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Interview Max Emanuel Cenčić

„An großen Ambitionen hat es mir nie gemangelt“

Countertenor Max Emanuel Cenčić über Talent, den Reichtum barocker Opern und seine Arbeit als Regisseur.

vonChristian Schmidt,

Schon als kleiner Junge trat Max Emanuel Cenčić mit der Arie der Königin der Nacht im Fernsehen auf. Trotzdem musste der Wunsch, Sänger zu werden, erst noch in ihm reifen. Heute ist der 42-jährige Countertenor zwischen Madrid, Paris und Wien zu Hause. Im Sommer ist er in den Operngalas zur Eröffnung und zum Abschluss der Internationalen Gluck-Festspiele zu erleben, wenn er zusammen mit Karina Gauvin unter dem Titel „Große Gefühle, Glück und Verhängnis“ in den Zaubergarten Gluckscher Werke einlädt.

Sie sind schon als Sechsjähriger aufgetreten. Waren Sie ein Wunderkind?

Max Emanuel Cenčić: Ich habe das damals nicht so empfunden, aber die Leute wollten es so sehen. Für mich war das eher normal. Die Wiener Sängerknaben haben mich geprägt, Teamarbeit und Disziplin zu erlernen.

Sie bekamen schnell große Soli und setzten Ihre Gesangskarriere schließlich ohne Studium fort.

Cenčić: Es gibt viele dumme Menschen, die mit Auszeichnung abschließen, das sagt ja nicht viel aus. Ich habe mich für unterschiedliche Dinge interessiert, so habe ich etwa Internationale Wissenschaften, Geschichte und Musikwissenschaft studiert.

Dem ging voraus, dass Sie mit neunzehn Jahren innehielten, um zu prüfen, ob der Gesang wirklich das Richtige ist.

Cenčić: Ich hatte bis dahin mehr als 800 Auftritte absolviert, dank meiner Kopfstimme konnte ich als Sopran weitersingen. Aber in dem Alter denkt man natürlich darüber nach, ob das für ein Leben trägt. In der Jugend darf man sich doch wohl erlauben, andere Dinge auszuprobieren! Das war eine interessante Emanzipationszeit, die verhindert hat, dass ich im Gesang als Fachidiot hängen bleibe. Über Umwege kam ich dann aber wieder zur Musik zurück.

Wie kam das?

Cenčić: Die Pause, bevor ich wieder vorgesungen habe, tat mir sehr gut. Talent bekommt man zwar in die Wiege gelegt, aber man muss daran arbeiten. Einerseits ist es eine Gabe, andererseits ein Fluch. Talent lässt einen nicht los. Jetzt bin ich alt genug und habe die nötige Reife erreicht, damit umzugehen zu lernen.

Ist das Singen für Sie Arbeit oder Berufung?

Cenčić: Beides. Natürlich braucht man eine positive Einstellung dazu, damit das Glück, das man dabei empfindet, auch auf das Publikum übertragen werden kann.

Sie stehen seit 37 Jahren auf der Bühne. Wie hat sich Ihre Motivation seitdem entwickelt?

Cenčić: Darüber habe ich als Kind nicht nachgedacht. Erst in der Pubertät musste ich das hinterfragen. Heute kann ich selbst entscheiden, welche Projekte mich interessieren. Was mich nicht anspricht, mache ich nicht. Das ist sehr wichtig: das zu tun, womit man sich identifizieren kann, weil nur das glaubwürdig ist. Ich habe mich zum Beispiel rigoros auf die Musik des 18. Jahrhunderts spezialisiert, die italienische Opera seria. Ab und zu schweife ich aus zu Rossini oder Offenbach.

Trotzdem haben Sie auch in Aribert Reimanns „Medea“ gesungen. Was halten Sie von modernen Partien für Countertenor?

Cenčić: Ich singe sie nicht gerne, weil ich das nicht fühle. Für mich muss es stimmig sein; als Künstler sollte man überzeugen und sich mit dem Stück wohlfühlen. Mit Reimann habe ich zwar gerne zusammengearbeitet, aber das war meine einzige zeitgenössische Oper. Dabei belasse ich es.

Max Emanuel Cenčić
Max Emanuel Cenčić

Das heißt, dass Ihr künstlerisches Spektrum vollständig durch die Opera seria abgebildet ist?

Cenčić: In den nächsten Jahren bereite ich drei neue Opern vor und starte im Herbst 2020 ein eigenes Festival in Deutschland mit zwei szenischen Barockopernproduktionen und einer Vielzahl von Konzerten – das ist leider noch nicht spruchreif. Aber damit bin ich voll ausgelastet.

Sie haben einmal gesagt, die Oper sei für Sie das Spiegelbild der Welt. Was genau meinen Sie damit?

Cenčić: Auch wenn die Opern, die ich mache, etwa 250 Jahre alt sind, verhandeln sie Wesensarten des Menschen, die sich – im Unterschied zu den Normen – nicht verändert haben. Insofern spiegelt die Bühne die Welt, weil wir im Theater eine massenpsychologische Katharsis erleben. Dafür gehen die Menschen in die Oper, ins Kino, ins Theater. Sie möchten sich mit den Charakteren und den Gefühlen identifizieren und darin wiederfinden. Dieses Grundprinzip begründet seit jeher die Attraktivität des darstellenden Spiels im Allgemeinen.

Ist das dann der Grund, weshalb Sie auch als Regisseur tätig sind?

Cenčić: Das ist für mich ein zusätzliches künstlerisches Ventil. Ich habe vor vier Jahren erstmals inszeniert und dabei entdeckt, dass diese Art der Expression ein wichtiger Teil meiner künstlerischen Persönlichkeit ist. Weil ich mich damit so gut gefühlt und sehr viel von meinen Kollegen gelernt habe, möchte ich diese Arbeit nicht mehr missen.

Wie treten Sie als Regisseur an ein Stück heran?

Cenčić: Ich gehe immer von der Geschichte aus, die ich mit Mehrwert fürs Publikum erzählen will. Sie muss greifbar sein und darf niemanden kalt lassen.

Demzufolge sind Sie dabei auch nicht auf das 18. Jahrhundert beschränkt?

Cenčić: Ich habe erst kürzlich eine Oper von Rossini inszeniert, das Repertoire des 19. Jahrhunderts interessiert mich als Regisseur sehr.

Im Unterschied dazu findet sich die Barockoper noch immer nur sporadisch im festen Repertoire. Wie groß ist ihr Potenzial?

Cenčić: Sie werden überrascht sein, wie viele Schätze wir noch heben! In vielerlei Hinsicht stellen vor allem die Besetzungen heute noch ein Manko dar. Setzen Sie eine Mozartoper aufs Programm, gibt es global genügend Referenzen, an denen sich die Sänger messen können. Im barocken Repertoire sind diese Kenntnisse begrenzt. Deswegen habe ich auch versucht, in den letzten zehn Jahren Produktionen zu machen, die als Referenz dienen können. Mein Festival soll künftig diese Standards setzen.

Das sind große Ambitionen. Sitzen Sie dafür in Bibliotheken und graben unbekannte Werke aus?

Cenčić: An großen Ambitionen hat es mir nie gemangelt. Wir werden in jedem Jahr Opern herausbringen, die seit ihrer Entstehung nicht mehr aufgeführt worden sind. Dafür müssen Sie nicht mehr in staubigen Bibliotheken schnüffeln, denn viele haben ihre Sammlungen längst digitalisiert. Das erleichtert natürlich auch die wissenschaftliche Aufbereitung.

Sie suchen die Werke selbst aus?

Cenčić: Man muss delegieren können. Mit meinen Partien, Inszenierungen und meiner Produktionsgesellschaft habe ich genug zu tun, da wüsste ich nicht, wann ich mich noch mit Notenumschriften befassen sollte.

Mir ging es bei dieser Frage eher darum, nach welchen Kriterien Sie die Stücke auswählen.

Cenčić: Da orientiere ich mich an den qualitativ hochwertigen Komponisten, in deren Umfeld wir dann fündig werden. Zum Beispiel schätze ich Johann Adolf Hasse. Leider wurde sein Opus niemals gedruckt, weil seine Manuskripte durch die Wirren des Siebenjährigen Krieges zwischen Preußen und Sachsen in seinem Dresdner Haus verbrannt sind. Die Abschriften existieren zwar, wurden aber in viele Winde zerstreut und nie komplett ediert.

Sie sind zugleich Sänger, Regisseur, Manager und Intendant, aber der Tag hat nur 24 Stunden!

Cenčić: Ich bin Generalist, und wenn etwas Spaß macht, kann das Berge versetzen. Und wenn ich mit meinem Team dazu beitragen kann, hochwertige Inhalte einem möglichst großen Publikum auch über tausende Kilometer hinweg zugänglich zu machen, dann ist das meine schönste Aufgabe.

Max Emanuel Cenčić singt Porpora:

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