Ich bin nicht der Typ, alles alleine machen zu wollen. Ich finde es gut, möglichst alle Kräfte und Talente eines Hauses zu nutzen, und auch dem Orchester tut so etwas gut.

Die beiden Intendantinnen sagen über Sie, Sie brächten „ein ausgeprägtes Interesse an neuen und ungewöhnlichen Formen von Musiktheater und Konzert mit“. Was meinen sie damit konkret?

McFall: Ich denke, sie meinen zum Beispiel das Projekt „Mitten im Klang“, wo das Publikum eine Brahms-Sinfonie auf Plätzen mitten im Orchester erleben kann. Die Idee stammt nicht von mir, sondern von Ivan Fischer, und ich habe daran als Teil des Publikums schon öfters teilgenommen – und liebte diese Erfahrung. Darum bieten wir das nun auch hier an, denn eine der ganz großen Aufgaben ist ja, das Haus zu öffnen. Wir müssen jetzt das Publikum von morgen für uns gewinnen, müssen die Begeisterung für diese Materie, für diese Meisterwerke der Musik teilen, weitergeben, die Türe weit öffnen. Ich werde die Früchte dieser Arbeit dann wohl gar nicht mehr ernten, aber in fünfzehn Jahren können sie reif sein.

In fünfzehn Jahren sind Sie vielleicht noch hier, das Wiesbadener GMD-Pult ist ja kein Schleudersitz mehr.

McFall: (lacht laut) Das ist schon eine sehr lange Zeit. Wir werden sehen.

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