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Interview Renaud Capuçon

„Hoffentlich bin ich noch interessant fürs Publikum!“

Wirklich Angst vor einem Verfallsdatum hat Renaud Capuçon nicht – und doch macht sich der Geiger so seine Gedanken um die eigene musikalische Attraktivität

vonNinja Anderlohr-Hepp,

Der Mann ist wirklich kaum zu fassen – zumindest wenn es darum geht, Renaud Capuçon für ein Interview zu treffen. Heute Wien, morgen Beirut, dann ein Abstecher nach Gstaad: Der französische Gentleman an der Geige ist ständig in der Welt unterwegs. Und muss sein Solistenleben obendrein noch mit seinen Rollen als zweifacher Festivaldirektor, Hochschulprofessor und Vater verbinden.

Sie haben 2016 Ihren 40. Geburtstag gefeiert – wer ist Renaud Capuçon zu diesem Zeitpunkt seines Leben?

Renaud Capuçon: Eigentlich derselbe wie zuvor. Aber jetzt habe ich so viel Energie, viel mehr Willenskraft, Wünsche und vor allem so viele Projekte!

Rückblickend: Was hätten Sie Ihrem jüngeren Ich gerne mitgegeben?

Capuçon: Ich war sehr bedacht und wohl organisiert, als ich 20 war – und das war natürlich gut für meine Karriere. Heute würde ich mir sagen: „Klug und bedacht zu sein,  ist gut. Lass dir Zeit!“ Aber ich würde auch hinzufügen: „Riskiere mehr! Sei ein bisschen abenteuerlustiger!“

Kommt nach 20 Jahren auf der Konzertbühne auch schon mal Angst vor dem eigenen künstlerischen Verfallsdatum auf?

Capuçon: Uff, hoffentlich bin ich noch interessant fürs Publikum! Aber ernsthaft: Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt, sondern dass die Liebe zur Musik und die Notwendigkeit diese zu teilen, einen Künstler für sein Publikum interessant machen. Die Tatsache, dass alle fühlen, dass du mit der Musik verbunden bist und deine Liebe, Sorge und Ernsthaftigkeit in Bezug auf sie teilst, ist doch ein gutes Zeichen für das Publikum, dir weiterhin zu folgen.

Und was wäre, wenn die Popularität doch einmal nachlassen sollte?

Capuçon: Berühmt zu sein, hat mich nie gereizt. Natürlich ist das irgendwie schön, aber was heißt denn „berühmt“ überhaupt? Ein wirklich berühmter klassischer Musiker kommt doch nie an den Bekanntsheitsgrad eines Popstars ran! Alles ist relativ – du kannst in deiner Straße berühmt sein, in deiner Stadt, deinem Land, im Universum! Um ehrlich zu sein: Mir ist das egal. Ich möchte mich der Musik widmen und ihr aufrichtiges Sprachrohr sein. Klar, wenn ich dabei berühmt und beliebt sein kann – super! Aber das wird niemals mein Denken und Handeln beeinflussen.

Hatten Sie diesen Blick aufs Leben schon immer?

Capuçon: Ich würde sagen: bedingt, denn natürlich entwickelt man sich beständig. Wenn du jung bist, beschäftigst du dich viel mit dir selbst. Jetzt, da ich älter geworden bin, sehe ich auch andere wichtige Dinge im Leben – ich habe eine Familie, ich bin Vater und Lehrer. Ich kümmere mich um meine Studenten, während ich aktiv auf der Bühne bin – und das ist eine wunderbare Mischung, die hoffentlich noch für lange Zeit funktionieren wird!

Fast nebenbei sind Sie auch noch Künstlerischer Leiter gleich zweier Festivals, des Sommets Musicaux de Gstaad und des Festival de Pâques in Aix-en-Provence, das Sie 2013 gegründet haben.

Capuçon: Ich liebe Festivals. Ich war schon immer der Meinung, dass bei Festivals einfach viel passiert, wenn es darum geht, andere Künstler zu treffen oder eine wirklich besondere Atmosphäre zu genießen. Als ich das Programm für das Festival in Gstaad zusammengestellt habe, hörte ich die Musik im Rahmen eines Winterfestivals mitten in den Bergen ganz neu – wahrscheinlich aufgrund eben dieser Umgebung und Atmosphäre habe ich dort so gerne Musik gemacht und mich so wohl gefühlt. Ich bin echt ein großer Festivalfan!

Was macht Ihnen am meisten Spaß bei der Festivalplanung?

Capuçon: Es geht mir nicht nur darum, dass man mit seinen Freunden oder Leuten, die man mag oder bewundert, eine einzigartige Konstellation von Künstlern einladen kann – es ist auch das Adrenalin, die Spannung, die sich um einen herum in den Wochen vor und während des Festivals aufbaut. Es ist so aufregend! Und du denkst: Hoffentlich hat dieser Adrenalin-Krimi ein gutes Ende!

Wie wichtig ist dabei ein gutes Musiker-Netzwerk, um die richtigen Partner zu finden?

Capuçon: Das ist natürlich Teil meines Lebens – nicht nur, weil ich andere Musiker bewundere, sondern weil es wichtig ist, Freunde zu haben! Inspiriert haben mich besonders Daniel BarenboimMartha ArgerichYo-Yo Ma … aber auch junge Leute meiner Generation oder noch jüngere. Die drei Musiker meines Quartetts etwa – Guillaume Chilemme, Adrien La Marca und Edgar Moreau – und natürlich mein Bruder Gautier! Auch Gérard Caussé, der seit mehr als 20 Jahren einer meiner besten Freunde ist: All diese Menschen trage ich ganz nah an meinem Herzen, auch wenn wir vielleicht nicht jeden Tag miteinander sprechen können.

Ein Nachteil, den das Musikerleben mit all seinen Reisen unweigerlich mit sich bringt.

Capuçon: Richtig. Aber das Reisen gehört seit Beginn meiner Karriere zu meinem Leben – ich versuche, alles so entspannt wie möglich zu organisieren, um Stress zu vermeiden. Mein schlimmstes Souvenir war eine achtstündige Verspätung in Sochi in Russland: Niemand konnte mir sagen, was los war! Aber solange meine Konzertkleidung, ein gutes Buch, iPad, mein Lieblingsduft, die Konzertpläne und -projekte für meine zwei Festivals, meine Lieblingsstifte, Kalender und Ausweis dabei sind, kann nicht viel passieren! Nicht zu vergessen: eine Auswahl an Zigarren!

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie ein unbekanntes Land bereisen?

Capuçon: Mein großes Problem ist: Wenn ich reise, bereite ich mich auf das Konzert vor, ich muss mit dem Jetlag klarkommen, muss schlafen, mich ausruhen und üben – Sightseeing gehört eigentlich nie zu meinem Konzertleben. Wenn ich mir etwas anschauen möchte, muss ich schon in das Land zurückkehren und dort gezielt Ferien machen. Natürlich gehe ich abends auch gern essen und suche mir dann schöne Orte aus – aber wenn ich ein Konzert habe, bleibt der Sightseeing-Renaud zuhause.

Wenn Sie den ganzen Tag von Klängen umgeben sind, mögen Sie in Ihrer Freizeit eigentlich noch Musik hören?

Capuçon: Ich bin konstant so sehr „mit Musik“ oder „in der Musik“ beschäftigt: Ich denke über sie nach, spreche über sie, höre ihr zu, wenn ich spiele oder anderen lausche – wenn ich dann mal Freizeit habe, ganz ehrlich, höre ich eigentlich keine Musik. Bin ich mal in der Stimmung, höre ich Bach, insbesondere Werke für Klavier oder Sakralmusik, Passionen, Oratorien: Das ist die Art von Musik, die mich beruhigt und mir gleichzeitig Energie gibt. Oder Jazz – wenn es Abend wird und mir danach ist. Aber ich höre weniger Musik, sondern versuche vielmehr, der Stille zuzuhören – und diese Zeit schätze ich sehr.

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