Frau Hoss, „Tár“ ist bereits der dritte Film, in dem Sie mit Geige zu sehen sind. Haben Sie inzwischen eine eigene?
Nina Hoss: Leider nicht. Wobei das für mich auch wenig Sinn machen würde. Es gibt einige Aktivitäten, die man für Filmprojekte aufnimmt und sich denkt: Das gebe ich nie wieder auf. Doch am Ende fehlt die Zeit. Ich habe für einen Dreh zum Beispiel Reiten gelernt, aber wenn ich mich im echten Leben mit Pferden beschäftigen will, kann ich nicht nur einmal in drei Wochen im Stall auftauchen. Dasselbe gilt für so ein Instrument. Wenn du da nicht dranbleibst, bringt es nichts. Tatsächlich denke ich nach der dritten Geigen-Rolle: Dieses Instrument ist mir nah und ich hätte es gerne gelernt.
Haben Sie Unterricht genommen?
Hoss: Ja, bei der Geigerin Marie Kogge. Sie hat mich das erste Mal unterrichtet, als ich 2004 in der Fernsehreihe „Bloch“ eine Violinistin spielte, die tablettenabhängig war und riesige Konzerte geschmissen hat. Kogge hat mir auch für „Tár“ auf sehr intuitive und angstnehmende Weise das Instrument wieder nahegebracht – und hatte selbst dann die größte Geduld, wenn mein Spiel vermutlich ganz grausam klang. (lacht) Wobei wir tatsächlich so weit kamen, dass ich die Passagen der Mahler-Sinfonie, die im Film zu sehen sind, spielen konnte.
Ist Ihr Spiel für den Kinozuschauer dann auch zu hören?
Hoss: Nein. Das ist ein spezieller, sehr leiser Bogen, von dem man nur ein bisschen am Set gehört hat.
Haben Sie zur Vorbereitung andere Musiker beobachtet?
Hoss: Ich habe mich dieses Mal sehr viel mit der Position des Konzertmeisters beschäftigt. Mir war vorher nicht bewusst, wie wichtig diese Funktion im Orchester ist. Dass der Blick des Dirigenten immer wieder zur Ersten Geige geht, dass er Anatmer macht, dass er diesen riesigen Bienenschwarm zusammenhalten muss, auch jenseits der Bühne. Er muss Ruhe in den Klangkörper bringen, damit der Dirigent auf ein Orchester trifft, das seine Vision in die Welt transportieren kann. All das konnte ich gut bei Wolfgang Hentrich von der Dresdner Philharmonie beobachten, mit der wir geprobt und zwei Wochen gedreht haben.
Der Film wirft die Frage auf, ob Dirigenten heutzutage noch rücksichtslose Egomanen sein können. Wie ist das bei Regisseuren: Gibt es noch „Tyrannen“ am Set oder am Theater?
Hoss: Ich persönlich hatte das Glück, nie unter jemandem gespielt zu haben, der so ein Verhalten an den Tag legte, daher fällt es mir schwer, das zu beantworten. Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren etwas verändert hat, dass man vorsichtiger geworden ist und im Zweifelsfall nicht mehr weggeschaut wird. Wenn man mit so vielen Menschen arbeitet, stellt sich natürlich oft die Frage: Wo endet die künstlerische Freiheit, wo werden im kreativen Prozess persönliche Grenzen überschritten? Ein Dirigent kann ja nicht – wie ein Maler im Atelier – einfach mit seinen Werkzeugen um sich schmeißen. Gleichzeitig muss er die Musiker herausfordern. Ich habe den Eindruck, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man auch weit kommt, wenn man ohne Peitschenhiebe durch die Welt geht.
Was ist denn dran an der Devise „Druck setzt Kreativität frei“?
Hoss: Das ist schon so. Das Selbstvertrauen, welches ich heute als Schauspielerin habe, kommt sicher auch davon, dass ich ordentlich herausgefordert wurde. Zum Beispiel von meiner Mutter, die selbst Regisseurin war. Sie war klar und ohne Umschweife, was andere vielleicht manchmal als zu direkt wahrgenommen haben. Insofern erschrickt mich eine einfordernde Art heute nicht. Wenn ich weiß, ich habe es mit einem Künstler zu tun, der bedingungslos nach etwas sucht, bin ich sofort dabei und verlange keine Höflichkeiten. Nur darf es nie so weit gehen, dass Beteiligte menschlich verletzt werden, das ist inakzeptabel und macht keinen Sinn.
Gehen Sie nach der Arbeit an „Tár“ heute mit anderen Augen in ein Sinfonie-Konzert?
Hoss: Ja, tatsächlich. Ich gucke die Musiker anders an, weil ich selbst erlebt habe, wie es ist, in diesem Klangkörper zu sitzen, wie sehr man aufeinander hört und achtet und wie durch all diese individuelle Arbeit dann gemeinsam etwas ungeheuer Schönes entsteht. Ich hatte schon vorher Hochachtung vor Orchestermusikern, aber jetzt bin ich völlig verzückt.
Sie haben vielfach mit dem Regisseur Christian Petzold zusammengearbeitet – der in seinen Filmen fast nie Musik einsetzt…
Hoss: Da würde ich widersprechen. Christian arbeitet auch mit Musik, aber er setzt sie nicht ein, um den Zuschauer zu manipulieren. Er schmiert keine Streicher in den Soundtrack, um damit die großen Emotionen hervorzurufen. Musik ist in seinen Filmen oft kontrapunktisch, anstatt nur zu verstärken, was man im Bild sieht. Er denkt viel darüber nach, wie, wann und was für Klänge er einsetzt. Im Vergleich zu anderen Filmemachern mag das selten sein, aber wenn man bei Christian Musik hört, hat es auf jeden Fall einen Sinn.
Zum Schluss: Gibt es einen Musikfilm, der Sie inspiriert hat?
Hoss: Ja, der Musical-Film „Fame“ war für mich in meiner Zeit als Schauspiel-Anfängerin ganz wesentlich. Weil er mir zeigte, wie in diesem Beruf alles zusammenkommen kann: tanzen, singen, spielen. Und alles entspringt demselben Kern, dem Wunsch, eine Wahrhaftigkeit zu finden. Das hat mir viel Freude gemacht und ich konnte es damals gar nicht abwarten, selbst auf eine Schauspielschule zu kommen.