Dieses genialische Werk des zwanzigjährigen Brahms habe ich bereits im Studium kennen- und lieben gelernt, vor allem wegen der bezwingenden Mischung aus Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit, aus Strenge und Wildheit. Hier offenbart er eine Geschichte, die wie eine Prophezeiung sein privates Leben vorhersieht.
Der zweite Satz, ein Andante, ist ein romantisches, mitunter hocherotisches Notturno, unter anderem auch durch die fallenden Terzen. Nach dem dritten Satz wird diese wunderbare Liebesgeschichte im Intermezzo als vierten Satz, zunichte gemacht: Es werden die Terzen aus dem Andante zitiert, aber die linke Hand antwortet nun mit einem Trauermarsch-Rhythmus, und es gehört nicht viel Fantasie dazu zu analysieren, dass es mit der Liebe nun aus und vorbei ist. Doch Johannes Brahms übersteigert die Sonate noch und fügt einen fünften Satz an, ein Rondo, und jetzt passiert etwas sehr Ungewöhnliches: Das erste Zwischenspiel zitiert ganz klar f-a-e, ein Akronym seines künftigen Lebensmottos: frei aber einsam.
Ein Meisterwerk: Brahms Klaviersonate Nr. 3
Mit dieser Sonate ist Brahms ein einzigartiges Meisterwerk gelungen, was meiner Meinung nach zu den bedeutendsten Klavierwerken des 19. Jahrunderts gehört, ein Meisterwerk, das mich zutiefst beglückt. Im Vergleich zu früher denke ich, dass ich jetzt noch einen differenzierteren Blick auf die Dinge habe, denn je länger man sich mit Brahms beschäftigt, desto mehr kommt man aus dem Staunen, wie dicht und effizient sie herausgeabeitet ist, nicht mehr heraus.