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Interview Sabine Meyer

„Ich habe da noch etwas Süßes“

Hotellobbys sind der klassische Interviewort. Doch viel anregender ist ein Gespräch in den heimischen vier Wänden wie mit Sabine Meyer – in jeder Hinsicht …

vonChristoph Forsthoff,

Der Kaffeetisch ist gedeckt, kleine süße Teilchen verführen zum Zugreifen, im Glas dampft frisch aufgebrühter grüner Tee – „den bringen mir immer meine chinesischen und japanischen Studenten mit“, erzählt Sabine Meyer. Interviews mit der First Lady der Klarinette in ihrem wunderschönen alten Ziegelhaus in der Lübecker Altstadt sind eine kleine Wohlfühl-Oase im journalistischen Alltagsstress. Zumal wenn sich noch Reiner Wehle hinzugesellt, der mit seiner Frau nicht nur das Instrument teilt und zusammen mit ihrem Bruder das Trio di Clarone bildet und ihr Bläserensemble aufgebaut hat, sondern wie auch sie als Professor an der Lübecker Musikhochschule unterrichtet.

Sie lieben amerikanisches Schokoladeneis, Sie leben in der Stadt des Marzipans – haben Sie eine Vorliebe für süße Sachen?

Sabine Meyer: Marzipan ist eigentlich die einzige Süßigkeit, die ich nicht so gern mag (lacht). Doch gerade so nach dem Mittagessen esse ich ansonsten schon gern eine süße Kleinigkeit – à propos: Ich habe da noch etwas Süßes. (Sie springt auf, eilt in die Küche und kehrt mit einer großen Platte dunkler Pralinen zurück) Voilà! Die Pralinen habe ich gestern selbst gemacht – eigentlich gehören da Macadamia-Nüsse rein, aber die gab es natürlich in unserem Supermarkt in Lübeck nicht, und so habe ich das Rezept dann ein wenig verändert. Sie dürfen gern probieren und den Vorkoster geben, denn wir bekommen später noch Besuch … na, nicht so doll?

Doch, wirklich sehr lecker – was mich zu der Frage bringt: In der Musik pflegen Sie ja keineswegs eine Vorliebe für Süßes, das der Zuhörer so entspannt genießen kann – wie Ihre mehr als 40 Uraufführungen zeigen.

S. M.: Oh, da wissen Sie mehr als ich – mehr als 40 Uraufführungen?
Rainer Wehle: Ja, das stimmt schon.
S. M.: Meine Güte – Sie können ruhig öfters kommen: Was ich hier noch so alles von mir erfahre (lacht).

Wie viele von diesen 40 Uraufführungen sind denn in Ihr Repertoire eingegangen?

S. M.: Natürlich versuche ich diese Werke öfter zu spielen und auch bei den Veranstaltern anzubringen, aber die wollen dann eben doch immer wieder die Konzerte von Mozart und Weber, vielleicht auch einmal von Nielsen oder Copland haben. Es ist einfach schwer, in Luzern oder Frankfurt zu sagen: Ich möchte gerne Hosokawa spielen – da kann ich mich noch so sehr bemühen, es wird nicht klappen.
R. W.: Beim Bläserensemble ist das hingegen kein Problem.

S. M.: Das war ja auch im Grunde unsere Idee, dass wir dort immer ein modernes Stück ins Abendprogramm einbetten – und dann wird das Publikum hinterher immer mit einem Mozart oder Beethoven getröstet.

R. W.: Von den gut 40 Uraufführungen sind in etwa zehn ins Repertoire eingegangen – und die Werke von Denissow, Hosokawa und Castiglioni für das Bläserensemble sind auch in renommierten Verlagen verlegt und werden von anderen Musikern gespielt.

Eine Quote, die bedeutet, dass Sie drei von vier Stücken für gerade ein oder zwei Aufführungen erarbeiten – doch das hält Sie nicht davon ab, sich immer wieder zeitgenössischen Werken zu widmen?

S. M.: Nein. Aktuell etwa schreibt Márton Illés ein Quartett für mich für das Lausanne-Festival im kommenden Jahr. Er hat mich jüngst besucht, um sich sämtliche Griffe zeigen zu lassen und die Möglichkeiten der Klarinette wirklich vollständig ausschöpfen zu können und um zu erfahren, was auf dem Instrument möglich ist und was nicht.

Ist das denn wirklich notwendig für eine Komposition?

S. M.: Man merkt als Instrumentalist einfach, wie ein Komponist mit der Klarinette umgeht und welche Vorstellungen er hat. Oder ob es ein wirkliches Klarinettenkonzert ist: Bei manchem neuen Werk habe ich gedacht, das könnte genauso gut für Flöte geschrieben sein oder für Fagott – das hatte nichts mit meinem Instrument zu tun.

Dann also doch wieder lieber Mozart oder Weber, nur: Mögen Sie die nach vier Jahrzehnten wirklich noch spielen?


S. M.:  (lacht
Ich finde nicht, dass es leichter wird, denn je öfter man die Werke spielt, desto höher werden auch die Ansprüche. Am Mozartkonzert kann man immer arbeiten, zumal das ja gerade auf der Bassettklarinette noch wieder ein ganz anderes Thema ist: Das bleibt einfach immer aufregend und spannend! Jedes Mal denke ich wieder: Oh Gott, ich spiele es doch wirklich nicht zum ersten Mal – aber es kommt mir so vor, weil einfach die Anforderungen des Instrumentes an dich so immens sind.

Ganz besondere Anforderungen stellt zweifellos auch ihr jüngstes Album mit Konzertarien Mozarts.


S. M.:
Eine Idee, die übrigens auf Reiners Mist gewachsen ist.

Doch lässt sich auf der Klarinette so schön singen wie mit der menschlichen Stimme?

S. M.: Ich hoffe nicht, dass Sie die Sängerin vermissen (lacht). Ich glaube schon, dass die Möglichkeiten des Instruments der Stimme sehr nahe kommen, weil die Klarinette einfach auch in der Höhe sehr weich sein kann und die Tiefe mühelos anspricht – anders als etwa auf der Oboe ist es schon ein sehr großes Spektrum, das uns dieses Instrument bietet.

R. W.: Natürlich kannst du das monieren – andererseits erreichst du mit der menschlichen Stimme auch manches nicht, das sich mit dem Instrument realisieren lässt. Schon Einstein hat über diese Konzertarien geschrieben, das seien eigentlich Instrumentalkonzerte.

S. M.: Weil die so abartig schwer sind, dass sie kaum einer singen kann…

R. W.: …und das war ja auch unsere Überlegung: Diese Arien sind teilweise fast unsingbar und werden heute kaum noch aufgeführt, weil man sich im Prinzip damit nur blamieren kann – man muss dafür schon sehr gute Nerven haben.

Was ja aber zweifellos auch für die Klarinette gilt, oder?

R. W.: Teilweise liegen sie auf der Klarinette besser als für die Stimme. Natürlich eignen sich viele auch nicht, doch haben wir die ausgewählt, die schon fast instrumental gedacht sind – wirklich großartige Musik und wahnsinnig schade, dass die so selten aufgeführt wird. Einige der Arien waren noch nicht einmal instrumentiert.


Und das haben Sie dann alles in die Hand genommen?

R. W.: Die Grundidee habe ich schon seit Jahren gehabt und mir immer wieder die Gesamtausgabe geholt und ein bisschen sortiert. Und dann habe ich eine Auswahl getroffen und Andreas Tarkmann als Arrangeur geholt, der auch noch einiges verändert hat in der Solostimme und im Orchester.

Pflegen Sie solch eine Arbeitsteilung sonst auch im Alltag?

R. W.: Ich bin schon der Ideengeber und mache auch die meisten Programme fürs Bläserensemble und Trio oder für unsere Lübecker Klarinettennacht.
S. M.: Du wirkst auch sonst als Organisator …

 … und Sie ordnen sich dann gern unter, Frau Meyer?

R. W.: Sie ordnet sich nicht unter, sie muss Feuer fangen (lacht). Wenn sie nicht Feuer fängt, taugt das ja alles nichts.

S. M.: Er organisiert schon alles, strukturiert das Leben und die Reisen.


Ohne Ihren Mann wäre das Leben also nur halb so bequem? 

R. W.: Sie würde das auch alleine können …
S. M.: … aber es ist einfach schön, all das zu zweit zu besprechen, die Trio-Programme gemeinsam zu machen und auch viel zusammen zu reisen.

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