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Interview Sebastian Manz

„Das Auge hört ja mit“

Der Klarinettist Sebastian Manz über sein Faible für Perücken, einen Game Boy als Motivationshilfe – und darüber, dass auch Misserfolge bei Wettbewerben einen weiterbringen können.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Flippig sehen Sie aus mit Ihrem Afro-Look auf YouTube, wo Sie in einem Splitscreen-Experiment ein Stück von Franz Krommer interpretieren – als Ein-Mann-Quartett!

Sebastian Manz: Wegen Corona konnte ich leider nicht zum Frisör gehen …

Es heißt, Sie haben eine große Perückensammlung?

Manz: Ja, tatsächlich! Früher habe ich immer im Kaufhaus nach Faschingsperücken geschaut. Heute kann man über das Internet alles Mögliche bestellen. Ich stehe absolut drauf.

Was haben Sie sich denn so alles angeschafft?

Manz: Ich habe einen Vokuhila …

… also „vorne kurz, hinten lang“– der Inbegriff der Männlichkeit aller Fussballer der achtziger Jahre…

Manz:und eine Perücke, die eine Glatze vortäuscht mit zerfranstem Haaren an der Seite. Dazu eine Brille mit dicken Gläsern, mit der man so einen Eulenblick bekommt. Ich liebe es, wenn man sich ein bisschen auf die Schippe nimmt und mit Verkleidungen und Verzerrungen im Internet spielt. Mit meinem Splitscreen und dem Afro- Look wollte ich eigentlich einen Bezug zum französischen Klarinettisten Nicolas Baldeyrou herstellen. Ich bin ein großer Bewunderer von ihm.

Warum?

Manz: Er ist ein begnadeter Klarinettist, aber nicht nur das: Er produziert auch unfassbar gute Videos, auf denen er ganz allein spielt. Er hat dies bereits vor Corona vorangetrieben. Und da er so eine Frisur trägt, empfinde ich meinen Splitscreen als eine kleine Reminiszenz an ihn.

Brennen Sie immer noch für den Film?

Manz: Oh ja, ungebrochen! Seit der 10. Klasse. Damals tat sich eine große Leidenschaft auf für Filme, fürs Theater. Ich habe dann selbst kleine Filme produziert, sie geschnitten und an Wettbewerbsprogramme von Festivals geschickt. Damals dachte ich mir, wenn das mit der Klarinettenlaufbahn nicht funktioniert, dann kann ich auch immer noch diesen Weg versuchen. Jeder Film ist für mich auch eine Art von Gesamtkunstwerk. Der Schnitt, das Bild, die Dramaturgie und dann die Filmmusik dazu. Die Klangfarben einer Klarinette übrigens eignen sich sehr gut, um unterschiedlichste Filmszenen zu untermalen. Sie kann sehr weich klingen, ideal für epische Naturszenen, sie kann aber auch in der Tiefe sehr bedrohlich, sehr düster wirken. Heute habe ich leider kaum Zeit mehr, um am Computer Klänge zu verfremden und zu experimentieren.

Kommt Ihre Liebe für die Bühne eigentlich auch von Ihrem Großvater mütterlicherseits, dem russischen Geiger Boris Goldstein?

Manz: Oh, das weiß ich nicht. Ich war eineinhalb, als er 1987 starb.

Boris Goldstein war in der Sowjetunion ein berühmter Mann. Kreisler, Prokofjew, Heifetz und Menuhin haben sich bewundernd über sein Spiel geäußert. Zu seinen Konkurrenten bei den internationalen Wettbewerben zählten David Oistrach, Ida Haendel, Arthur Grumiaux.

Manz: Ich höre manchmal Geschichten von meiner Großmutter, seiner Witwe. Sie redet dann darüber, wie schwierig die Zeiten damals auch waren, doch sie geht da nicht in die Vollen. Mein Großvater, der aus Odessa stammte, war natürlich ein Aushängeschild der Sowjetunion. Dennoch hatte er dort nicht die Möglichkeit, sich international zu entwickeln. Deshalb entschieden sie sich in den Siebzigern nach Deutschland auszuwandern, was sich natürlich als sehr schwieriges Unterfangen herausstellte, wie man sich vorstellen kann.

Wie schwer wiegt das Erbe, wenn man eine Mutter hat, die ihren ersten Klavierunterricht bei Nune, der Tochter des Komponisten Aram Chatschaturjan hatte?

Manz: Eigentlich weniger, obwohl ich von meiner Mutter, der Pianistin Julia Goldstein, und meiner Großmutter, die auch Geigerin war, sehr stark gefördert wurde. Ich kann mich entsinnen, dass sie ein paar Mal versucht hat, mich für die Geige zu begeistern. Aber der Umstand, dass man dort die Töne suchen muss und sie nicht eindeutig vor einem liegen, hat mich genervt. Bei meiner jüngeren Schwester, die Geigerin wurde, war meine Oma etwas erfolgreicher. Und auch beim jüngeren Bruder, der Cello spielt. Musikalisch gefördert und ein bisschen auf die Klarinette vorbereitet wurde ich auch im Knabenchor in Hannover.

Sebastian Manz
Sebastian Manz

In welcher Stimmlage haben Sie gesungen?

Manz: Ganz früh im ersten Sopran und nach dem Stimmbruch im Bass. Jetzt würde ich mich eher im Bariton verorten. Damals lernte ich viel über Atemtechnik. Das hilft mir jetzt sehr. Wir haben sehr viel Alte Musik gesungen, Werke von Buxtehude, Schütz

… und doch gab ein Game Boy den Ausschlag für Ihre spätere Entwicklung.

Manz: All die Jungs im Knabenchor hatten ein Game Boy, und ich wollte den natürlich auch haben! Meine Mutter hatte gehört, dass die berühmte Sabine Meyer in Braunschweig einen Kurs gab. Ein Freund von ihr hatte vermittelt, dass ich Frau Meyer vorspielen konnte. Und meine Mutter versprach mir: „Wenn du dich anstrengst, bekommst du einen Game Boy.“ Nach dem Vorspiel rief Sabine Meyer bei uns abends an. Meine Mutter bekam die Kinnlade nicht mehr hoch – und ich auch nicht –, denn Frau Meyer bot mir an, mich ein Jahr kostenlos zur Aufnahmeprüfung als Jungstudent bei ihr in Lübeck vorzubereiten. Zu diesem Zeitpunkt war ich elf Jahre alt.

Was hat Sie Ihnen vermittelt?

Manz: Sie hat sehr an meiner Fingerhaltung, am Auftreten gearbeitet und mir durch ihre Erfahrungen viele wertvolle Tipps gegeben. Wir konnten über Stunden an einer einzigen Note arbeiten: Wie führe ich die Luft in das Instrument, wie säubere ich den Ton, wie setze ich das Legato um, wie koordiniere ich die Fingerhaltung und die Luftführung? Wie lerne ich bewusst die Finger zu führen? Sie fand von sich, dass sie sich immer noch zu viel auf der Bühne bewegte, und brachte mir Bewegungen beim Spiel bei, die der Musik dienen sollen und nicht mir selbst – so, dass alles irgendwie graziös wirkt. Das Auge hört ja mit.

Frau Meyer machte Sie jedenfalls so fit, dass Sie beim ARD-Wettbewerb 2008 den ersten Preis abräumten inklusive Publikumspreis.

Manz: Nun ja, einfach war es nicht. Zwischen 2005 bis 2008 habe ich übrigens an sehr vielen Wettbewerben teilgenommen und alles Mögliche erlebt: Mal bin ich in der ersten Runde rausgeflogen, mal in der zweiten, mal bin ich bis ins Finale gekommen. Manchmal habe ich auch gewonnen. Die ersten Misserfolge haben mich immer schwer getroffen, doch dann stellte sich so etwas wie eine positive Routine ein. Der Weg war nun das Ziel und nicht immer nur das Ziel selbst. Beim ARD-Musikwettbewerb war ich deshalb mental sehr gut vorbereitet. Das versuche ich allen Schülern und Studenten zu vermitteln: Egal ob man in Runde eins rausfliegt oder ganz durchkommt – man muss vorbereitet sein. Denn das ist das, was uns weiterbringt.

Der Preis brachte Ihnen aber auch vieles mehr.

Manz: Ja, natürlich, das muss ich zugeben. Er war für mich ein Sprungbrett in meiner solistischen und kammermusikalischen Karriere. Dabei hatte ich gerade vor dem Wettbewerb meine allererste Orchesterstelle am Theater in Lübeck angetreten. Es war eine Stellvertreterstelle und es gab mächtig viel zu tun. Da haben wir gleich mal Wagners halben „Ring“ gemacht: vormittags an der Bassklarinette „Walküre“, abends dann die 1. Stimme im „Rheingold“. Dazu weitere Proben, Sinfoniekonzerte, das volle Programm – eine krasse Zeit.

Wie ist denn heute die Zeit als Soloklarinettist beim SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis?

Manz: Auch eine sehr krasse Zeit, wenn auch anders. Er ist ein großartiger Dirigent, Mainstream und Mittelmaß interessieren ihn nicht. Er hat den Drang, immer besser zu werden. Er polarisiert, keine Frage, aber ich finde es toll, mit ihm zu arbeiten.

Letzte Frage: In welcher Perücke würden Sie denn das Klarinettenkonzert von Magnus Lindberg spielen, das auf Ihrem aktuellen Album zu hören ist?

Manz: Ha, das ist eine gute Frage! Bei Lindberg würde ich eine Perücke nehmen, auf der die Haare in alle Richtungen zerstreut liegen. Das Werk ist – im positiven Sinne – zum Haare raufen!

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