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Interview Olga Peretyatko

„Sie müssen mich stoppen, ich quatsche zu viel“

Als Karatekämpferin brachte es Olga Peretyatko einst bis zum roten Gurt – heute wird sie in aller Welt ob ihres perfekten Soprans gefeiert

vonChristoph Forsthoff,

Leicht angeschlagen klingt ihre Stimme an diesem Vormittag – zumindest nach Olga Peretyatkos Selbstdiagnose: Denn im Gespräch ist so gar kein Krankheitsanzeichen zu entdecken. Ganz im Gegenteil, die Sopranistin sprüht vor Temperament und Lebenslust und steckt mit ihrer Fröhlichkeit an. Rücksicht auf die Stimme? Kein Thema – in jeglicher Hinscht: „Immer wenn ich nach Deutschland komme, trinke ich als erstes ein dunkles Weizenbier – das ist mein absolutes Lieblingsgetränk!“

 

Sind Sie ein Star – oder eine Diva?

 

Ich bin eine Sängerin und versuche mein Bestes zu geben – wie man mich nennt, das nicht meine Sache (lacht). Mein Job ist, so gut wie möglich zu singen und meine Energie dem Publikum zu vermitteln. Eine Diva bin ich aber nicht: Ursprünglich war das ja mal ein positiv besetztes Wort, aber durch viele negative Beispiele ist es im Laufe der Zeit diskreditiert worden – insofern bin ich lieber keine Diva.

 

Fakt ist auf jeden Fall, dass Sie jeden Abend umjubelt werden. Wie groß ist da die Gefahr abzuheben?

 

Das Wichtigste ist am Boden zu bleiben. Und man muss begreifen: Es gibt immer Leute, die einen mögen und die Stimme superschön finden – und umgekehrt gibt es diejenigen, die dich hassen und deine Stimme hässlich finden. Was mit dir selbst als Person aber überhaupt nichts zu tun und was du auch nicht beeinflussen kannst.Natürlich muss man sehr viel arbeiten, um jeden Abend umjubelt zu sein: Technische Perfektion ist dabei aber nur das eine …

 

… und was ist das andere?

 

Noch viel wichtiger ist es, so viel positive Energie wie möglich in die eigene Arbeit einfließen zu lassen. Das nämlich spürt das Publikum – und eben das ist wahrscheinlich auch das Besondere, was einige können und andere nicht. Bist du aber allein auf Technisches fixiert, ist es dir nicht möglich, diesen Schritt zu gehen und über die Technik hinauszuwachsen. Wenn du aber alles gibst, dann spürt dies das Publikum – und das ist vor allem eine Frage der Konzentration. Ich habe jetzt aber vergessen, was die ursprüngliche Frage war: Sie müssen mich einfach stoppen, ich quatsche zu viel …

 

… oh nein, ich lausche Ihnen gern – Sie sehen also keine Gefahr abzuheben?

 

Nein, denn ich bin meine beste und schlimmste Kritikerin. Vom Publikum bekomme ich alle möglichen Komplimente – davon schiebe ich erst einmal die Hälfte weg, denn ich weiß, wo ich gut und wo ich schlecht war. Auch wenn du schon berühmt bist, ist es sehr wichtig, am Boden zu bleiben, um sich selbst real wahrzunehmen: Man darf nie aufhören zu lernen.

 

Wenn Sie selbst Ihre schärfste Kritikerin sind, was sehen Sie denn bei sich besonders kritisch?

 

Wenn ich etwa auf der Bühne nicht konzentriert bin! Das ist für mich immer noch ein Rätsel: Ich bereite mich super vor wie immer, doch dann komme ich auf die Bühne und auf einmal schießen mir während des Singens blöde Fragen oder Gedanken durch den Kopf. Das macht mich wirklich wahnsinnig, doch ich habe noch immer nicht ergründen können, warum ich ab und zu völlig konzentriert bin und manchmal einfach zerstreut. Zu 90 oder 95 Prozent schaffe ich das allerdings schon mit der Konzentration.

 

Was ist Ihr Rezept dafür?

 

Ich bevorzuge es, vor der Vorstellung überhaupt nicht zu reden – aber nicht weil es den Stimmbändern schlecht tut: Das ist Blödsinn. Nein, einfach um die Energie zu bündeln. Wenn du nämlich zu viel quatschst, dann raubt dir das die Energie.

 

Worauf achten Sie sonst noch hinsichtlich Ihrer Stimme?

 

Vor allem jenseits der Bühne nicht zu viel zu singen. Natürlich habe ich immer viel zu lernen an neuen Rollen, aber wenn zwischen den Vorstellungen nur ein oder zwei Tage liegen, dann muss ich schweigen und lerne stumm. Denn es ist superwichtig, sich zu erholen – und ich muss schlafen vor der Vorstellung: definitiv! (lacht)

 

Mehr nicht?

 

Ansonsten kannst du alles machen: Schließlich musst du auch leben. Es gibt einige Kollegen, die kohlesäurehaltige Getränke meiden oder kein Fleisch essen, kein Bier und keinen Wein zu sich nehmen – aus meiner Sicht ist alles möglich, solange man es nicht übertreibt. Denn das gehört alles zum Leben und man muss das Leben auch genießen können. Ich auf jeden Fall trage nicht 24 Stunden am Tag einen Schal und Klimaanlagen stören mich auch nicht weiter – sagen wir es so: Da bin ich keine normale Klischee-Opernsängerin.

 

Was charakterisiert denn eine Klischee-Opernsängerin?

 

Sie spricht vor der Vorstellung nicht, schreibt stattdessen ihre Worte auf kleine Kärtchen, trägt ständig einen Schal und wenn jemand niest, dann entfernt sie sich schnell aus diesem Raum. Und natürlich trinkt sie keinen Alkohol und isst keine Nüsse: Das ist manchmal schon krank. Ich ziehe es vor, über all das nicht nachzudenken – das macht das Sängerleben sehr viel einfacher.

 

Und offenbar auch erfolgreich, denn Sie haben in den letzten Jahren richtig Karriere gemacht.

 

Eigentlich mache ich alles so, wie ich es schon immer gemacht habe. Ich versuche mein Bestes zu geben, immer vorbereitet sowie nett zu Kollegen, Dirigenten und anderen Mitwirkenden zu sein. Und in Verbindung mit guten Kritiken, guter Gesundheit und wachem Verstand kann diese Karriere dann gern noch lange dauern … (lacht)

 

Also doch Karriere …

 

Nein, Karriere mache ich nicht: Es ist ein Beruf wie alle anderen – vielleicht ein bisschen anders, eigenartig und manchmal auch komisch, aber es ist ein Job.

 

Trotz Ihres Understatements werden Sie gern als Netrebko-Nachfolgerin tituliert – gefällt Ihnen das?

 

Menschen werden gern mit anderen Menschen verglichen: Eine Schauspielerin etwa mit Audrey Hepburn, ich mit Anna Netrebko, und nun kommt eine neue Generation von Sängerinnen, die dann mit mir verglichen werden – ich kenne schon solche Fälle, die schreiben mir alle auf Facebook (lacht). Aber im Grunde ist es mir egal, was geschrieben wird, solange es kein Nekrolog ist.

 

Alles andere als Nekrologe haben die Medien seinerzeit nach Ihrem Met-Debüt verfasst – am Dirigentenpult stand damals Ihr Mann Michele Mariotti: Ordnen Sie sich ihm gern unter?

 

Als wir uns 2010 in Pesaro beim Rossini Opera Festival kennenlernten, da habe ich noch zynisch geunkt: Was ist denn das für ein junger Dirigent – auch wenn er älter ist als ich … Doch nach den ersten Proben war ich sprachlos, wie tiefgründig dieser Mensch ist – ein für sein Alter wirklich ungewöhnlich tiefsinniger und reicher Musiker.

 

Und deswegen lassen Sie sich von ihm auch gern führen?

 

Er fragt mich ab und zu um Ratschläge, ich frage ihn um Rat – es ist schon eine sehr gute Zusammenarbeit. Eine Produktion mit ihm ist immer sehr angenehm, da er mit mir atmet – und zwar nicht nur mit mir, weil ich seine Frau bin, sondern mit jedem Sänger.

 

Das klingt, als seien Sie der Gegenbeweis für die Empfehlung, Paare sollten beruflich besser getrennte Wege gehen.

 

Klar haben wir uns bei unseren ersten gemeinsamen Konzerten als Paar gefragt, wie das wohl wird – aber anders als erwartet, lief das ganz normal. Natürlich hat jeder seine Karriere, und das finde ich auch sehr gut, aber ab und zu zusammenzuarbeiten, macht auch Spaß, zumal wir uns eben nicht jeden Tag sehen.

 

Hält die häufige Distanz die Liebe frisch?

 

Auf jeden Fall ist es dadurch, dass wir uns nicht so oft sehen, immer schön – das ist nicht das Problem, glauben Sie mir (lacht). Und wenn ich keine Lust mehr auf diese ewigen Trennungen habe, dann werde ich schwanger und für ein Jahr aussetzen, nur Hausfrau sein und meinem Mann folgen.

 

Nun, aktuell sind Sie beide meist auf verschiedenen Wegen und in verschiedenen Ländern unterwegs: Wie halten Sie da Kontakt – über Facebook?

 

Nein, er ist kein Facebook-Typ. Aber Skype ist da eine große Hilfe – das Leben ist schon angenehmer geworden, seit es diese technischen Möglichkeiten gibt. Stellen Sie sich einmal vor, wie das vor 100 Jahren in unserem Fall ausgesehen hätte: Da gab es nur Briefe – heute können wir uns immerhin leibhaftig sehen …

 

… dafür haben sich die Menschen damals besonders viel Mühe beim Schreiben gegeben.

 

Das stimmt, doch auch wir schreiben einander Briefe. Ja, trotz Skype sind wir da sehr romantisch und verstecken etwa in der Wohnung des anderen kleine Liebesbriefchen, die der andere dann zwei Monate später findet …

 

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