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Interview Pietari Inkinen

„Ich versuche, das Quatschen zu reduzieren“

Wenig reden und den Musikern vertrauen: Finnische Dirigenten wie Pietari Inkinen kommen in den Proben schnell zu einem Ergebnis

vonJakob Buhre,

Flugmeilen hat Pietari Inkinen bereits heute reichlich auf dem Konto, wenn er zwischen seinem Posten als Chef des New Zealand Symphony Orchestra und Engagements in Europa sowie Japan hin- und herjettet. Und schon bald dürften es noch einige Bonusmeilen mehr werden, denn auch die Prager Symphoniker und die Ludwigsburger Schlossfestspiele haben den jungen Finnen als Chefdirigenten verpflichtet. Doch Inkinen fliegt gerne, wie er bei einer Zwischenlandung in Berlin erzählt: Schließlich seien Flugzeuge in einer permanent vernetzten Alltagswelt eine der letzten verbliebenen Ruhe-Oasen – wegen des Handyverbots.

Herr Inkinen, Neuseeland und Finnland haben zwar etwa die gleiche Einwohnerzahl – doch das scheint mir auch schon die einzige Gemeinsamkeit.

Beide Länder sind gewissermaßen isoliert. Neuseeland ist geografisch etwas abgeschnitten, Finnland auf sprachlicher Ebene: Im Grunde haben wir nur mit Estland und Ungarn eine sprachliche Verwandtschaft. Die Konsequenz ist, dass wir sehr offen und aktiv nach außen sein müssen, und die Finnen so auch schon früh anfangen, Englisch zu lernen.

Sie selbst sind obendrein bereits früh ins Ausland gegangenen: als 17-Jähriger nach Köln. Wie kam das?

Das war nur wegen Zakhar Bron, ich wollte unbedingt bei ihm Geige studieren – egal wo, dafür wäre ich auch nach Südamerika gegangen. Das war ungemein intensiv, nicht nur sein Unterricht, die ganze Klasse: Daishin Kashimoto (heute 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker), Kirill Troussov, Erik Schumann – das war eine tolle Konkurrenz.

Ist es schwer, als Geiger einen Studienplatz beim Virtuosenmacher Bron zu bekommen?

Ja, ich denke schon. Aber ich hatte vorher lange bei Vadim Repin gespielt, und der sagte eines Tages: Okay, ich rufe jetzt Zakhar an.

Hatten Sie damals schon den Wunsch, Dirigent zu werden?

Doch, schon, aber ich wollte zuerst die Geige auf ein so hohes Niveau bringen wie möglich. Und das kann man am besten zwischen zwölf und 18 Jahren, da muss man hart arbeiten. Mit dem Dirigieren hingegen ist man ja nie fertig: Technik ist zwar auch wichtig, aber als Dirigent geht es viel mehr um die Erfahrung mit der Musik.

Wer war als Dirigent Ihr wichtigster Lehrer?

Am Anfang war es Jorma Panula. Ich war Jungstudent an der Sibelius-Akademie in Helsinki, als ich einen Zettel von ihm an der Pinnwand las: Wer von den Jungstudenten das Dirigieren probieren will, soll am Samstag in den Konzertsaal kommen, mit einer Haydn-Sinfonie-Partitur. So fing das an, da war ich 14! Panula hat sich einfach angeschaut, wer von uns das Dirigieren „im Blut“ hat, und dann bekamen wir von ihm Privatunterricht.

Und die Geige …

… habe ich weiter gespielt. 2000 gewann ich den Nationalwettbewerb in Finnland, ich hatte viele solistische und Kammermusik-Engagements – bis der Punkt kam, wo ich mich voll auf das Dirigierstudium konzentrierte.

Was hat Zakhar Bron dazu gesagt?

Er war sehr verärgert und wollte, dass ich noch ein paar Jahre bleibe. Aber ich bin zurückgegangen nach Helsinki, wo ich dann bei Leif Segerstam studiert habe.

Eine exzentrische Persönlichkeit.

Ja und sehr aktiv. Segerstam hat in Finnland alles dirigiert. Wenn etwas neu ins Repertoire kam, ist er mit mir die Partituren durchgegangen. Er hat mir viele praktische Tipps gegeben, und man lernt bei ihm diese grenzenlose Expressivität.

Interessant ist ja, dass Segerstam über 250 Sinfonien komponiert hat, die meisten davon aber ohne Dirigenten aufgeführt werden.

Das stimmt, er hat dafür eine Technik entwickelt, die auch wirklich funktioniert. Die Musiker bekommen dadurch viel Freiheit – und mehr Verantwortung. Es gibt gemeinsame Orientierungspunkte und wenn ein Instrument, etwa die Pikkoloflöte, gerade eine interessante Variation spielt, dann wartet das Orchester, bis sie fertig gespielt und den Orientierungspunkt erreicht hat. Oder der Schlagzeuger weiß: Spielt er einen Hammerschlag, beginnt der nächste Abschnitt – das bedeutet, er hat in dem Moment die ganze Verantwortung. Viele Musiker finden das am Anfang unangenehm; aber ich denke, es ist gut für jedes Orchester, so etwas mal zu erleben – wie eine Therapie.

Aus Finnland stammen inzwischen gleich mehrere der internationalen Top-Dirigenten – dank Panula und Segerstam?

Sicher spielen sie eine wichtige Rolle, doch es ist auch eine Frage der Mentalität. Wir Finnen sind sehr direkt, ehrlich, reden nicht zu viel, aber sagen genau: Wir machen es jetzt so. Diese Herangehensweise funktioniert nicht überall, doch sie funktioniert vor allem in Situationen, wenn etwa nur Zeit für eine Generalprobe ist: Dann kann der Dirigent nicht lange reden und alles bis ins Detail erklären.

Finnische Dirigenten sind also Spezialisten für knappe Probenzeit?

Ich glaube ja: Wir kommen schnell zu einem Ergebnis. Das ist die Panula-Schule: Wenig reden und alles zeigen, helfen und nicht stören – vertraue deinen Musikern. Panula hat immer versucht, das Quatschen zu reduzieren, das war sein wichtigster Punkt. In Deutschland sind wir damit aber noch nicht weit gekommen: Jukka-Pekka Saraste ist der einzige Finne am Pult eines deutschen Rundfunkorchesters (WDR Sinfonieorchester). Hat man also viel Probenzeit wie in Deutschland, wo die Musiker es gewohnt sind, dass man viel mit ihnen spricht und erklärt, ist das für uns nicht ganz so optimal.

Aber ist es für Orchestermusiker denn nicht von Vorteil, viel Zeit für ein Werk zu haben?

Das sagen Sie! Wenn in Finnland ein Dirigent kommt und erstmal lange vor dem Orchester redet, fragen die Musiker nach ein paar Minuten: „Sind wir zum Spielen hier oder nicht?“ Es gibt sehr unterschiedliche Orchestertraditionen, und nicht jede Methode funktioniert überall gleich gut.

Sie selbst haben konstatiert, dass der Demokratie-Gedanke zunehmend auch in die Orchesterführung Einzug halte – allerdings noch nicht in allen Ländern.

Nehmen wir Japan, mit seiner hierarchischen Gesellschaftsstruktur: Da ist ganz klar, wer oben und wer unten ist, dort besteht kein Zweifel, wer der Boss ist. In Neuseeland dagegen ist alles superdemokratisch, es ist ja auch eines der ersten Länder gewesen, in dem Frauen wählen durften. Natürlich ist es auch dort mein Job zu zeigen, wie wir ein Stück spielen; aber etwas regelrecht durchzuziehen, das macht man heute nicht mehr. Und auch der Angst-Faktor, wie es ihn früher gab, ist nicht mehr da.

Es gibt also keine Tyrannen mehr am Pult? 

Es werden auf jeden Fall weniger. Toscanini, das waren noch andere Zeiten … oder Mrawinski in Leningrad: Wenn er mit einem Orchestermusiker nicht zufrieden war, wurde der am nächsten Tag gefeuert. Es ist eben die Frage: Hilft es der Musik, wenn es immer für alle bequem ist?

Wie meinen Sie das?

Nun, bei den die Leningrader Philharmonikern gab es noch diesen Angst-Faktor – und wenn ich mir Mrawinski-Aufnahmen anhöre: So habe ich Schostakowitsch nie gehört. Da versteht man auch diesen Druck von Stalin viel besser. Und das hat eben damit zu tun, dass die Musiker bei Mrawinski buchstäblich um ihr Leben gespielt haben. Ich würde nicht sagen, dass wir heute so etwas im Orchester haben sollten …

… aber was halten Sie von dem Vorschlag des Kollegen John Axelrod, ein Orchester wie ein Fußball-Team zu organisieren: nach dem Leistungsprinzip.

Eine schwierige Frage: Einerseits hat die Sicherheit für die Musiker viele Vorteile – andererseits müsste ein Orchestermusiker schon drei Mal betrunken zum Konzert kommen, damit er überhaupt kündbar ist. Ich dirigiere bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, das ist ein Festspielorchester, also kein festes Ensemble. Genauso ist es in Bayreuth: Wenn dort jemand im Orchester sitzt, der nicht hundertprozentig dabei ist – der wird im nächsten Jahr nicht mehr dort sitzen. Also geben sie alle hundert Prozent und mehr. Andererseits gibt es Klangkörper wie die Berliner Philharmoniker, die spielen auch jeden Tag Vollgas – die brauchen kein Leistungsprinzip. Gut ist es in jedem Fall, wenn es in einer Stadt mehrere Spitzenorchester gibt und so eine gute Konkurrenz vorhanden ist.

Opfer eines solchen Leistungsprinzips wären vermutlich zuerst ältere Orchestermitglieder. Sie dirigieren mitunter Musiker, die 20 Jahre älter sind als Sie: Was lernen Sie von denen?

Das ist oft sehr interessant. Bei den Münchener Philharmonikern etwa gibt es mehrere Musiker, die lange mit Celibidache gearbeitet haben. Und manchmal erzählen sie dann Anekdoten, Kleinigkeiten: „So war das damals, bei Celi …“. Oder wie man ein Tremolo an einer bestimmten Stelle einer Bruckner-Sinfonie spielt – das kann ein junger Musiker, egal wie gut er im Probespiel war, gar nicht wissen. Die Alteingesessenen kommen dann zu ihm und sagen: Wir machen das Tremolo so. Dadurch wird Tradition fortgeführt, und das ist auch sehr wichtig.

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