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Interview Philippe Jordan

„Es gibt eine europäische Kultur des Musizierens“

Seit der Spielzeit 2020/2021 ist der Schweizer Dirigent Philippe Jordan Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

vonMaximilian Theiss,

Es gibt nicht viele namhafte Orchester auf dieser Welt, die Philippe Jordan noch nicht dirigiert hat. Österreich spielt in seiner Biografie jedoch eine ganz besondere Rolle. Am Grazer Opernhaus trat er seinen ersten Posten als Chefdirigent an, später leitete er sechs Jahre lang die Wiener Symphoniker, bevor er an der Staatsoper der Landeshauptstadt engagiert wurde.

2001 traten Sie 26-jährig in Graz Ihre erste Position als Chefdirigent an. Wie haben Sie Österreich zu dieser Zeit wahrgenommen?

Philippe Jordan: Ich kannte damals das Land schon recht gut von mehreren Besuchen. Graz ist aber schon ein besonderer Ort: Die Lebensqualität ist hoch, das Klima sehr mild, das Stadtbild schön – 2003 war sie auch Kulturhauptstadt Europas.

Ihr Wechsel nach Graz fiel in eine Zeit, als die FPÖ in einer Regierungskoalition war.

Jordan: Von Deutschland aus, wo ich damals gelebt habe, hat man das kritisch beäugt. Aber ich habe mir damals gedacht, dass man gerade jetzt Österreich nicht den Rücken zuwenden dürfe.

Ihre Mutter, die Tänzerin Käthe Herkner, hat ihre Kindheit in Österreich verbracht.

Jordan: Geboren wurde sie während des Krieges und ging dann mit ihrer Familie nach Wien. Ihre Jugend wiederum hat sie in Irland verbracht, ehe sie in die Schweiz kam und dort meinen Vater kennenlernte…

… den Schweizer Dirigenten Armin Jordan. Was ist denn Ihre Muttersprache?

Jordan: Eigentlich Englisch wegen des irischen Hintergrunds meiner Mutter, aber natürlich auch Deutsch. In der Schule kam dann noch das Schwyzerdütsch dazu.

Schon bald nachdem Sie nach Graz gegangen waren, folgte das erste Engagement bei den Salzburger Festspielen …

Jordan: … eine Zeit, in der sich die Debüts häuften: Wiener Symphoniker, Wiener Staatsoper …

Kannten Sie die Salzburger Festspiele schon als Besucher?

Jordan: Das nicht, aber bevor ich dort dirigierte, habe ich bei zwei Mozart-Matineen mitgewirkt. Als Zürcher Sängerknabe habe ich damals die ganz große Chance verpasst: Ende der Achtzigerjahre durften wir bei den Salzburger Festspielen in der „Tosca“ mitmachen, dirigiert hat damals Karajan. Genau zu dieser Zeit kam ich aber in den Stimmbruch.

Wie haben Sie das Salzburger Publikum erlebt?

Jordan: Damals erlebte ich es als reserviert, aber das hat sich sehr verändert. Letztes Jahr, als ich „Macbeth“ dirigiert habe, war es sehr emotional und lebendig.

Woran liegt das?

Jordan: Das Publikum hat sich grundsätzlich verändert, das merke ich auch im Konzertbetrieb. Die Zuhörer sind viel direkter in den Reaktionen, vielleicht auch amerikanischer. Dass man zum Beispiel beim Applaus von den Sitzen aufsteht, hat es vor zwanzig Jahren noch nicht gegeben. Auch dass zwischen den Sätzen geklatscht wird, passiert immer öfter. Vielleicht sind die Menschen seit Corona aber auch schlicht dankbar, wieder Opern und Konzerte erleben zu dürfen, und lassen der Begeisterung ihren Lauf.

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Was zeichnet speziell das österreichische Publikum aus?

Jordan: Österreich ist noch immer ein Land, das wirklich gerne in Konzert und Oper geht und deshalb ein immenses musikalisches Wissen hinsichtlich Künstler und Repertoire hat. In Wien zeigt sich das besonders, da schaut man sich gerne auch seine zwanzigste „Tosca“ an, weil man die eine Sängerin oder den einen Sänger erleben möchte. Man wird hier auch ständig verglichen mit anderen Künstlern.

Mozart ist für den Dirigenten Philippe Jordan das A und O des Musizierens
Mozart ist für den Dirigenten Philippe Jordan das A und O des Musizierens

Wie haben Sie die Premiere von „Don Carlo“ im Herbst an der Staatsoper erlebt? Da gab es ja leidenschaftliche Buh-Rufe gegen die Regie.

Jordan: Für mich lief die Premiere wie die meisten ab. Der beschriebene Sturm war nicht größer als bei anderen kontrover­sen Inszenierungen etwa in Deutsch­land oder Frankreich.

Was genau hatte es mit dem weißen Taschentuch auf sich, mit dem Sie während der Unmutsbekundungen winkten?

Jordan: Ach, ich hatte das schon öfters in Paris gemacht, aber nie bei einer Premiere, vielleicht war deshalb die Aufmerksamkeit ein bisschen größer. Es ist immer die Frage, was man als Dirigent macht. Einige wenden sich ans Publikum und bitten darum, die Musik zu respektieren und so weiter. In meinen Augen hat das etwas Belehrendes. Aber mit etwas Humor hat es bislang immer funktioniert, man lacht kurz, und dann geht es auch schon weiter. Ich hatte vorher für alle Fälle das Tuch bereitgelegt, hoffend, es nicht brauchen zu müssen, aber es waren dann doch zu viele Einwürfe.

Orchester werden immer internationaler. Inwieweit bemerken Sie Eigenheiten in Spiel- oder Kommunikationsweise als Dirigent, wenn Sie vor den Wiener Philharmonikern stehen?

Jordan: Weil es ein Opernorchester ist, besitzt es eine ausgeprägte Flexibilität. Wie die Musikerinnen und Musiker aufeinander hören, auf die Bühne hören und miteinander spielen, also diese ständige Sensibilität in jedem Moment, macht den Klang weich und geschmeidig. Die Streicher sind von einer ganz bestimmten Art des Vibratos geprägt, was eine gewisse Süßlichkeit in den Klang zaubert. Der eigene Sound entsteht auch in den anderen Instrumentengruppen, zum Beispiel durch die Wiener Oboe, die ja in den meisten Orchestern durch die Französische Oboe ersetzt wurde. Nicht zu vergessen die speziellen Pauken und die Blechbläser, allen voran die Wiener Hörner. Das Blech kann durchaus laut spielen, aber es klingt nie hart. Diesen beseelten Klang hat das Orchester über die Jahrhunderte bewahrt.

Gibt es ein persönliches musikalisches Highlight mit den Wiener Philharmonikern aus der Vergangenheit?

Jordan: Eigentlich ist für mich fast jeder Abend, den ich am Pult des Orchestergrabens stehe, ein Highlight. Man spürt diese unglaubliche Spannung und in jeder Aufführung entsteht etwas Neues. Was die Wiener Philharmoniker immer noch sehr viel besser spielen als andere Orchester, ist die Musik von Richard Strauss. Daher ist jede „Rosenkavalier“- und jede „Salome“-Vorstellung etwas Besonderes für mich. Vor zwei Jahren durfte ich „Ein Heldenleben“ im Konzert dirigieren. Das war sicher das Größte, was ich mit diesem Orchester erlebt habe.

In Ihrem breiten Repertoire nimmt Mozart eine besondere Stellung ein. Wie entstand Ihre Leidenschaft für den Komponisten?

Jordan: Er war sehr früh in meinem Leben präsent: Die „Zauberflöte“ war meine erste Oper, mein Vater hat viel Mozart dirigiert, unter Harnoncourt habe ich in Zürich den Ersten Knaben gesungen. Beruflich ist Mozart für mich das A und O des Musizierens. Man kann als Künstler seine Mozart-Interpretation nie zur Vollendung bringen, er beschäftigt einen das ganze Leben lang. Deshalb habe ich seine Werke an der Staatsoper zu einer meiner zentralen Säulen gemacht. Am Da-Ponte-Zyklus, den wir im Frühjahr mit einem Mozart-Ensemble komplett aufführen, haben wir über fünf Jahre lang zusammengearbeitet, um am Ende eine gemeinsame musikalische Sprache zu sprechen.

Warum braucht Mozart eine so besondere interpretatorische Zuwendung?

Jordan: Mittlerweile gibt es so viele Wege und Vorstellungen davon, wie man ihn spielen kann. Vor Harnoncourt gab es einen Konsens, wie man Mozart spielt. Mal hat ein Dirigent dieses, mal jenes Tempo genommen, aber das machte keinen allzu großen Unterschied. Heutzutage muss man verschiedene Meinungen und Einflüsse kanalisieren, um auf eine gemeinsame Sprache zu kommen. An einem Haus wie der Wiener Staatsoper, die länger keinen Musikdirektor hatte, war dieser Konsens sehr reduziert. Daher war es mir so wichtig, über mehrere Jahre hinweg Mozart zu erarbeiten, um diesen Konsens auszubauen und zu entwickeln. Dann können später auch die Gastdirigenten auf dieser Klaviatur spielen.

Wie österreichisch ist eigentlich ein Mozart, wie deutsch ein Wagner? Beide haben wichtige Impulse im Ausland erfahren und waren vielgereiste Komponisten.

Jordan: Das ist schwer zu beantworten. Natürlich ist Wagner nicht nur ein deutscher, sondern auch ein europäischer Komponist. Bei Mozart gilt dasselbe: Er wurde von Bach beeinflusst, seine Opern sind italienisch und so weiter. Trotzdem gibt es schon auch eine nationale Musiksprache eines Komponisten.

Lassen Sie uns zum Schluss den Blick weiten: Wenn es eine österreichische Musikkultur gibt, wie sieht es dann mit der europäischen Musikkultur aus?

Jordan: Es gibt schon eine europäische Kultur des Musizierens, auch der Klangkulturen bei den Orchestern, die hier eine ausgeprägtere Identität haben als amerikanische Orchester. In Europa findet auch viel Musikunterricht in den Schulen statt – noch: Leider wird da viel gekürzt und gestrichen. Trotzdem ist in Europa ein besonders Gefühl für die Weltsprache Musik vorhanden. Möge sie nicht verlorengehen.

Aktuelles Album:

Album Cover für Wagner: Parsifal

Wagner: Parsifal

Jonas Kaufmann, Elīna Garanča, Georg Zeppenfeld, Orchester der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan (Leitung)

Sony Classical

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