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INTERVIEW RAGNA SCHIRMER

„Das ergreift mich dann selbst“

Kunst bedeutet für diese Pianistin mehr als nur das Klavier: Ragna Schirmer über die Kulturpolitik ihrer Wahlheimat, die Suche nach Neuem und die Intimität kleiner Bühnen

vonChristian Schmidt,

„Ich habe mich verübt“, ruft Ragna Schirmer entschuldigend, weil sie den Interviewtermin an ihrem Konzertflügel beinahe verpasst hat. Seit 1996 lebt die in Hildesheim aufgewachsene Pianistin in Halle an der Saale, der Geburtsstadt von Georg Friedrich Händel. Im benachbarten Leipzig gewann die Pianistin gleich zweimal den renommierten Bachwettbewerb und ist seitdem nicht einfach nur Tastenheldin, sondern setzt sich auch in diversen Gremien für die Kulturpolitik ein – ein Kampf gegen Windmühlen, wie sie nicht ohne Frust bekennt. Auch ihre Mannheimer Professorenstelle kündigte sie nach acht Jahren, entnervt vom Universitätsbetrieb. Im Interview spricht sie über ihre Wahlheimat, die Kulturpolitik und ihre letzte Händel-CD, die sie auf drei verschiedenen Tasteninstrumenten einspielte.

Wie kommt eine Hildesheimerin nach Halle an der Saale?

Ich habe damals an der Hallenser Universität für die Musikpädagogik gearbeitet. Meine Großmutter stammt außerdem aus Bernburg, einer nicht weit entfernten Kleinstadt. Das hieß: zurück zu den Wurzeln. Seitdem liebe ich diese Stadt sehr. Sie ist einerseits groß genug, dass dort kulturell sehr viel passiert, das hat in Halle Tradition – als ich ankam, gab es sechs verschiedene Theater! Gleichzeitig ist die Stadt auch nicht so riesig, dass man sich darin verliert. Die Hallenser sind schroff, aber auch sehr ehrlich, das liegt mir. Weil mir diese Stadt und ihre Kultur am Herzen liegen, fing ich an, kulturpolitisch aktiv zu werden.

Bei den Theatern und Orchestern in Sachsen-Anhalt wurden die Zuschüsse um mehr als sechs Millionen Euro auf rund 30 Millionen Euro gesenkt. Wie stehen Sie dazu?

Die Kürzungen sind eine Katastrophe. Wir haben viel protestiert, zuletzt in einer spektakulären 48-Stunden-Aktion, leider umsonst. Ich persönlich verstehe nicht, warum man den Kulturhaushalt, der ja ohnehin nur ein Prozent des Landeshaushaltes ausmacht, noch mehr schrumpft. Aber es wurde durchgezogen.

Woran liegt das?

Sachsen-Anhalt ist ein sehr kleines Land, es hat nur 2,3 Millionen Einwohner. An allen entscheidenden Stellen sitzen Politiker, die nicht für die Kultur stehen oder sich nicht für sie einsetzen. Wir haben in vielen Gremien Kulturkonzepte entwickelt, die alle im Papierkorb gelandet sind.

Haben Sie es aufgegeben?

Nein, aber im Moment fühle ich mich machtlos.

Hadern Sie mit der  Öffentlichkeit?

Ich hadere mit der Politik, weil sie die Öffentlichkeit manipuliert und gegen die Kultur aufhetzt. In den 80er Jahren war es den Tagesthemen noch eine Meldung wert, wer den Chopinwettbewerb in Warschau gewonnen hat. Heute gehört Kultur nicht mehr zum Tagesgeschäft der Medien. Ich nehme es der Politik übel, dass sie Ressorts gegeneinander ausspielt nach dem Motto: entweder Fußball oder Theater.

Hat Sie diese Geschichte von Ihrer Wahlheimat entfremdet?

Ich glaube schon. Meine Professur in Mannheim habe ich ja auch gekündigt, um hier zu retten, was zu retten ist. Inzwischen schließt aber auch der Südwestfunk sein Orchester. Ich finde das grundsätzlich schlimm. Da kann man nur versuchen, das zu tun, was die Leute interessiert. Sein eigenes Ding machen.

Damit haben Sie Erfolg. Ihre Dreierbox mit Händels Orgelkonzerten, die Sie auf Hammerklavier, Konzertflügel und Hammondorgel mit Jazzband aufnahmen, hat sich gut verkauft.

Sie lag zwischenzeitlich bei Mediacontrol auf Platz 5, das ist ziemlich sensationell!

Was glauben Sie, woran liegt das?

Händels Musik zu hören macht richtig Spaß. Man hört das immer und immer wieder gern. Diese Musik hat eine große Kraft.

Besitzt Halle dafür eine besondere Authentizität?

Ich glaube, Händel hier besonders nahegekommen zu sein. Auch bei den Suiten hatte ich schon das Gefühl, dass das sehr spannend ist, sie hier aufzunehmen. Auch wenn ich weiß, dass die Orgelkonzerte vornehmlich in London entstanden, bin ich erst in Halle in Händel „hineingewachsen“.

Sie haben mit einer intensiven Bachiade Ihre Karriere begonnen. Womit haben Sie an Händel angeknüpft?

Mein nächstes Projekt war Ravel, es gibt jetzt eine DVD über sein Leben. Das Hallenser Puppentheater, von dem ich ein großer Fan bin, kam irgendwann mit mir zusammen auf die Idee, sein Leben zu inszenieren. Das war ein großer Erfolg. Die Außenwelt spielte sich vor einem großen diagonalen Spiegel ab, ich saß dahinter und verkörperte mit den Miroirs und dem Gaspard de la Nuit die Innensicht. Für die DVD habe ich parallel die Musik neu eingespielt.

Wie funktioniert das: sich neues Repertoire aneignen?

Meistens folgt ein Prozess aus dem anderen. Hirn und Herz sind beide beteiligt. Bei den Orgelkonzerten hatte ich große Lust, sie auf dem Klavier zu spielen. Zuerst merkte ich, das funktioniert so einfach nicht. Darauf gingen die Denkprozesse und Gespräche mit den Kollegen los. So kam auch die Idee mit dem Hammerflügel, von mir dann wieder die mit der Hammondorgel. Dann habe ich vieles ausprobiert, das ist alles ein Prozess, ein Fluss.

Wie finden Sie das Neue?

Meistens entstehen diese Dinge wirklich aus dem Leben. Manchmal höre ich eine Interpretation und denke: Ach, das würde ich anders spielen. Es juckt mich, genau das selbst zu tun. Nicht ex negativo, sondern mehr als Prozess, der mich reizt. Oder ich sitze im Sinfoniekonzert und spüre, die Musik geht mir so nah, ich will wissen, was hat der Komponist für Klavier geschrieben. Das war zum Beispiel bei Schumann so: Dann lernte ich alle seine Lieder, las seine Briefe, und danach erst spielte ich seine Klavierwerke.

Sie haben mal gesagt, dass wir heute oft ins Extreme gesteigerte Ausdrucksformen benötigten, um noch verstanden zu werden. Was meinen Sie damit?

Wir können uns alle nicht mehr erfreuen an kleinen Dingen, Nuancen, leisen Tönen. Es müssen immer Superlative sein, alles braucht eine große Inszenierung. Allerdings wurde diese Entwicklung an einigen Stellen so überspannt, dass es schon wieder Gegenbewegungen gibt.

Und deswegen bespielen Sie auch so gern kleinere Säle?

Ja, ich liebe intime Situationen wie die familiäre Bühne im wirklich sehr berühmten Hallenser Puppentheater. Wenn dieser kleine Raum innerhalb von 90 Minuten einen Atem findet, wenn diese 100 Leute, mich eingeschlossen, ein ganz intensives gemeinsames Erlebnis empfinden, bedeutet mir das unendlich viel. Es berührt mich, dass es das noch gibt und dass es noch geht. Das ergreift mich dann selbst.

Album Cover für Händel: Konzerte op. 4 & 7

Händel: Konzerte op. 4 & 7

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