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Interview Marieke und Ton Koopman

„Obwohl ,Koopman‘ auf Deutsch ,Kaufmann‘ heißt“

Marieke und Ton Koopman haben eines gemeinsam: völlige Hingabe für die Musik. Und doch haben Vater und Tochter ganz verschiedene künstlerische Lebenswege eingeschlagen.

Marieke ein Zitat für Sie: „Als ich 14 Jahre alt war“, schreibt Mark Twain, „war mein Vater für mich so dumm, dass ich ihn kaum ertragen konnte“.

Marieke Koopman: Oh, das ist lustig. Für mich war es eher so, dass mein Vater alles war, was ich selbst sein wollte. Eine große Inspiration, vielleicht nicht im Musikstil, aber grundsätzlich im Hinblick auf seine Liebe zur Musik, seine Neugierde und seine Entdecker-Leidenschaft.

Das Zitat geht noch weiter: „Aber als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte Mann in sieben Jahren dazu gelernt hatte.“

Marieke Koopman: Tatsächlich begriff ich erst in dem Alter, wie viel er tatsächlich verstand von dem, was er machte. Sein Wissen, seine Visionen, sie inspirierten mich noch mehr, auch diesen Weg als Musikerin zu beschreiten.

Ton, wie war das bei Ihnen? Sie wurden 1944 im Krieg geboren in Armut, mit sechs Geschwistern und einer kranken Mutter.

Ton Koopman: Mein Vater war ein Liebhaber des Jazz, der als Amateur-Schlagzeuger in Swing-Bands spielte. Musik war immer im Haus. Ich kam in den Knabenchor, und auch auf der Schule gab es klassische Musik. Ich fand immer interessant, was mein Vater machte, vor allen Dingen die Emotionen, die er hineingab.

Im Booklet zur CD Ihrer Tochter gibt es ein schönes Bild Ihres Vaters Frederikus, genannt „Fré“ Koopman (1909–1992), aus den späten Vierzigern. Was hat er Ihnen vermittelt?

Ton Koopman: Die große Freude an der Musik. Wenn er spielte, hat er seinen Schlagzeugstock immer in die Luft geschmissen. Er hatte so eine Freude daran. Doch die Musikrichtung, die ich einschlug, war eine andere.

Lehrer setzten sich für Sie ein, damit Sie aufs Gymnasium kamen und Latein lernten. Für eine Musikausbildung gab es kaum Geld. Was haben Ihre Eltern gesagt, als Sie Musiker werden wollten?

Ton Koopman: Auch wenn Koopman eigentlich auf Deutsch Kaufmann heißt… Spaß beiseite: Meine Mutter hat damals noch gelebt und sie hat meinen Wunsch, Musiker zu werden, verstanden. Ihr Vater hatte in katholischen Kirchen Engel restauriert. Sie hat jeden Groschen beiseitegelegt, damit sie mir ein Klavier kaufen konnte. Auch mein Vater war stolz auf mich, aber es war schwerer für ihn, dies zu vermitteln.

Mit elf Jahren haben Sie in einer kleinen Kapelle gespielt und teilweise so viel Geld verdient wie Ihr Vater. Wie fand er das?

Ton Koopman: Ich habe im Grunde genommen die Dinge gemacht, die er gerne gemacht hätte. Doch er hatte die Zeit gegen sich: Zweiter Weltkrieg, die Zeit danach. Meine Mutter erkrankte, es wurde immer schlimmer, er musste mit einem anderen Job Geld verdienen. Er hatte keine Energie mehr zu spielen, und das war sehr traurig für ihn. Als ich dann als Musiker mehr verdiente als er, hat er mich trotzdem nicht gebeten, etwas abzugeben, sondern ich konnte die Bücher und Noten kaufen, die ich mir wünschte.

Marieke, Sie wuchsen umgeben von Musik auf. Macht es einen Unterschied in der Persönlichkeit, wenn man nicht so viel kämpfen muss? Oder gibt es andere Kämpfe?

Marieke Koopman: Von Anfang hatte ich das Gefühl, dass die Bühne meins ist, von Anfang an fühlte ich mich dort wie nach Hause zu kommen, und ich bin meinen Eltern sehr dankbar für alle Möglichkeiten, die sie mir gaben.

Ton Koopman: Ich erinnere mich, wenn ich dich sonntags zu deinen kleinen Vorstellungen in Amsterdam brachte und ich dich fragte, ob du aufgeregt bist. Und du sagtest mir nur, wie herrlich es sei, auf die Bühne gehen zu dürfen.

Hatte Ihre Mutter, die Cembalistin Tini Mathot, eine andere Meinung über Ihre musikalischen Ambitionen?

Marieke Koopman: Beide waren begeistert, dass ich Musik liebte, sie waren aber auch sehr direkt zu mir und sprachen über die Schwierigkeiten einer Musikerlaufbahn. Es würde mich sehr viel Energie kosten, man müsse viel Arbeit hineinstecken und man müsse wirklich davon überzeugt sein. Ich habe aber auch einen Master in Pädagogik und eine Ausbildung im klassischen Gesang am Konservatorium in Den Haag gemacht, merkte aber bald, dass dies doch nicht meine Musikrichtung ist.

Wie war die Reaktion des Vaters, als es nicht in Richtung Johann Sebastian Bach ging?

Marieke Koopman: Ich glaube, mein Vater war am Anfang traurig, aber ab einem gewissen Moment sah er auch, wie viel Energie ich in all das steckte, und da fanden wir uns wieder, auch wenn es unterschiedliche Typen von Musik sind.

Warum sind so viele Jazzmusiker fasziniert von Bach? Lennie Tristano, Dave Brubeck, Oscar Peterson, Miles Davis… Einige nannten ihre Stücke sogar „Fugue“, „Invention“, „Canon“ oder „Suite“.

Ton Koopman: Wer ist nicht fasziniert von Bach? Er ist der größte Komponist, den es überhaupt gibt! In Bach gibt es Rhythmus, Freiheit, einen motorischen Puls. Das sind alles Elemente, die auch im Jazz wichtig sind. Dann die Ad-libitum-Instrumentierung, die Variationstechniken, die Generalbass-Notation mit improvisierender Ausgestaltung … Da gibt es viele Parallelen. Viele Leute meinen allerdings, man müsse Bach verjazzen. Aber das ist nicht meine Meinung. Bach braucht das nicht. Bach setzt sich durch, Bach inspiriert, besonders durch seine Rhythmik aber auch seine Freiheit, ohne die es keine Barockmusik gibt.

Apropos Freiheit. Marieke, Sie sagen, dass Sie im Jazz eine Art Freiheit finden, die Sie in der Klassik nicht gefunden haben. Können Sie das definieren?

Marieke Koopman: Trotz meines barocken Hintergrunds denke ich, dass Klassik-Interpreten die beste Version von dem finden wollen, was schon aufgeschrieben ist. Sie mögen zwar improvisieren, aber dies eben nur über eine notierte Musik. Der Jazz jedoch geht einen Schritt weiter. Ich singe das, was mein Herz singen möchte.

Ton, könnten Sie Ihren Begriff von musikalischer Freiheit in der Musik von Bach definieren?

Ton Koopman: Christoph Wolff hat mir mal über unsere Aufnahme der Bach-Kantaten gesagt: Dein Zentrum ist das Continuo und somit das Fundament der Musik. Man höre sofort, dass ich es sei, weil ich nicht an einem Punkt verharre, sondern weitergehe. Das ist meine Freiheit, etwas subtiler, aber deswegen nicht kleiner. Es ist ein Lesen zwischen den Zeilen. Das Ganze ist etwas komplizierter, vor allen Dingen dann, wenn die Sänger noch dazukommen. Meine Frau, die in den Musikproduktionen mit dem Amsterdam Baroque Orchestra & Choir die Aufnahmeleitung hat, kann oft die nicht schneiden, weil ich das alles versaue beziehungsweise mir die Freiheit nehme, einfach mit meiner Stimme weiterzugehen, ohne auf andere zu achten.

Marieke Koopman: Doch genau dieser Drive ist es, der Jazz und Barock verbindet! Dieser Puls, der durch die Matthäus-Passion führt – dam da dam … Das muss man fühlen.

Ton Koopman: Genau! (singt mit) Dieses Pochen am Anfang ist wie ein Herzschlag, ein Tanz. Wir haben eine Matthäus-Passion für Kinder gemacht mit zehn Minuten Text. Marieke war die Tochter von Pilatus, obwohl niemand weiß, ob es eine Tochter von Pilatus gab. Für ihre erste CD „Chapter One“ mit Jazz-Musik aus der Swing-Ära, entdeckte sie, dass auch das Cembalo eine Rolle spielte. Und so überzeugte sie mich davon, sie bei dem Gershwin Lied zu begleiten. Wir sind sehr glücklich über das Resultat.

Ton, Sie erlebten am eigenen Leibe die Veränderungen des Musikbetriebs, den Untergang vieler Plattenfirmen. Sie gründeten ein eigenes Label, um das Bach-Kantaten-Werk zu Ende zu bringen. Welchen Rat können Sie Ihrer Tochter geben?

Ton Koopman: Qualität! Unabhängig davon, ob Jazz oder Bach. Qualität überlebt. Davon bin ich überzeugt.

Marieke Koopman: Man muss die eigene Stimme finden, egal welche Art von Musik man macht. Tempo, Dynamik, Rhythmus, Atmung: Ich muss das alles in meiner Stimme finden, was mein Vater in seinem Instrument gefunden hat, oder bei den Chören, die er dirigiert.

Zuletzt ein Spruch von Molière: ‚Die Tochter muss gehorsam ihrem Vater sein, Und gäbe er ihr selbst einen Affen zum Gemahl.

(Lachen) Ton Koopman: Ja, das war im 17. Jahrhundert. Wie gut, Marieke, dass wir da nicht leben mussten.

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