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Interview Marcus Bosch

„Ein Ausbund des Lärms – aber es wurde ein Erfolg“

Nur Publikumslieblinge zu spielen, ist Marcus Bosch zu wenig. Ebenso genügt es ihm nicht, sich nur auf das Dirigieren zu beschränken.

vonAndré Sperber,

Marcus Bosch ist ein musikinstitutioneller Tausendsassa, der nicht nur ein herausragender Dirigent ist, sondern sich als Kulturschaffender im wahrsten und ausgedehntesten Sinne des Wortes betätigt. Seine Professur an der Münchner Musikhochschule, seine Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Opernfestspiele Heidenheim und sein Amt als Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie Rostock sind nur drei von zahlreichen Aufgaben und Projekten, denen sich der 52-Jährige parallel zuwendet.

Herr Bosch, wie schaffen Sie es, an so vielen Projekten gleichzeitig zu wirken? Familienmensch sind Sie ja auch noch.

Marcus Bosch: Stimmt, ich versuche die Balance zu halten. Meine Professur in München ist mein Dreh- und Angelpunkt. Aber da ich sehr praxisorientiert unterrichten kann, lässt sich das glücklicherweise mit vielem verbinden. Bei den Opernfestspielen in Heidenheim können beispielsweise immer Studenten assistieren, und auch in Rostock mache ich mit ihnen Konzerte. Das ist dann für alle eine Win-win-Situation.

Vor vier Jahren haben Sie Ihren Posten als GMD des Nürnberger Staatstheaters zugunsten Ihrer Professur in München aufgegeben. Ziehen Sie die Lehre der künstlerischen Selbstverwirklichung vor?

Bosch: Ich sehe den Gegensatz nicht. Und Wörter wie Lehre und Unterricht haben für mich nicht immer einen positiven Beigeschmack. Mir geht es mehr um das Betreuen und darum, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen. Dirigieren heißt ja, über Musik nachzudenken, Bewegung zu erkennen, Aura zu beurteilen. Es ist auch für mich eine ständige Selbstreflektion, denn was ich den Studierenden beibringe, darüber muss ich mir auch bei meiner eigenen Arbeit bewusst sein. Insofern glaube ich, dass ich nur gut unterrichten kann, wenn ich auch beständig dirigiere.

Sie konnten an allen Institutionen, an denen Sie in den letzten Jahren gewirkt haben, große Erfolge erzielen. Sind Sie neben dem Künstler auch Geschäftsmann?

Bosch: Geschäftsmann ist ein sehr unschöner Begriff dafür. Natürlich muss ein Festivalmacher und ein moderner GMD organisieren und rechnen können, und es gehört genauso dazu, Sponsoren zu überzeugen und ein gewisses Umfeld zu schaffen. Aber das Ziel ist und war immer, Musik auf möglichst hohem Niveau mit den möglichst besten Leuten zu machen, das Publikum zu begeistern und dabei auch diejenigen mitzunehmen, die keine musikalische Bildung mitbekommen haben. Geschäftsmann greift da deutlich zu kurz. Ich würde mich eher als Handreicher für Musik bezeichnen.

Muss ein Dirigent, um heute erfolgreich zu sein, dennoch mehr können, als „nur“ zu dirigieren? Sie sprachen einmal von einer in Mode gekommenen Exotik.

Bosch: Stimmt, ich habe mal gesagt, dass Kunst oft mit Exotik verwechselt und Können zum Kunsthandwerk abgestempelt wird. Das würde ich nach wie vor unterschreiben. Leider können noch immer außermusikalische Dinge oder Eigenschaften ausschlaggebend für Erfolg sein. Ein zunehmend wichtiger Aspekt ist dagegen die Regionalität: Ein Dirigent, der sich nicht mit dem Ort, an dem er wirkt, und dem dortigen Publikum auseinandersetzt, wird auf Dauer nicht weit kommen. Gerade jetzt nach den Lockdowns sieht man das deutlich: Die Leute kommen dort am ehesten ins Konzert zurück, wo es eine ehrliche Bindung zwischen Ausführenden und Publikum gibt. Nur so kann man die Klassik erhalten.

Sie sind auch dafür bekannt, immer wieder neue Konzertformate zu entwickeln. Dient das auch der Zukunft der Klassik?

Bosch: Ich glaube, dass wir der heutigen 4.0-Welt mit Konzerten eine starke analoge Welt entgegenstellen können und müssen. Dazu braucht es sicher auch neue Formate, um neues Publikum anzusprechen oder einer gewissen Trägheit oder Routine entgegenzuwirken. Das sollte dann allerdings aus einer inneren Überzeugung und Notwendigkeit heraus passieren und kein reines Marketinginstrument sein. Die Menschen schmecken den Unterschied zwischen Konserve und Selbstgemachtem. Wenn sogenannte Konzertdesigner drei Lampen aufstellen und die Stühle kreuz und quer im Raum verteilen und das dann als neues Konzertformat und die Rettung der Klassik feiern – darüber kann ich nur schmunzeln.

„Kunst wird oft mit Exotik verwechselt“: Marcus Bosch
„Kunst wird oft mit Exotik verwechselt“: Marcus Bosch

Sie sind als Vorstand der GMD und Chefdirigent*innen Konferenz e. V. auch kulturpolitisch sehr aktiv. Wie sehr hat Sie diese Aufgabe vor allem in der Coronazeit gefordert?

Bosch: Enorm! Vor allem am Anfang, als alles stillstand, haben wir wirklich alles versucht, sehr viel Zeit investiert und uns um viele Themen gekümmert. Leider mit sehr begrenztem Ergebnis. In der Politik wurde immer von wissenschaftsbasierten Entscheidungen gesprochen, aber das war ja nur Hohn und Spott. Das war eine wirklich bittere Zeit, in der die Kultur immer hintangestellt wurde, und jetzt erleben wir in der Kriegszeit bei all den Benefizkonzerten, dass Kulturschaffende plötzlich doch wieder eine Relevanz genießen.

2020, quasi pünktlich zur Pandemie, sind Sie Chefdirigent in Rostock geworden. Konnten Sie sich dort überhaupt schon richtig profilieren?

Bosch: Wir haben natürlich auch in der Pandemie einiges gemacht in kleineren Formationen, und auch sonst ist da mittlerweile schon viel passiert. Zum 125. Todestag von Johannes Brahms haben wir das Jubiläumsjahr „Rostock BRAHMSt!“ initiiert, das in die ganze Stadt hineinwirkt. Auch viele kleinere Reihen haben wir entwickelt, etwa „Musik am Herd“, wo ich am Sonntagmorgen mit dem Solisten des Abendkonzerts und Persönlichkeiten aus Sport oder Politik gemeinsam koche, talke und musiziere. Da kommt man in einen hervorragenden Austausch.

Sie sind auch Vertreter der Neuen Musik, haben schon viel uraufgeführt. Warum ist es wichtig, bei der Programmplanung nicht immer nur die Lieblingsstücke des Publikums zu berücksichtigen?

Bosch: Es gibt so viel Musik, die man zur neuen Lieblingsmusik machen kann. Wir haben etwa in Rostock einen Prokofjew-Schwerpunkt. Seine zweite Sinfonie ist ja ein Ausbund des Höllenlärms der Industrialisierung. Heftig auch zu spielen, extrem laut. Am Anfang der Proben waren viele skeptisch – aber es wurde ein riesiger Erfolg. Das ist jetzt sicher nicht Lieblingsmusik im eigentlichen Sinne, aber wir haben neue Türen für unser Publikum geöffnet. Ich bin überzeugt, dass sich die Überzeugung der Ausführenden übertragen lässt.

Mit 50 000 Einwohnern ist Ihr Geburtsort Heidenheim eine recht kleine Stadt. Wie gelingt es, dass mit den Opernfestspielen dort so ein renommiertes Festival auch noch rund um die wohl aufwendigste musikalische Gattung erblühen kann?

Bosch: Das Festival ist der musikalische Leuchtturm in der Region zwischen Stuttgart, München und Nürnberg und bietet mit seinen zahlreichen Spielstätten – allen voran der offene Rittersaal in der Schlossruine – ideale Voraussetzungen. Mit der Cappella Aquileia haben wir ein Spitzenorchester, das auch international immer mehr Zuspruch findet. Über die Jahre hat sich das Festival in einem Maße entwickelt, das ich mir nie hätte erträumen können. Ich habe vor zwölf Jahren mit einem Budget von 700.000 Euro angefangen, heute stehen uns 2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das bürgerliche Engagement in dieser Stadt sucht auf jeden Fall seinesgleichen, ohne das wäre es nicht möglich. Und es zeugt auch von einer tiefen kulturellen Verankerung bei den Menschen.

Auf welche Höhepunkte freuen Sie sich am meisten?

Bosch: Als Intendant ist das natürlich schwer zu beantworten. Aber jede Wagner-Oper ist ein Highlight, und wir haben jetzt drei Jahre gewartet, den „Tannhäuser“ mit Regisseur Georg Schmiedleitner endlich produzieren zu können. „I due Foscari“ als Teil unserer sehr erfolgreichen Verdi-Reihe ist auch für mich eine neue Oper und auf jedes Konzert mit der Cappella Aquileia freue ich mich sowieso diebisch. Und die größte Freude ist natürlich, nach dieser Covid-Zeit endlich wieder richtig großes, aktuelles Musiktheater machen zu können, das unseren Ansprüchen gerecht wird.

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