Wenn ich den zweiten Satz von Johannes Brahms‘ dritter Sinfonie dirigiere, öffnet sich für mich eine Welt, in der alles existiert und alles zurückkehrt, was wir verloren haben – wohl bemerkt nur im Konzert, nicht in Proben. Ich fühle mich dabei eng mit meinem im Sommer verstorbenen Mentor Larry Rachleff verbunden. Als ich ihn dieses Andante zum ersten Mal habe dirigieren hören, entdeckte ich darin pure Schönheit. Ich erinnere mich, wie mein Konzertmeister Raphael Fliegel, der 2005 gestorben ist, von dieser Musik geschwärmt hat. Er war ein wunderbarer Mensch, ohne den ich meine Frau wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte. Und ich muss an meinen Geigenlehrer Sergiu Luca denken, der wie ein Vater für mich gewesen ist. Bei ihm habe ich Brahms’ dritte Violinsonate studiert, die den gleichen musikalischen Gestus aufweist wie dieses Andante.
Ich bin jedes Mal überwältigt, wenn die Basslinie nach oben drängt, die Violinen absteigen und sich beide zur Coda am gleichen Punkt treffen. Das ist ein himmlischer, ehrlicher und feinfühliger Moment, der aber auch etwas Zerbrechliches ausstrahlt. Diese Sinfonie ist eng mit dem Tod von Brahms’ Mutter verbunden. Ich habe die Komposition so oft als Geiger selbst im Orchester gespielt und angehört, dass ich beim ersten Mal am Pult, mit dem Edmonton Symphony Orchestra in Kanada, Angst hatte: Ich wusste nicht, wie ich sie dirigieren sollte. Doch nach den ersten paar Takten kam es mir so vor, als würde ich zu einem alten Freund sprechen. Dieses Stück schien schon immer zu meinem Leben zu gehören.