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Interview Ori Lichtik

„Entschuldigen Sie, sind wir gerade im Interview?“

Ori Lichtik nähert sich als Perkussionist und Elektromusiker dem Ballett.

Ori Lichtiks Metier hat viel mit Tanz zu tun, denn er ist DJ. Natürlich ist damit seine Profession erst mal denkbar weit weg vom Tanztheater, doch seit einigen Jahren organisiert der Israeli genreübergreifende Musik- und Performance-Events und arbeitet mit Choreografen wie Sharon Eyal zusammen – etwa für Bedroom Folk, das nun als Teil eines Tanz-Triptychons am Bayerischen Staatsballett zu erleben ist.

Corona überall. Alle sind zuhause. Sie auch in Tel Aviv?

Ori Lichtik: Ja, Israel ist gut vorbereitet auf die Katastrophe. Hier ist man sehr streng. Menschen dürfen sich mit wenigen Ausnahmen nur noch in einem Radius von hundert Metern von ihrem Zuhause entfernen. Polizei und Armee arbeiten zusammen.

Ich hörte von Sondereinheiten des Geheimdienstes, die Mobiltelefone kontrollieren und Bewegungsprofile erstellen, um eruieren zu können, wo sich Corona-Infizierte aufgehalten haben.

Lichtik: Ja, natürlich schränkt uns das alles ein, besonders uns Künstler, die kein Einkommen haben. Ich vertraue dem Land und seiner Politik. Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.

Sie wuchsen in einer von Kriegen bedrohten Region auf, mit Intifadas, den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee. Wie war Ihre Kindheit?

Lichtik: Ich wuchs in einem Ort anderthalb Stunden von Tel Aviv entfernt auf. Man gewöhnt sich an einen gewissen Gefahren-Pegel. Und wenn man jung ist, ist man ohnehin gelassener. Entschuldigen Sie, sind wir gerade im Interview?

Ich denke … Ja!

Lichtik: Ich dachte, Sie seien einer der Kollegen, mit denen ich mich jetzt gerade zur Besprechung verabredet habe.

Nein, ich stelle nur Fragen …

Lichtik: Gut, dann machen wir weiter. Sie wollten wissen, wie ich aufwuchs. Mein Interesse für die Musik fing an, als ich mir als Teenager ein Platten-Album mit scratchendem Hip-Hop besorgte, das muss um 1986 gewesen sein. Keiner kannte diese Musik in Israel. Das war so cool, richtige Underground-Musik, nicht unbedingt etwas für Kids.

Was haben denn Ihre Eltern dazu gesagt?

Lichtik: Mein Vater liebte kleine technische Spielereien, und irgendwann schenkte er mir einen DJ-Mixer, ein spezielles Mischpult für DJs. Ich wusste zunächst gar nicht, was ich damit anfangen und wo ich das anschließen sollte. Und so fing ich an zu experimentieren.

Wie wird man denn DJ?

Lichtik: Learning by doing! Zunächst fängt man mit dem Scratchen an, indem man die Platte mit den Fingern zum Takt vor- und zurückbewegt, oder sie, wie beim Slipcueing, so lange festhält, bis der Beat der vorherigen Platte endet. Da gibt es tausende von Varianten, wie etwa das Beatmatching. Da wird der Schlagzeugrhythmus beider Platten so ineinander gemischt, dass der Übergang zwischen beiden Musik­stücken kontinuierlich wirkt und oft unbemerkt geschieht. Ich habe viel ausprobiert und tue es immer noch. Ich mixe alles Mögliche miteinander, im digitalen Zeitalter ist alles verfügbar, alles möglich. Ich lerne viel aus der Musik anderer Kulturen mit ihren diversen Stilen und Musikgenres, die auf dem ersten Blick gar nicht zueinander passen – richtig kakofonische Experimente.

Bereits auf dem Festival „Neue Musik Berlin 1930“ experimentierte Paul Hindemith mit Schallplatten mit von ihm eigens dafür zusammengemischten Eigenaufnahmen.

Lichtik: Das ist aber interessant!

Übrigens lange vor John Cage oder Edgar Varèse oder Pierre Schaeffer und die Vertreter der Musique concrète. Sie wiederum bezeichnen Strawinsky, Bartók und Debussy als Ihre Groove Masters?

Lichtik: Na ja, jeder versteht etwas anderes unter „Groove“, der Begriff vermittelt ja nur ein Gefühl, ist nicht wirklich definiert. Ich kombiniere gerne moderne klassische Musik wie Strawinsky, Debussy und Bartók mit Techno und afrikanischer Feldmusik sowie Industriemusik. Richtig gemischt ist das dann groovig-minimalistisch und wild. Auch bei Mozart übrigens gibt es Groove. Es ist dieses Gefühl, wenn sich die Musik, ihr Rhythmus, das Tempo und die Melodie mit dem Körper verbinden.

Sie sind ja auch Perkussionist, beherrschen also ein akustisches Instrument. Ist die körperliche Reaktion auf die Musik und die Geräusche eine andere, als wenn Sie das Mischpult bedienen?

Lichtik: Für mich gibt es einen ähnlichen Effekt. Eigentlich geht es um das, was man nicht sieht: den Flow.

Immer an Ihrer Seite ist der Elektrokünstler und Choreograf Gai Behar.

Lichtik: Ja. Laut unseren Müttern sind wir uns erstmals im zarten Alter von einem Jahr begegnet. Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern. Er ist mein bester Kumpel. Als wir älter wurden, fing er an, die bis heute oft illegalen Underground-, Techno- und Rave-Parties zu organisieren, auf denen ich als DJ auftrat, an den schrägsten Orten Israels.

Erzählen Sie!

Lichtik: Das war zu Beginn der 2000er. Es war einfach eine verrückte Zeit voller Restriktionen, weil wir immer wieder im Krieg standen mit all dem, was das bedeutet: Ausgangssperre, Raketen­alarm, Mauern und Checkpoints und überall Polizei.

Tanzen also unter zirkulierenden Armeehubschraubern zum „Iron Dome“, dem Alarm der israelischen Raketenabwehr?

Lichtik: Ja, so ungefähr. Tel Aviv ist ja legendär für seine Rooftop-Partys, doch viele davon waren illegal. Wir mussten passende Orte finden, vieles lief im Geheimen ab. Man wurde über das Mobiltelefon informiert, was wann wo stattfand. Wenn eine Location gefunden war, musste ich rasch mit dem Equipment hin, und dann ging es wirklich ab, dann haben wir da Partys gefeiert, von denen niemand wusste.

Nach der Devise: In Haifa wird gearbeitet, in Jerusalem gebetet – und in Tel Aviv gefeiert.

Lichtik: Genau! Meine Eltern wollten natürlich, dass ich beruflich mehr als nur das mache, vielleicht etwas mit Computern.

Sie blieben dabei und sind mittlerweile etabliert. Seit zehn Jahren unterrichten Sie am DJ Department of Muzik am College for Musical Productions in Tel Aviv. Vermissen Sie die alte wilde Zeit?

Lichtik: Nein. Es war cool und aufregend, alles hat seine Zeit. Und ohnehin ist mein heutiges Leben auch sehr spannend, wenn auch anders …

… etwa im gediegenen Rahmen der Bayerischen Staatsoper, wo Sie die Musik liefern zu Bedroom Folk, einer Ballettproduktion der israelischen Choreografin Sharon Eyal und der Compagnie L-E-V.

Lichtik: Ich muss allerdings zugeben, dass ich anfangs wirklich skeptisch war, weil ich es komisch fand, Musik für sitzende und nicht tanzende Menschen zu machen. Mit Sharon, die im Übrigen mit Gai verheiratet ist, arbeite ich seit 2006 zusammen. Wir haben bereits einige Projekte miteinander gemacht.

Um was geht es in diesem Ballett?

Lichtik: Eigentlich gibt es keine Geschichte dazu, nichts ist strategisch, alles emotional und instinktiv und kommt einfach aus uns heraus: ehrlich, sehr rein, an Ort und Stelle gemixt.

Vielleicht können Sie den kreativen Prozess beschreiben?

Lichtik: Normalerweise beginnen wir zusammen am Tag Null – in der Tanzwelt eher ungewöhnlich. Ich habe dann meine Ausrüstung im Studio aufgestellt und fange einfach an zu spielen. Sharon gibt uns mit ihrem Tanz Formen, Bewegungen und Ideen vor, und ich antworte sozusagen darauf oder improvisiere dazu mit perkussiven Klängen, digital manipulierten Effekten und Rhythmen. Alles wird aufgezeichnet. Am Ende haben wir Tonnen von Material und dann beginnt die wirkliche Arbeit: ein Destillationsprozess, eine Art Reinigung. Es wird bis zum Tag der Aufführung noch am letzten Detail gefeilt.

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