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Interview Martin Grubinger

Ein Moment der Schwerelosigkeit

Warum der Schlagzeuger Martin Grubinger bewusst bis an seine Grenzen und darüber hinaus geht – und immer noch gerne ein Landei ist

vonFriederike Holm,

Martin Grubinger hat etwas geschafft, was sonst kaum jemand von sich behaupten kann: Er ist der einzig weltweit bekannte Solist auf seinem Instrument. Nicht nur der einzige, sondern auch der erste – und hat das Schlagzeug als Soloinstrument im Konzertsaal etabliert. Entsprechend voll ist sein Kalender. Es ist nicht leicht, einen Termin mit ihm zu bekommen – einen, den er auch einhält: Das Interview startet mit etwas Verspätung, da der umtriebige Musiker beim Üben die Zeit aus den Augen verlor. Aber im Gespräch zeigt sich schnell: Er ist nicht nur unglaublich ehrgeizig, sondern bei allem Erfolg auch ganz bodenständig geblieben.

Was passiert da beim Spielen, dass Sie darüber die Zeit vergessen?

Das ist ein Flow-Effekt. Man taucht so ein, dass man nichts mehr um sich herum wahrnimmt – außer der Musik, dem Instrument. Das ist so ein besonderer Moment der Schwerelosigkeit. Man spürt dann keine Anstrengungen mehr oder technische Schwierigkeiten.

Ein Blick zurück: Wie ist denn das „Ösi-Landei“, wie Sie sich selbst mal genannt haben, überhaupt zum Schlagzeug gekommen?

Bei mir lag das in der Familie, mein Vater ist auch Schlagzeuger. Die meisten Schlagzeuger haben ja auf Kochtöpfen angefangen, bei mir war das Instrumentarium schon da – und das hat mich schon mit drei Jahren fasziniert. Bei uns war immer Musik im Hause, von früh bis spät. Die Bruckner-Sinfonie zum Zähneputzen, Mozart zum Mittag.

Gab es da Erwartungen von Ihren Eltern an Sie, auch Musiker zu werden?

Erwartungen in dem Sinne, dass sie Druck ausgeübt hätten, waren das nicht. Aber mein Vater hat schon gesagt: Wenn, dann machen wir das mit einer Regelmäßigkeit, man könnte auch sagen: Disziplin. Ich denke, jeder Musiker, der behauptet, er hätte immer nur aus Lust und Laune geübt, sagt nicht ganz die Wahrheit. Disziplin hieß für mich: halbe Stunde Schlagzeug spielen, halbe Stunde Fußball, halbe Stunde Zeit auf dem Bauernhof und wieder halbe Stunde Schlagzeug. Und mein Vater hat erwartet, dass ich mit Konzentration und mit einem Ziel übe. Ich finde das richtig. Ich halte nichts davon zu sagen: Wir lassen einfach alles nur passieren. Da braucht es schon früh eine gewisse Ernsthaftigkeit.

Und wann kam die Entscheidung: Ich werde Schlagzeuger?

Schwer zu sagen. Ich wollte am Anfang eigentlich Drummer in einer Band werden, das fand ich cool. Und dann habe ich im Jungendorchester Bruckner an der Pauke gespielt. Ich glaube, so zwischen 10 und 14 habe ich gemerkt, dass ich in diese Richtung gehen will. Mein Ziel war dann, Orchestermusiker zu werden – Schlagzeug-Solisten gab es ja keine. Und dann sind wir da so reingerutscht.

Wieso wir?

Naja, Schlagzeug spielen ist nie nur die Tat eines einzelnen. Man braucht immer logistische Unterstützung: Instrumente kaufen, transportieren und vieles mehr. Und mein Vater hat mir auch bei der Literatur geholfen – es gab ja praktisch keine. Es braucht jemanden, der sagt: Wir müssen ein Stück in Auftrag geben. Solche Ideen hat man natürlich nicht als 12- oder 13-Jähriger. Insofern hätte ich das alles ohne die Unterstützung meiner Eltern nie machen können.

Auch wenn Ihre Eltern Sie bestärkt haben – hat es auch Zweifel gegeben?

Ja, viele. Mit 15 habe ich an einem Wettbewerb teilgenommen und zwar gemerkt: Vielleicht kann ich tatsächlich eine Karriere als Solist machen. Aber dann bekam ich keine Auftritte. Die Veranstalter sagten: Schlagzeug? Dafür gibt es kein Publikum, kein Repertoire, keine bekannten Komponisten, die sich gut auf einem Programm machen. Ich habe monatelang geübt wie ein Verrückter, aber hatte keine Konzerte. Da hatte ich große Zweifel, ob das wirklich funktionieren wird: Schlagzeug-Solist zu werden.

Und warum sind Sie am Ball geblieben?

Da gab es schon ein paar Strohhalme (lacht). Zum Beispiel eine Einladung in den Musikverein Wien, wo ich in einem neuen Saal vor 25 Leuten gespielt habe – der Großteil waren meine Verwandten. Oder auch mal Amateurorchester, die mich eingeladen haben.

Sie erwähnten schon den Bauernhof, auf dem Sie aufgewachsen sind. Inwiefern prägt Sie diese Heimat noch?

Sehr stark. Ich hab mal gedacht, ich will auch mal in einer pulsierenden Großstadt wohnen, aber ich habe festgestellt, dass ich nur auf dem Land leben kann. Ich brauche einfach diesen Fokus auf die Arbeit. Und ich brauche die Natur zum Sporteln. Morgens aufstehen, auf die Berge gucken, frische Luft, Kühe auf der Weide – ja, ich bin wirklich Landei aus Überzeugung.

Nun bringt der Beruf aber ja mit sich, ständig in Großstädten zu sein. Wie gehen Sie damit um?

Das ist gar nicht so leicht für mich. Der Lärm in der Stadt – und ich bin ja als Schlagzeuger eigentlich Lautstärke gewohnt – das setzt mich richtig unter Stress. Ich nehme immer den ersten Flieger um sechs Uhr früh zurück. Es gibt ja Künstler, die lieber mal ausschlafen und dann nach Hause fahren – ich möchte so schnell wie möglich wieder daheim sein.

Wenn unterwegs zu sein und der Aufenthalt in Städten Ihnen eigentlich so wenig entspricht – warum machen Sie das alles? 

Ich liebe die Grenzerfahrung: das Maximum aus sich heraus zu holen. Es gibt nichts Schöneres, als nach einer 15 Stunden-Probe ins Bett zu fallen. Und: Schlagzeug spielen ist meine beste Möglichkeit, mich emotional auszudrücken. Und dabei will ich immer herausfinden: Was steckt in mir und im Instrument?

Auch um sich das selbst zu beweisen?

Ja, da bin ich ganz ehrlich. (lacht) Zu beweisen, dass Dinge, die unmöglich schienen, doch möglich sind.

Apropos Grenzerfahrung: Hat Ihre Familie manchmal Angst um Sie?

Ja, meine Frau und meine Mutter – wenn es um die „Marathon“-Konzerte geht, bei denen ich sechs Schlagzeugkonzerte an einem Abend spiele. Bis jetzt war ich danach immer wochenlang krank. Ich bereite mich auf diese Konzerte mit einem besonderen Trainingsprogramm von einem Sportmediziner vor, sonst schafft man das nicht. Meine Mutter fragt mich immer: Warum tust Du Dir das an? Ich kann nicht anders, das ist wie eine Droge: Das ist so ein tolles Erlebnis, wenn man einem Publikum an einem Abend eine solche Bandbreite an Repertoire aus den unterschiedlichsten Kontexten vorstellen kann.

Drei Werke an einem Abend würden es ja auch tun …

Aber ich brauche die sechs … vielleicht auch für eine innere Bestätigung, dass ich es mit 30 noch immer noch so gut kann wie mit 24 …

Was ja keine so große Altersspanne ist …

Naja, bei einem Schlagzeuger tickt auch die Uhr … Aber es ist schon so, dass meine Mutter eigentlich gegen dieses Projekt ist. Und ihre Stimme hat ein großes Gewicht: Sie ist die Planerin, sie hat alle Konzerte im Überblick – ohne sie ginge gar nichts. Aber in diesem Punkt muss ich ihr widersprechen. (lacht)

Marathon-Konzerte, Grenzerfahrungen – Sie verlangen sich viel ab. Und trotzdem wirken Sie so gelassen dabei.

Das war nicht immer so. Ich war lange auch sehr verbissen. Aber das hat sich verändert – durch meine Familie, meinen Sohn bin ich gelassener geworden. Und es haben sich schon viele Träume erfüllt – wenn ich zum Beispiel an die Komponisten, Orchester und Dirigenten denke, mit denen ich zusammenarbeite. Daher habe ich irgendwann erkannt: Es gibt wohl keinen Grund hektisch zu sein. Aber meine Disziplin ist die gleiche geblieben.

Bei allen erfüllten Träumen: Sind dabei andere Aspekte in Ihrem Leben zu kurz gekommen?

Ja, natürlich wünsche ich mir, mehr Zeit für meinen Sohn zu haben. Ich war nicht dabei, als er das erste Mal gelaufen ist oder die ersten Worte gesagt hat. Überhaupt soziale Kontakte: Auch Freundschaften kommen oft zu kurz. Das sind eben nicht viele Freunde, die Verständnis haben für das, was ich mache.

Aber offensichtlich überwiegt das Positive.

Auf jeden Fall: Ich lebe meinen Traum! Ich wundere mich selber manchmal. Das hat sich schon alles sehr glücklich gefügt.

Und was ist noch unerfüllt geblieben?

Es gibt ein paar Komponisten, die ich schon seit Jahren umgarne und hoffe, dass sie etwas für mich schreiben werden, Esa-Pekka Salonen zum Beispiel. Und ich würde mir wünschen, dass es insgesamt noch viel mehr Schlagzeug-Solisten gibt. Als Konzertbesucher haben Sie in der Regel ja gar keinen Vergleich zwischen verschiedenen Interpretationen. Es wäre großartig, wenn es in einer Saison nicht nur einen Schlagzeuger so als Exoten im Programm gäbe. Und wenn noch mehr junge Leute Schlagzeug spielen lernen und so auch mehr Jugendliche für zeitgenössische Musik begeistert würden.

Was können Sie selbst dafür tun?

Ich gebe im Konzert alles – in der Hoffnung, dass es junge Leute gibt, die hinterher sagen: Das finde ich toll, das will ich auch machen. Zum anderen gebe ich auch Masterclasses und versuche, da junge Leute zu motivieren. Auf jeden Fall glaube ich, dass der Zug nicht mehr aufzuhalten ist – das Schlagzeug ist nicht mehr aus dem Konzertsaal zu verbannen. (lacht)

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