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Interview Martin Stadtfeld

„Ich empfinde Popmusik schlicht als unerträglich“

Martin Stadtfeld polarisiert – in der Musik wie in seinem Auftritt. Sein Bach-Spiel? Umstritten. Sein Wertekanon? Konservativ. Gedanken eines unbequemen Künstlers

vonChristoph Forsthoff,

Erfolg kann auch eine Last sein. Als Martin Stadtfeld 2002 als erster deutscher Pianist den Internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig gewann, schlugen die Wellen der Begeisterung hoch, schwärmten Medien und Kritiker gar von einem neuen Glenn Gould. Zwölf Jahre sind seither vergangen, längst hat der gebürtige Koblenzer sich auch mit Rachmaninow, Beethoven oder den deutschen Romantikern auseinandergesetzt, doch der Name des mittlerweile 33-Jährigen steht in erster Linie noch immer für seine Bach-Interpretationen.

„Musik spricht für sich selbst – über Musik zu sprechen, ist immer schwierig“, haben Sie selbst festgestellt…

Ja, letztlich muss die Musik für sich sprechen, aber ich spreche auch gern über Musik. Ich finde es wichtig, die eigenen Gedanken zur Musik auch zu kommunizieren und deren Enträtselung nicht gänzlich dem Zuhörer zu überlassen.

Es ist also nicht vergebens, wenn wir jetzt versuchen, über Musik zu sprechen?

Nein, das ist nicht schlimm.

Nun ist es zweifellos schwer, über Musik zu sprechen – noch schwieriger ist es vielleicht, darüber zu schreiben…

Ja, das finde ich auch ungeheuer schwierig. Ich habe es immer mal wieder erwogen, aber das wird mir dann zu tüftelig.

Warum suchen die Menschen dennoch immer wieder nach Worten für die Musik?

Die meisten Künstler haben das Bedürfnis, die eigene Auseinandersetzung mit der Musik zu erklären – auch um Missverständnissen vorzubeugen und ihre Interpretationen verstehbarer zu machen. Hinzu kommt das emotionale Bedürfnis: Wir wollen in Worte fassen, warum uns Musik bewegt – auch wenn wir da im Endeffekt immer wieder ins Leere laufen, gerade bei der Musik von Bach, die sich einfach nicht in Worte fassen lässt. Und trotzdem hat man das Bedürfnis, es tun zu müssen (lacht).

Wenn für Musik letztlich doch die Worte fehlen, sind dann Konzertkritiken nur der vergebliche Versuch, Gehörtes zu verbalisieren?

Auch Kritiken versuchen ja für Musik zu begeistern, natürlich schon in dem Wissen, dass sich ein Konzert nicht komplett beschreiben lässt. Trotzdem sind sie wichtig, um die Brücke zu schlagen – aber irgendwo hören die Worte eben einfach auf.

Versuchen wir es trotzdem auf ein Neues – was macht die Musik von Bach so einzigartig?

Diese Frage begleitet mich seit über einem Jahrzehnt, ohne dass ich eine Antwort dafür hätte, die sich in wenigen Sätzen zusammenfassen ließe. Was ich festgestellt habe: Die Antwort verändert sich ständig. Denn Bachs Musik ist ein Spiegel meiner selbst, meiner Lebensphasen und des Stadiums der Entwicklung, in dem ich gerade bin.

Und welche Lebensphase spiegelt sich dann derzeit in Ihrer Antwort wider?

Aktuell hat Bachs Musik für mich etwas ungeheuer Tröstliches. Sie nimmt uns Menschen, die wir ja auch immer etwas Verzweifeltes mit uns herumtragen, an die Hand. Bei vielen Komponisten ist es ja so, dass wir die Emotionen, die wir in uns fühlen, auch in der Musik wiederfinden – das heißt, wir fühlen uns verstanden. Bei Bach geht es eine Stufe weiter: Er drückt nicht nur wie etwa Mahler Verzweiflung aus, sondern er fühlt mit uns und tröstet uns tatsächlich auch in unserem Schmerz – und das ist schon einzigartig.

Vom Geist zum Geld: Verkaufen sich Ihre Bach-Alben besser als die mit Werken anderer Komponisten? 

Sie verkaufen sich schon am besten – allerdings führt das jetzt nicht dazu, dass das Label sagen würde, ich solle nun immer Bach spielen. Denn solch einer selbst gewählten Einengung wäre dann ja auf Dauer auch kein Erfolg in puncto Verkaufszahlen bestimmt.

Dennoch werden Sie auch von Konzertveranstaltern bevorzugt mit Bach gebucht – wie groß ist denn da Ihre Entscheidungsfreiheit?

Natürlich freuen sich die Veranstalter, wenn ich etwa im Klavierrecital auch ein Stück von Bach spiele. Aber auch mir fehlt eigentlich etwas, wenn gar kein Stück von Bach dabei ist, und sei es die Zugabe: Denn Bach ist für mich der Ausgangspunkt für alle Musik, die danach kommt, denn bei jedem Komponisten gibt es einen Bezug zu Bach.

Einen Bezug, den Sie seit einigen Jahren auch verstärkt bei Schulbesuchen an Kinder und Jugendliche weiterzugeben versuchen – auf welche Grenzen stoßen Sie dabei? 

Bei mir hat sich der Eindruck verfestigt, dass in puncto Musikunterricht an den Schulen viel zu wenig oder sogar gar nichts mehr passiert. Das finde ich persönlich bedrückend, aber auch aus gesellschaftlicher Sicht problematisch, denn wir sind auf dem besten Wege, dass das Gerede von unserem kulturellen Erbe oder dem Land der Dichter und Denker eines Tages nur noch Worthülsen ohne Inhalte sein könnten.

Ist das nicht zu viel des Kulturpessimismus – schließlich geht es ja „nur“ um Musik…

Nein, es geht um die Vermittlung von Kultur! Wenn man sich die Musik des späten Mozart oder auch von Beethoven anschaut, dann hat diese ja oft auch den Aspekt, den Menschen zu befreien: ihm als Individuum das Gefühl zu geben, dass er jemand mit einer eigenen Seele ist und einem eigenen Anspruch auf Würde und Selbstverwirklichung. Und ich finde es einfach skandalös, wenn dieses wesentliche kulturelle Erbe in den Schulen nicht mehr oder zumindest nicht mehr ausreichend vermittelt wird.

Woran liegt das?

An einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Geringschätzung seitens der verantwortlichen Politiker. Jeder Mensch, zu dessen Leben die Musik gehört, weiß, was diese bedeutet – wem sie indes vollkommen fremd ist, der kann diese Bedeutung natürlich noch nicht einmal ahnen und wird auch keinen Wert darauf legen, dass Musik ein wesentlicher Teil der Kinder- und Jugenderziehung ist.

Weniger skeptische Menschen halten dem entgegen, diese Abkehr von der Klassik sei nicht so dramatisch, denn heute gebe es die Rock- und die Popmusik – und die sei eben die Musik unserer Zeit.

Sicher geht es letztlich darum, was Musik dem Einzelnen vermittelt. Andererseits haben wir es etwa bei Beethoven mit einer großen, tief empfindenden Persönlichkeit zu tun, die zwar einerseits ihre Seele in ihrer Musik spiegelt, zugleich aber dies in ein Meisterwerk bringt. Und diese Verschmelzung von individuell empfundener Emotion und Form, dieses Ringen mit den Ideen macht doch erst das Meisterwerk aus.

Auch Popkünstler nehmen für sich in Anspruch, ihre Seele in ihrer Musik offenzulegen.

Der überwiegende Teil der heutigen Popularmusik ist eher eine gecastete Musik, eine Industriemusik, die einfach nur darauf abzielt, den vermeintlichen Massengeschmack zu treffen. Ohne Frage gibt es da Ausnahmen, aber das Gros ist dahingehend konzipiert und nicht von großen Persönlichkeiten, die sich mit ihrer Musik entäußern – das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

Können Sie persönlich etwas mit der Popmusik unserer Zeit anfangen?

Nein. Im Auto höre ich immer Radio und habe festgestellt, dass ich mit dieser Mischung, diesem hilflosen Versuch, auf den Massengeschmack zu zielen und diesen auf primitivste Art zu befriedigen, nichts mehr anfangen kann. Ja, in großen Teilen empfinde ich das schlicht als unerträglich.

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